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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

„Armida“ und auf sein Einstudiren von Cherubini’s „Abencerragen“ im Jahre 1828, für welches Werk er sich besonders interessirte. Er wußte wohl, daß diese Oper niemals Popularität gewinnen und den grands ouvrages Abbruch thun könne, aber er verehrte auch das Meisterwerk aufrichtig, wie er denn für tiefsinnige Musik entschieden Neigung hatte. Sebastian Bach war ihm überaus merkwürdig, auch ließ er sich lange Zeit des Sonntags vor Tische Beethoven’s nachgelassene Quartette vorspielen, wozu ich öfter eingeladen war. Er las dann in der Partitur nach, um mit peinlichem Eifer sich anzueignen, was ihm nur halb verständlich war.

Mehrmals unternahm er auch Werke von dem ihm völlig geistesfremden Händel zu dirigiren, Alexanderfest und Simson; d. h. er tactirte nach den Winken, die Andere ihm geben mußten. Da er wußte, daß mir, als ständigem Solosänger der Singakademie, Händel’s Werke sehr bekannt waren, forderte er mich auf, bei den Proben unter den Sängern einen Platz ihm gegenüber einzunehmen, wo er dann fragende und sorgenvolle Blicke über die Partitur hin nach mir sandte, die ich so discret als deutlich zu erwidern suchte.

Daß bei einer solchen Art von Musikmacherei von einer eigentlichen Interpretation, von einer Reproduction des Musikwerkes nicht die Rede sein konnte, war selbstverständlich, es handelte sich auch nur darum, den eitlen Ehrgeiz Spontini’s zu befriedigen, die Thatsache festzustellen: daß er Händel’sche Oratorien dirigire, daß er eben Alles verstehe und könne. Wenn er bei solchen Anlässen der Beschämung nicht immer entging, so wußte er das vornehm zu ignoriren.

Einst trat er, als eine seiner Conferenzen noch nicht vollzählig war, auf die Bühne und fand uns bei einer Probe der Zauberflöte, im letzten Finale, beim Erscheinen der Königin der Nacht. Das Tempo più moderato des geheimnißvollen Cmoll-stückes sagte ihm nicht zu, und eingedenk des ihm zustehenden Rechtes: jederzeit und überall in die musikalische Direction eintreten zu dürfen, unterbrach er die Musik, an die Lampen tretend: non, non, ce n’est rien, il faut plus d’énergie. Und er markirte das eben gehörte Thema in verdoppeltem Tempo, mit Fußtritten die halben Tacte bezeichnend und die Schlußnote mit einem stärkeren Aufstampfen, dazu den ihm gewohnten Ausruf pang!

Der gute alte Musikdirector am Dirigirpulte war verdutzt, sammelte sich aber zu einigen französischen Worten mit denen er eine Berufung auf die Partitur ausdrücken wollte, welche er Spontini hinaufreichte. Dieser nahm sie, trat näher an die Lampen und warf mir einen fragenden Blick zu, den ich mit einem warnenden Kopfschütteln erwiderte. Er sah in die Partitur, sagte vornehm: „eh bien!“ wandte sich kurzum und ging zu seiner Conferenz.

Je länger je mehr enthielt er sich vorwitziger Einmischungen und fand in seiner reservirten Haltung besser seine Rechnung; den Nimbus, den er um sich verbreitet wünschte, wollte er selbst in seinen engsten Beziehungen nicht schädigen. Ich war öfter in seinem Hause, als ich, bei meiner Antipathie gegen sein Naturell, es wünschte, und hatte hinlängliche Gelegenheit, ihn in vertrautem Kreise, bei Tisch etc. zu beobachten, aber niemals bin ich einem Zuge von harmloser Unbewachtheit, von zwangloser Hingebung begegnet. Selbst seiner gutmüthigen und wohlwollenden Frau, die überall zu vermitteln suchte, all’ seine Besorgungen und Bestellungen übernahm, selbst dieser begegnete er herb. Freundlich und schmiegsam habe ich ihn nur gegen vornehme adlige Personen gesehen; denn in eine höhere Standesschicht sich hinaufzubringen war sein vorherrschender Ehrgeiz, obschon er den Stolz auf seinen Künstlerruhm gern geltend machte. Als Weber mit seiner Euryanthe sich auf denselben Boden mit den grands ouvrages stellte, Auber mit seiner „Stumme von Portici“ die größten Erfolge erlangte, Rossini mit seiner „Eroberung von Corinth“ und mit „Wilhelm Tell“ sich in die Reihe der hochdramatischen Componisten drängte, sagte Spontini mit großem Selbstgefühl: „c’est moi, qui a mis la brêche, par laquelle ils marchent tous! tous!“ Auch dem Grafen Brühl erwiderte er in einem Competenzdisput, als dieser ihn seine Rangstellung empfinden ließ, „eh bien, vous êtes un des chambellans du roi, et moi, je suis Spontini.“ Doch hätte er gern den Ruhm, Spontini zu sein, für den Grafentitel oder einen Ministerposten hingegeben. Wie man in wohlunterrichteten Kreisen besprach, hat er zur Zeit der Wirren der Regierung mit dem Erzbischofe von Köln den König bestürmt, ihn als außerordentlichen Gesandten nach Rom zu schicken; er stehe gut mit dem Papste und verbürge die Beilegung der Differenz.

Diesen eiteln Hochmuth gab er sogar jedem ihn Besuchenden preis, denn in seinem Arbeitszimmer prangten in reichen, vergoldeten Rahmen nicht nur seine Ordensdiplome und die Pläne zu einer Kuppelkirche, deren Bau er in seinem Geburtsorte Jesi im Kirchenstaate projectirte, sondern auch das gemalte Wappen, das er bei seiner künftigen Standeserhöhung sich wollte ertheilen lassen; es zeigte im Hauptfelde ein stattliches Schiff, das mit schwellenden Segeln der Sonne zusteuert. In seinem Salon, wo die Clavierproben der grands ouvrages stattfanden, hing sein lebensgroßes Bild in ganzer Figur, von Winterhalter gemalt. Er war in schwarzem Hofanzuge, mit allen Orden angethan, sitzend dargestellt, seine linke Hand griff die Tasten des Claviers, die rechte hielt einen offenen Brief, an dessen Schluß zu lesen war: „tout à Vous.   Witzleben.“ Die Intimität mit diesem einflußreichen Manne sollte an seinem Portrait nicht vermißt werden.

Schon 1822 hatte sein Benehmen bei seinem Besuche in Wien Fiasco gemacht, wie man mir ein Jahr danach in Wien allgemein erzählte. Seine ceremoniösen Manieren, sein tägliches Prunken mit allen Ordensdecorationen, die er sogar in verkleinerten Nachbildungen auf seinem weißflanellenen Morgenrocke hatte sehen lassen, erregten den Spott der leichtlebigen Wiener, und das um so mehr, als der zu derselben Zeit anwesende Rossini – damals auf dem Gipfel der Popularität – sich frei und prätensionslos, in seiner witzigen liebenswürdigen Weise, dem lustigen Wiener Leben harmlos hingab und alle Welt bezauberte. Spontini hatte gerade in Wien den von ihm verachteten Melodisten durch sein Ansehen in Schatten zu stellen gesucht, und ging nun verspottet von dannen.

In Berlin wuchs seine Unbeliebtheit von Jahr zu Jahr; man warf es ihm auch als Geringschätzung der Nation, die ihn hoch bezahle, vor: daß er sich so leichtfertig mit deutscher Musik und so gut als gar nicht mit deutscher Sprache beschäftigte. Denn was er papageienmäßig an deutschen Wörtern gelernt hatte, brachte er meistens in lächerlicher Weise zur Anwendung. Seine piano-Verordnung „rien qu’un souffle“ dolmetschte er: „ich will nichste ören, nur eine Luft!“ und als er, während einer Probe bei einem störenden Zank, den immer rothglühend ereiferten alten Chordirector beruhigend an sein Alter mahnen wollte, sprach er mit Salbung: „o stillen Sie, Sie sind ein altes Mensch!“

Aber diese Fremdheit deutscher Sprache und deutschen Geistes sollte ihm ernsthaft zum Nachtheil gereichen, als wieder eine Compositionsnöthigung – für eine abermalige Vermählung im Königshause – am Horizont erschien, und ihm dazu ein Gedicht von Raupach geboten wurde. Dieser stand damals bei Hof und Publicum im vollsten Ansehen, und nur Kundige erblickten die Klippe, die sich für Spontini aus dieser Aufgabe erhob. Der Stoff war die heimliche Verheirathung von Agnes von Hohenstauffen mit dem Prinzen von Braunschweig, aber Raupach war durch und durch unmusikalisch, verstand also die musikalischen Motive der Handlung weder aufzufinden, noch sie für die Composition geschickt auszubeuten. Der Auffassungsweise Spontini’s war das Gedicht sehr fremd und mit aller Selbstplage konnte er bis zum 28. Mai 1827, dem Vermählungstage des Prinzen Karl, nur einen Act zu Stande bringen, dessen Aufführung dann mit einem großen Ballet „Amphéon“ eine etwas klägliche Festzierde abgab, und Anlaß zu vielfachem Spott und Hohn wurde. Zwei weitere Jahre brauchte er, um zur Vermählung des Prinzen Wilhelm, des jetzigen Königs, 12. Juni 1829, die Oper in drei Acten fertig zu machen.

Diese Oper bezeichnete die unterste Stufe des Verfalls von Spontini’s Talent, sie entbehrte aller Erfindungskraft, war ohne alles Verständniß des Charakters und Ausdrucks des Gedichtes, mühsam aus dem Abfall seiner letzten schwachen Opern zusammengestoppelt. In diese künstlerische Oede hatte der eitle Hochmuth seiner Stellung, die ehrgeizige Prätension mit ihrem äußerlichen Apparat und ihrer wachsamen Intrigue, den ruhelosen Mann geführt. Und so lebte er in Berlin noch über zwölf Jahre hin in Streit und Chicane gegen die General-Intendanz zur Aufrechthaltung seiner für das Kunstinstitut vollständig unfruchtbaren Vorrechte, gegen welche die General-Intendanz bei jeder Vornahme verstoßen mußte, um nur die Arbeit in Thätigkeit zu setzen. Der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_303.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)