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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

in einem Zauberreiche – ja, davon kann man reden! – Und die Erklärung des großen Spieles? –

„Möglich machen Vieles –
Männer und Moneten!“

Diese Männer sind der Bauherr, der Baumeister und die Bauleute. Das Schützenhaus verdankt die wahrhaft großartigen Erweiterungen und Einrichtungen, welche es weit über die gepriesenen Tivolis in Kopenhagen und anderen Großstädten und über das vielgerühmte Kroll’sche Etablissement Berlins erheben, wie oben bemerkt, seinem Besitzer, Herrn Karl Hoffmann, einem Manne, der zu den „selbstgemachten Männern“ Leipzigs gehört. Dem Grundzug seines eigenen Wesens entsprechend legte er bei allen seinen baulichen Unternehmungen das Hauptgewicht auf das Solide. Dafür zeugen die (von den Baumeistern Röhde und Lipsius ausgeführten) Prachtsaalbauten im Hauptgebäude, wie die Bauten des Trianon und des hier illustrirten neuesten Abschlusses desselben, die das Werk des auch als Schriftsteller in seinem Fache rühmlich bekannten Architekten Dr. Oscar Mothes sind. – Die Anerkennung von Seiten des Publicums fehlte bis jetzt dem Unternehmer nicht, und konnte das Schützenhaus während der Michaelismesse des vorigen Jahres, wo es noch höchstens zweitausendfünfhundert Personen zugleich Raum bot, nahe an sechszigtausend Besucher zählen, so wird es jetzt, wo deren viertausend zur selben Zeit sich hier des Lebens freuen können, sicherlich seine Gäste bis zum vollen Hunderttausend begrüßen.

H. v. C.




Der Fels der Ehrenlegion.
Novelle von Berthold Auerbach.
(Fortsetzung.)
6. Ein künstliches Manöver.

Wie einen Zugehörigen, in herzlicher Zutraulichkeit, hieß Louise den Bräutigam ihrer Freundin willkommen. Sie hatte auf dem nahen Gutshause die Zimmer freundlich für ihn herrichten lassen, und wie er ihr nun dankte, wie der Mann so jugendlich straffen Ansehens mit bewegter Stimme sprach und scheu, ja fast furchtsam erschien, wie er sie groß anschaute und dann die Augen niederschlug, als sie ihn bat, auch ihre Freundschaft anzunehmen – in allem dem lag ein seltsames Widerspiel.

Er erinnerte Louise an die Begegnung in der Residenz, und sie fand es sehr aufmerksam, daß er noch wußte, welches Kleid, welchen Kranz sie trug und was sie damals mit einander gesprochen.

„Wie gefällt er Dir?“ fragte Marie, als sie mit Louise allein war.

„Ich begreife nicht,“ erwiderte Louise, „wie man fragen kann, wie einem Andern der gefällt, dem man sein ganzes Leben widmet!“

Marie schien getroffen von diesem Ernste; sie entschuldigte sich, und ihre sonst so behende Redeweise hatte etwas Stockendes und Stotterndes, da sie hinzufügte, ihre Verlobung mit dem Rittmeister sei noch nicht so entschieden.

Mit dem Vater stand der Rittmeister schnell in gutem Vernehmen, er erklärte zwar alsbald, daß er nur wenig Theilnahme für die politischen Tagesbewegungen habe, aber die Art, wie er das Gut besichtigte, die sachgemäßen und kurzen Bemerkungen, die er doch wiederum gewandt und bescheiden in die Form von Fragen überleitete, gewannen ihm bald Achtung und Neigung des Vaters, der dies auch gegen seine Tochter ausdrückte.

Der Rittmeister erklärte gegen Marie, daß er sich weniger befangen gegen Louise als gegen deren Vater fühle. Er wollte wissen, ob der Vater vom Stande der Sache unterrichtet sei; aber Marie verbot ihm, weiter darnach zu forschen. Sie fand eine angenehme Reizung darin, daß auch der Vetter Rittmeister sich noch in einem Geheimniß bewege. Das gab seinem Benehmen jene weichen Töne, die ihr wirksam erschienen, und schließlich war sie sich selbst noch nicht klar, ob man den Vater in das Geheimniß ziehen dürfe. Einstweilen verschob sie die Entscheidung bis zu einem gelegenen Moment.

Die Großmutter hatte die Mutter des Rittmeisters gekannt, und es eröffnete sich nach dieser Seite hin eine unvermuthete, freundliche Beziehung. Die Großmutter, die sonst immer schweigsam in ihrem Lehnstuhle am Fenster saß, sprach öfter mit dem jungen Manne, in dessen Erscheinung nicht nur, sondern auch in dessen ganzem Behaben sie eine Aehnlichkeit mit seiner Mutter fand.

So waren die Tage auf dem Landgute schön und anmuthig belebt. Man ritt, man fuhr in der Gegend umher, man wandelte nach Aussichtspunkten im nahen Gebirge, und Louise konnte nicht umhin, wiederholt die Freundin glücklich zu preisen, solch’ einen Mann gefunden zu haben. Es erschien ihr gerade angemessen, daß die flatterhafte, immer zum Scherzen aufgelegte Marie einem Manne sich anschloß, der, zumal in Betracht seiner Jugend, einen haltungsvollen Ernst zeigte.

Es fügte sich oft, daß Marie mit dem Vater und Louise mit dem Rittmeister ging, und ein besonders ergiebiges Verständniß erschloß sich daraus, daß auch der Rittmeister im landschaftlichen Zeichnen geübt war.

Man arbeitete gemeinsam, man verglich die Aufnahmen und Louise konnte in der That dem jungen Manne, der, wie er sagte, sein Zeichentalent nur wenig geübt hatte, mancherlei Anweisung geben. Der Rittmeister war sehr gelehrig und überraschte sie oft, wie schnell er ihren Anleitungen nachzukommen verstand.

Marie zog sich oft zurück, wenn Louise mit dem Rittmeister zusammen war. Der Vater äußerte zu seiner Tochter, wie seltsam kalt und fremd ihm das Benehmen der beiden Brautleute vorkäme. Louise fand dies gerade höchst angemessen und sie schilderte den Charakter des Rittmeisters in theilnahmvoller, ja in inniger Weise.

Als der Vater Marien dies wiedererzählte, bat sie ihn, mit ihr in den Garten zu gehen, und hier erklärte sie offen den ganzen Stand der Dinge.

Der Vater war im Innersten betroffen, er erinnerte sich, wie oft die Schwiegermutter gesagt hatte, Marie hätte sollen Schauspielerin werden. Wie ist es nur möglich, solche Dinge in’s Leben hineinzuspielen, die eigentlich nur auf’s Theater gehören und die man dort gelten lassen mag?

Er konnte lange kein Wort finden und endlich erklärte er, daß das Verfahren Mariens, gelindestens gesagt, ein verkehrtes sei; denn sie werde den beabsichtigten Zweck nicht erreichen. Von dieser Stunde an mußte er sich zwingen, sein Benehmen gegen den Rittmeister in der begonnenen Weise fortzuerhalten. Was ist dies für ein Mann, der sich zu einer solchen Intrigue hergiebt? …

Louise und der Rittmeister hatten eines Tages begonnen, die Burgruine in der Nähe zu zeichnen, ja sie wollten sie sofort nach der Natur malen, der Rittmeister in Wasserfarben, Louise in Oel. Sie arbeiteten emsig den ganzen Tag. Marie und der Vater wollten sie am Abend abholen. Der Vater äußerte unterwegs schwere Besorgniß über diesen Vorgang, der zu nichts führe und nur eine herbe Stimmung hinterlasse. Marie wußte aber mit ihrer übermüthigen, sprudelnden Laune darzulegen, daß diese kleine Hinterhaltigkeit viel zu schwer aufgenommen werde; Louise werde anfangs betroffen, ja ärgerlich sein, dann aber glücklich aufjubeln, daß man ihr einmal Gelegenheit gegeben, einen so tüchtigen Mann in unbefangener Weise kennen zu lernen. Sie wiederholte, wie Louise ihr immer gesagt, sie habe das Unglück, daß sie nur Verheirathete und Verlobte in gerechter Weise erkenne. Nun solle das Unglück zum Glück werden. Marie sprach lebhaft und so geschickt, daß der Vater nur noch die Achseln zuckte. Er kam mit Marien bei dem Standpunkte an, wo die Bilder aufgenommen wurden. Ein guter Imbiß wurde aus dem Wagen genommen, man saß wohlgemuth beisammen. Louise war indeß sehr ernst, sie sah oft träumerisch verloren vor sich hin und sagte, sie sei sehr unzufrieden mit ihrer Arbeit. Der Rittmeister gestand, er habe Besseres von Louise erwartet; es sei eine reinliche Sorgfalt in ihrem Bilde, aber es sei zu ängstlich, zu sehr mit sclavischer Treue ausgeführt, es fehle an Kühnheit. Marie sah ihn betroffen an über diese Aussprüche, aber sie lächelte schnell wieder: gerade diese Offenheit, dieser ehrliche Tadel gewinnt Louisen um so entschiedener.




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