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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

geniale Ludwig Devrient, während ein Künstler wie Lemm, der Darsteller erster Partieen wie Wallenstein und Götz, die Episode des Rectors, und der gleichfalls bedeutende Beschort diejenige des Richters übernommen hatte. Die Titelrollen befanden sich in den Händen eines Lieblingsschülers von Iffland einerseits: Rebenstein – und der später so berühmten Madame Stich(-Crelinger) andererseits; eine Besetzung, welche gewiß auserlesen zu nennen ist.

Kaum war Toepfer, um die Leseprobe zu leiten, in diesen edeln Verein großer Talente getreten, so wandte sich Madame Wolff an ihn mit der Bitte, der Versammlung sein Stück vorzulesen. Der Bescheidene lehnte ab und wies darauf hin, daß „solche Künstler …“ – „Nein, nein,“ unterbrach ihn die Wolff, „wir wollen das Stück ganz so spielen, wie Sie es sich gedacht haben; lesen Sie nur, lesen Sie!“

Toepfer mußte sich fügen. – Nach seinem Vortrage schüttelten ihm die Schauspieler die Hände; Amalie Wolff rief voll Wärme: „Nun wollen wir getrost auf die Bretter gehen; Sie werden zufrieden sein!“

Schon bei der ersten Theaterprobe ging der Dialog fließend und pointirt. Nur Ludwig Devrient wußte von seiner Rolle nicht ein Sterbenswort. Der Souffleur wurde für des Apothekers immerwährendes Stocken verantwortlich gemacht. „So thun Sie doch den Mund auf!“ rief ihm Devrient zu, „mit dem Menschen ist es unmöglich zu probiren!“ – Dann kehrte er sich zu Toepfer und sagte: „Du brauchst nicht bange zu sein; Abends geht es doch!“ – „Spiele immerhin, wie Du gewohnt bist,“ beruhigte ihn Toepfer. „Wir sind ja alte Freunde und kennen uns nicht erst seit heute!“

Der arme Mensch da unten im Kasten soufflirte nun, daß ihm der Angstschweiß auf die Stirn trat – aber der Apotheker war wie mit Taubheit geschlagen. Nach ein paar Sätzen ging das Schelten wieder an, und da Devrient Miene machte, Toepfer zuzurufen: „habe keine Angst …“, so kehrte dieser mit einem verdrießlichen: „Laß mich zufrieden,“ der Bühne den Rücken, weil er glaubte, der reizbare Künstler ließe sich durch die fremde Regieführung beirren.

Bei der zweiten und dritten Probe ging es ebenso. Toepfer hielt sich während der Scenen Devrient’s hinter den Coulissen und beobachtete von dort aus mit gelindem Grauen, wie dieser bis auf den letzten Moment nicht eine einzige Rede ohne merklich lautes Vorsagen des Souffleurs zu recitiren wußte. So rege Befürchtungen indeß der junge Schriftsteller in Betreff eines tadellosen Ineinandergreifens der Vorstellung hegte: er schwieg, aus Rücksicht für Devrient’s Empfindlichkeit.

Der Abend kam. Das Haus war von Zuschauern gedrängt voll. Toepfer’s Herz schlug gewaltig – handelte es sich doch um das Schicksal seines ersten bedeutenden Stückes in der Vaterstadt, waren doch seine Eltern, seine Verwandten, seine Jugendfreunde als Zeugen gekommen, zu seinem Triumphe – oder zu seiner Niederlage.

Allein bald löste sich der Felsblock, der ihm den Athem hemmte, von der Brust des Bangenden – die Darstellung war von einer unvergleichlichen Trefflichkeit. Das Wolff’sche Künstlerpaar überbot sich selbst, gleicherweise die Inhaber der übrigen Rollen; und Devrient –? Devrient gab den alten Junggesellen mit so scharfem und doch graziösem Humor, groß, wenn er sprach, und noch größer, wenn er nur mimisch an der Handlung Theil nahm, stattete er den Charakter mit einer solchen Fülle lebenswahrer Nuancen aus, daß das Publicum ihn mit Beifall überschüttete. Er trieb die Figur fast zu sehr in den Vordergrund, Wolffs mußten sich mit ihm in die Lorbeeren des Abends theilen – ein Erfolg, der nur einem so wunderbar begnadeten Genius, wie dieser, erreichbar war. Stück und Darstellung wurden mit wahrem Jubel aufgenommen; man sprach in den Zeitungen von einem Weiheabend, und gegen fünfzig Mal wurde das einfache Schauspiel im ersten Jahre wiederholt.

Reich mit Lorbeeren beladen, kehrte Toepfer nach Wien in sein Engagement zurück. Auf der so erfolgreich betretenen Bahn rüstig fortschreitend, schrieb er schon im nächsten Jahre sein vaterländisches Lustspiel „Des Königs Befehl“, welches den Helden des siebenjährigen Krieges, Friedrich den Großen, auf die Bretter brachte und schnell die Runde über alle deutschen Bühnen machte, während er als Schauspieler mit Erfolg weiter wirkte.

Trotzdem Toepfer solchergestalt eine sehr hervorragende Stellung in der deutschen Theaterwelt bekleidete, reifte doch gerade damals der Entschluß in ihm, der praktischen Bühnenthätigkeit zu entsagen und sich gänzlich der Dramaturgie und der Feder zu widmen. Er mochte die Wahrheit des Goethe’schen Ausspruchs über die Schauspielkunst an sich erfahren haben: „Ist wohl irgend ein Stückchen Brod kümmerlicher, unsicherer und mühseliger in der Welt? Beinahe wär’s eben so gut, vor den Thüren zu betteln.“ Nur mit Mühe konnte der beliebte Darsteller seine Entlassung bekommen; ja, man bot ihm an, seine Stelle ein Jahr lang offen zu halten, damit er sie wieder einnehmen könne, wenn seine Ansichten sich geändert hätten. Toepfer wußte, daß dies nicht geschehen würde, und verließ Wien. Die Richtung seiner Reise ging nach Norden; Hamburg war der Ort, den er sich zu seinem Domicil auserwählt.

Um jene Zeit, und zwar im Juni 1822, ernannte ihn die Universität Göttingen zum Doctor der Philosophie, „post exhibita ingenii specimina“, wie es in dem Diplom heißt. Im Hannöverschen war der junge Autor wohlbekannt; hatte er doch ein Bändchen Novellen, „Zeichnungen aus meinen Wanderjahren“, im Verlage der renommirten Hahn’schen Hofbuchhandlung erscheinen lassen.

In Hamburg sich eine Stellung zu gründen, war dem begabten Manne, dem liebenswürdigen Gesellschafter rasch gelungen – bald schuf er sich denn auch einen häuslichen Heerd, indem er sich im Jahre 1831 mit Fräulein Friederike von Hafften aus Bützow in Mecklenburg-Schwerin vermählte. Mit ihr lebt er seit achtunddreißig Jahren in glücklichstem Vereine; ein Sohn, welcher aus dieser Ehe hervorging, advocirt in Hamburg, nachdem er zum Dr. jur. utr. promovirt worden.

Die literarische Wirksamkeit Toepfer’s in Hamburg erstreckte sich anfangs auf die Redaction der Zeitschrift „Thalia“, welche er sieben Jahre hindurch leitete; dann gründete er zunächst die „Originalien“, ein schnell renommirt gewordenes Blatt, welches seiner Zeit die vorzüglichsten Namen zu seinen Mitarbeitern zählte, und später die kritische Wochenschrift „Der Recensent“. Für diese Blätter war Toepfer zugleich neben der Oberleitung noch mannigfach selbstschöpferisch thätig: so schrieb er mehrere kleine Romane, die später im Buchhandel erschienen, aber jetzt sämmtlich vergriffen sind, und dichtete neben verschiedenen Balladen eine Menge lyrischer Kleinigkeiten, von denen einst Heinrich Heine, der mit Toepfer befreundet war, sagte, daß sie ihm den ersten Anstoß zum lyrischen Dichten gegeben hätten.

Toepfer’s langjährige und ersprießliche Thätigkeit als Dramaturg ist bekannt; befanden sich doch unter seiner Leitung Künstler von dem Renommée eines Hendrichs und einer Krebs-Michalesi. Aus weiter Ferne kamen sie, um bei Toepfer einen Cursus durchzumachen. Dabei lag auch die dramatische Schriftstellerei nicht still. Die Zahl der von Toepfer auf die Bühne gebrachten Werke beläuft sich auf zweiunddreißig, theils Originale, theils Nachbildungen fremder, namentlich englischer Stücke. In allen klingt als Grundton jene Seite des Toepfer’schen Wesens wieder, welche schon dessen schauspielerische Gebilde vortheilhaft charakterisirte und welche auch dem Menschen so zahlreiche Freunde erworben hat: innere Liebenswürdigkeit und reichste Herzensgüte. – Auf dem Repertoire befinden sich gegenwärtig noch: „Hermann und Dorothea“, „Des Königs Befehl“, „Die Einfalt vom Lande“, „Nehmt ein Exempel dran“, „Zurücksetzung“, „Freien nach Vorschrift“, „Der Pariser Taugenichts“, „Bube und Dame“, „Karl der Zwölfte auf der Heimkehr“, „Der reiche Mann, oder: Die Wassercur“, welches in Wien eine so lange Reihe von Darstellungen erlebte, daß man dem Verfasser aus freien Stücken das Honorar noch einmal zahlte – und manches andere. Sämmtlich vor Erlaß des Tantièmegesetzes abgefaßt, gewähren sie ihrem Autor nicht den mindesten Vortheil. Nur „Rosenmüller und Finke“ ward nach Erlaß jenes Gesetzes zur Darstellung gebracht; von diesem Lustspiel allein zahlen Wien und Berlin Tantième.

Dieser Thatsache eingedenk, veranstaltete das Hamburger Thalia-Theater am 29. Januar dieses Jahres eine fünfzigjährige Jubiläumsfeier von „Hermann und Dorothea“, die Einnahme des Abends dem greisen Bühnendichter überweisend. Die Vorstellung wurde mit wahrhaft festlicher Stimmung aufgenommen, die sich namentlich gegen die Darsteller des Ehepaares Feldern – Heinrich Marr und Frau Petzold – in unablässigem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 295. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_295.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)