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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

für die nothwendigsten Lebensbedürfnisse; Rochefort mußte an einen andern Erwerb denken. Er hat ein dramatisches Talent und schrieb einige Vaudevilles und Artikel über das Theater in der „Presse théatrale“; sie gelangen, und er trat im Jahre 1859 in die Redaction des „Charivari“. Im Jahre 1860 gründete Scholl „le Nain jaune“, um dem „Figaro “ Concurrenz zu machen. Er vertraute Rochefort die Wochenchronik in dem neuen Blatte an, und derselbe machte sich mit seiner Wochenchronik so bemerkbar, daß Millaud, als er „le Soleil“ gründete, ihn mit fünfzehnhundert Francs monatlich für sein neues Blatt engagirte. Später trat er in die Redaction des „Figaro“ ein. Als Mitredacteur des „Soleil“ und des „Figaro“ hatte Rochefort glänzende Erfolge. Niemals hat Rochefort aber – und dies muß ihm zum besondern Ruhm angerechnet werden – während seiner damaligen schriftstellerischen Thätigkeit in den charakterlosen und frivolen Ton der „petite Presse“ eingestimmt; selbst in seinen leichtestem und unbedeutendsten Artikeln trat immer das Streben hervor, die dreifache Sache der Gerechtigkeit, der Freiheit und der Moral an der Charakterlosigkeit und Frivolität des bonapartistischen Regimes zu rächen. Wer sich davon überzeugen will, der durchblättere die drei Bände seiner Schriften: „la grande Bohème“, „les Français de la décadence“ und „les signes du temps“, in denen er die Artikel, welche er als Mitarbeiter der „kleinen Presse“ geschrieben, gesammelt hat. Vom ersten Tage seiner schriftstellerischen Laufbahn an hat er diesen von mir eben bezeichneten Weg eingeschlagen, ist niemals von ihm abgewichen und ist auf diesem Wege zur „Laterne“ gelangt, mit welcher er seinen Feldzug gegen die bonapartistische Regierung mit noch nie dagewesenen Erfolgen eröffnete. Die Regierung hat seine Unabhängigkeit, seine Unbestechlichkeit und seinen Charakter auch recht wohl gekannt. Eines Tages ließ man den Eigenthümer des „Figaro“ rufen und stellte ihm die Wahl zwischen der Unterdrückung seines Blattes oder der Entlassung Rochefort’s aus der Redaction. Rochefort schied aus und gründete seine „Laterne“. Die erste Nummer erschien im Juni 1868. Welch unerhörte Folge dies Blatt gehabt hat, weiß Jedermann. Unerbittlich, schonungslos griff es Personen und Zustände an und überhäufte sie mit den bittersten Sarkasmen; in jeder Nummer leerte er einen vollen Köcher der spitzigsten Pfeile; jeder Pfeil traf und blieb im Herzen des Feindes sitzen, und mit jeder neuen Zeile, die Rochefort schrieb, legte er von Neuem die Hand auf die offene Wunde.

Die „Laterne“ brach das Kirchhofsschweigen, welches seit dem 16. Februar 1852 auf der öffentlichen Stimme in Frankreich gelastet hatte. Rochefort sprach das öffentlich aus, was Jedermann seit sechszehn Jahren dachte. Er wurde der Rächer des Gewissens des französischen Volkes, dem die Regierung des zweiten December seit sechszehn Jahren ungestraft in’s Gesicht geschlagen hatte. So wurde Henri Rochefort der Mann der Situation, und als er im Kampfe unterlag und nach Belgien floh, da folgte ihm die Sympathie aller anständig denkenden Männer in Frankreich, aller Freunde der Wahrheit, der Freiheit und der Gerechtigkeit. Damals war das öffentliche Gewissen des Volkes seine Stärke. Heute trägt ihn der Strom der revolutionären Bewegung, welche mit dem Kaiserthum nichts mehr zu thun haben, sondern unter allen Umständen die Republik wiederherstellen will. Rochefort ist der ausdrucksvollste, prägnanteste Typus der „Unversöhnlichen“; die Sprache der „Marseillaise“ ist die Sprache des ersten Pariser Wahlbezirks, der ihn zu seinem Deputirten gewählt hat. Wem diese Sprache nicht gefällt – der hat wohl die siebenzehnjährige Vergangenheit des Kaiserthums in Frankreich vergessen, oder er hat sie nie gekannt. Er schlage das Schuldbuch Louis Bonaparte’s und der Staatsstreichmänner des December auf; er zähle die Hunderttausende von Leichen, welche auf den Barricaden, in Mexico, in der Krim, in Cayenne dem Kaiserreich zum Opfer gefallen sind; er lasse sich in Paris die Persönlichkeiten aller Großwürdenträger des Empire, von Morny bis auf Bazaine und Pietri, schildern – und ich bin überzeugt, wenn er sich nur vierzehn Tage mit dieser Lecture und mit dieser Unterhaltung beschäftigt hat, dann wird er dem tapfern Rochefort dasselbe sagen, was ich ihm bei meinem ersten Besuche in dem düstern Hause der Aboukirstraße gesagt habe.

Gustav Rasch.




Bilder aus der kaufmännischen Welt.
Die Auctionen Ihrer Majestät.

„Die Kirche hat einen guten Magen,“ sagt Freund Mephisto seinem Schützling Faust; aber es will mich bedünken, als müßte der durchlauchtigste Magen Ihrer allergnädigsten Majestät von Großbritannien und Irland auch nicht zu den schlechtesten zählen und so ziemlich Alles und Jedes gebrauchen und verdauen können; wenigstens spricht dafür, was ich neulich, meiner Gewohnheit nach im Meere der Londoner Straßen Entdeckungsfahrten anstellend, auf einer Menge von riesigen Anschlagszetteln an unterschiedlichen Planken und Mauerecken zu lesen bekam. Da stand nämlich wörtlich, wie folgt:

„Hundertsiebenundneunzigste Versteigerung. Zollhaus, London. Auf Befehl der ehrenwerthen Commissäre von Ihrer Majestät Zöllen sollen im Verkaufslocale von Mincing Lane am … dieses Monats die nachverzeichneten Waaren zum Verbrauch im Inlande oder zum Export in’s Ausland öffentlich versteigert werden. Bier, Branntwein, Cigarren, Eau de Cologne, Genever, Kaffee, Kerzen, Liqueure, Messerschmiedwaaren, Privateffecten, Rum, Spirituosen, Tabak, Thee, Uhren, Wein, wohlriechende Essenzen, wohlriechende Seifen, Zucker und noch unterschiedliche andere Artikel.“

Fürwahr, ein allerliebstes Mixtum compositum von Handels- und Gebrauchsgegenständen aller Art, ohne andere Verbindung und Ordnung als nach der zufälligen alphabetischen Reihenfolge ihrer Anfangsbuchstaben. Und was für ein Chaos der mannigfaltigsten Dinge mag sich noch in den Rubriken „Privateffecten“ und „unterschiedliche andere Artikel“ verstecken! Wenn diesen ganzen Mischmasch aber die Königin von England unter den Hammer bringt, welchen wunderbaren Bazar voll der heterogensten Waaren muß sie alsdann besitzen, und, so fragt man mehr noch, wie mag Ihre Majestät zu solch einem ungeheuren Sammelsurium von Roh- und anderen Producten kommen?

Die Antwort auf diese Frage erklärte mir ein mit allen einschlagenden Verhältnissen wohlvertrauter Freund aus der Londoner Handelswelt; sie ist einfach die: Sämmtliche der aufgeführten Artikel sind Waaren, welche das Londoner Hauptzollamt an der Themse wegen Mauthdefraudation oder falscher Declaration oder weil ihre Einführung in England überhaupt verboten ist, im Namen der Königin confiscirt hat oder die ihm auch wohl von den Eigenthümern freiwillig überlassen worden sind und die nun, wie der amtliche Redestil lautet, von „Ihrer Majestät“ verauctionirt werden.

Die britische Mauth, ward ich weiter belehrt, ist eine sehr gestrenge Dame und zugleich das System der verschiedenen Eingangszölle – denn nur diese komme hier in Betracht – ein gar complicirtes. Die von China einlaufenden Theeschiffe, jene famosen Klipper, welche so pfeilgeschwind die Meere durchfurchen, die Schiffe mit Bauholz aus Norwegen und Nordamerika und wenige andere ausgenommen, besteht, wie man sich denken kann, die Ladung eines Fahrzeuges in der Regel aus mehr als einer Waaren- oder Productengattung. Unterliegen diese sämmtlich dem Zoll oder gar dem gleicheb Zoll, so ist die Procedur natürlich eine sehr einfache. Dies ist indessen gewöhnlich nicht der Fall, und es geschieht darum nur zu häufig, daß die verzollbaren oder die Gegenstände, für welche ein höherer Zoll zu entrichten ist, auf die schlaueste und ingeniöseste Weise in die mit steuerfreien oder niedriger besteuerten Artikeln gefüllten Tonnen, Kisten, Ballen, Körbe, Packen, Flaschen etc. mit verpackt werden, so daß die Ladung äußerlich einen höchst unschuldigen Charakter trägt. Allein die englischen Zöllner sind geriebene Gesellen, auch nicht, wie in gewissen anderen Ländern, vermöge der gehörigen Dosis von Rubeln oder Gulden blind und taub zu machen, und wenn namentlich durch irgendwelchen Umstand ihr Verdacht schon rege ist, alsdann geht die allerpeinlichste Untersuchung des Schiffes vor sich und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 282. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_282.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)