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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

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beiläufig, sich selbst ein hübsches Pöstchen Domingokaffee gesichert hatte, „wie Ihre Majestät unsere allergnädigste Königin von Zeit zu Zeit ihren Bazar auskehrt. Aber jetzt kommen Sie,“ setzte er hinzu, indem er seinen Arm unter den meinigen schob; „wir haben nicht allzu weit nach Leadenhall-Street, dort im ‚Ship und Turtle‘ wird Ihnen ein Teller echter Schildkrötensuppe, wie sie in gleicher Vollkommenheit nirgends anderswo auf dieser Erde zu haben ist, nach Ihren kaufmännischen Studien vortrefflich munden.“




Was aus jeder Caserne werden sollte!

Vor zwanzig bis dreißig Jahren hieß Preußen vorzugsweise das Land der Schulen und Casernen, indem es seine Macht hauptsächlich auf seine Bureaukratie und sein Militär stützte. In neuerer Zeit ist jedoch ein neues kräftiges Element hinzugetreten, das mit wunderbarer Schnelligkeit sich entwickelt und den Nationalwohlstand zu einer nie geahnten Höhe gebracht hat – die Industrie. Ihr verdankt vor Allem Berlin den großartigen Aufschwung und seine überraschende Entwicklung zur Weltstadt. Wo sonst öde Sandflächen uns entgegenstarrten, erheben sich jetzt Paläste der Industrie, mächtige Fabrikanlagen, riesige Etablissements, wo Tausende von Arbeitern vom frühen Morgen bis zum späten Abend die fleißigen Hände rühren und ein glänzendes Zeugniß für die Ausdauer, die Intelligenz und Tüchtigkeit des Berliner Bürgerthums ablegen. Hauptsächlich durch die Industrie hat sich die Einwohnerzahl in den letzten fünfundzwanzig Jahren mehr als verdoppelt, ist das Vermögen der Residenz um das Vierfache bis Sechsfache seines früheren Umfangs gestiegen. Mit dem wachsenden Capital geht ein entsprechender Unternehmungsgeist Hand in Hand, der fortwährend neue staunenswerthe Schöpfungen in’s Leben ruft.

Durch das Zusammenwirken aller dieser Kräfte gewinnt die Physiognomie der Stadt mit jedem Tage ein verändertes Aussehen. Ganze Straßen und Stadttheile sind neu erstanden und eine Reihe von Passagen, Prachtbauten und ähnlichen zweckmäßigen und gemeinnützigen Anlagen sind in Angriff genommen oder stehen in naher Aussicht.

Zu den hervorragendsten Unternehmungen auf diesem Gebiete zählt das großartige Industrie-Gebäude des Herrn Hermann Geber in der Commandantenstraße, dem das Verdienst gebührt, die Residenz durch eine eben so nützliche wie schöne Anlage bereichert und geschmückt zu haben. Noch vor zwei Jahren stand an derselben Stelle die verlassene Caserne des Kaiser-Franz-Regiments, welche der Kaufmann Levinstein von dem Militär-Fiscus erstanden hatte. Durch seinen Tod wurde die Uebernahme des Grundstücks verhindert, bis am 17. September 1868 Herr Geber in dem angesetzten Licitations-Termine die Caserne an sich brachte und mit 182,500 Thalern bezahlte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 285. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_285.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)