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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Schmied, als sie in halb- oder dreiviertelseligem Dusel das Geisterhaus besuchten, um sich von der grausen Mär zu überzeugen, vor dem Klopfen und dem Scharren und dergleichen Dingen so erschraken, daß sie eiligst die Stiege hinabstolperten und mit Steinwürfen regalirt wurden, geschleudert, wie sie versicherten, von Geisterhand, da meilenweit auf der Prairie keine Steine zu finden sind.

Fast hatte ich die ganze Geschichte vergessen, als gegen Abend ein Knabe, Sohn des F., eintrat und mir sagte, Vater, Mutter und er selbst seien krank und ganz herunter. Bei Tage die schwere Erntearbeit und dann keine Nachtruhe, da regelmäßig zur Geisterstunde der Spuk losgehe und, obgleich sie todtmüde, an Schlaf nicht zu denken sei. Die Eltern ließen mich um Gotteswillen bitten, ihnen zu helfen, den Geist zu bannen. Der W. habe ihnen gesagt, ich könne Alles und sei der einzige Mann in Amerika, der ihnen helfen könne. Anfangs wurde ich fuchsteufelswild über die Stupidität; allein die ganze Zumuthung war so komisch, der Junge sah so elend aus und bat so dringend und flehend, daß ich ihn, nachdem ich ihn über Verschiedenes noch ausgefragt hatte, mit dem Bescheide abfertigte, ich würde kurz vor elf Uhr Nachts dort eintreffen, das solle er seinen Eltern im Geheimen, aber ja sonst Niemandem mittheilen, sonst gehe es ihm schlecht. Der Junge athmete tief auf und ging.

Nun rief ich meinen Arbeiter (Knecht) Landolin S., meinen Neffen Otto und setzte ihnen, sowie meinem Freunde H. v. V., welcher die Expedition mitmachen wollte, auseinander, daß der Geist solle erlöst werden, zu welchem Behufe sie drei saftige Hickory-Bengel schneiden und sich bereit halten sollten. Ich selbst schnitt eine Haselruthe mit einer Gabel, decorirte sie durch theilweise Entfernung der Rinde mit Figuren gar absonderlich anzuschauen, hing mein Jagdhorn unter den Rock, steckte den Revolver in die Tasche, nahm ein 1646 gedrucktes Corpus juris canonici von ehrwürdigem schweinsledernem Aussehen, groß Quart, zur Hand, und der Marsch in die Prairie nach der über zwei Meilen entfernten F.’schen Farm wurde angetreten. Meine Begleiter waren voll Jubel und Muthwillen. Sie erhielten die Instruction, sich in einiger Entfernung vom Hause, im Prairiegrase versteckt zu lagern, sobald sie aber drei Stöße meines Jagdhornes vernähmen, im Geschwindschritte herbeizukommen und mit ihrer Handvoll ungebrannter Hickory-Asche die Geister, welche ich ihnen bezeichnen würde, windelweich auszutreiben. Luftsprünge vor Vergnügen!

Mit Würde und Salbung betrat ich das Haus; verblüfft sehen mich die „grünen“ Gäste an; die Hausfrau wollte in Redefluß gerathen – „Still!“ sie schwieg.

„Herr F.,“ begann ich, „Sie haben mich bitten lassen, Sie von dem bösen Geiste, der im Hause spukt, zu befreien!“

„Ja, Herr.“

„Wenn ich Ihnen Ruhe verschaffen soll, so muß ich in Ihrem Hause volle, unbeschränkte und unbedingte Gewalt über Alles, was lebt und nicht lebt, haben; wenn ich mit Stricken knebeln und mit Ketten fesseln will, muß mir dieses ohne Widerrede und Widerstand zustehen. Wollen Sie mir diese volle Gewalt einräumen?“

„Ja, Herr.“

Hier wollte das alte Weib des „Grünen“ etwas drein sprechen, da es ihr offenbar ein wenig unheimlich ward.

„Still,“ herrschte ich, „hier rührt sich Niemand, hier spricht Niemand, mein ist alle Gewalt. Stellen Sie den Tisch in die Mitte des Zimmers und mehrere Lichter darauf,“ befahl ich, während ich die Thür abschloß. Es geschah. Nun ordnete ich die Lichter auf dem Tische, legte das alte Corpus juris in die Mitte, den Revolver rechts, die Ruthe links. Die sämmtlichen Anwesenden mußten sich in einer Reihe auf eine Bank an der Wand gegenüber setzen. Jeder Versuch zu reden wurde mit ‚Still!‘ niedergeworfen. Aengstlichkeit auf den meisten Gesichtern. F. und seine Frau schienen allein erleichtert, und die Hoffnung, die bisherige Qual loszuwerden, stand deutlich auf ihrer Stirn. Nun schlug ich auf’s Gerathewohl das Buch auf. Decr. Greg. Liber II. Tit. XVI. ut lite pendente nihil innoveatur lag vor mir. Es kostete mich heillose Mühe, nicht laut aufzulachen und meine Salbung zu bewahren, als mir die alte Proceßvorschrift entgegenstarrte. Jede Maus hätte man laufen hören. Nun schaute ich ernst nach der Decke des Zimmers und bewunderte, was da oben für Allerlei hing. Dann nahm ich den Stab (die Ruthe) in die Hand und las Capitel I., blickte dann feierlich nach einer Ecke, wo ein alter Kittel hing. Dann nahm ich eines der Lichter, ging um den Tisch, trat zu der Reihe der Sitzenden, leuchtetete Jedem einzeln in das Gesicht, fixirte ihn starr und scharf, besonders den ‚alten Grünen‘ M. und Frau Gemahlin. Sie konnten den Blick nicht aushalten. Dann untersuchte ich die Schädel der Anwesenden, wie Phrenologen thun. Als ich den Schädel des ‚alten Grünen‘ M. untersucht hatte, trat ich rasch einen Schritt zurück, noch einmal vor, fixirte ihn scharf und rief aus: „Der ist’s, der ist’s. Herr F., der Mann und seine ganze Sippe müssen, sobald der Tag graut, aus Ihrem Hause, weg von Ihrer Farm, weg aus der Nähe, so weit wie möglich, ohne Widerrede, ohne Verzug, sonst bürge ich für Nichts. Daß sie aber abziehen werden, dafür verlassen Sie sich auf mich; beim geringsten Widerstreben sollen sie mich kennen lernen und es mit Schrecken bereuen.“

Sofort schritt ich zur Thür, indem ich mein Jagdhorn unter dem Rocke hervorholte, öffnete und dreimal in’s Horn stieß. Da stürzten auch schon meine Begleiter herein, bereit eine grün-gelb und blaue Suppe einzubrocken. Es war nicht nöthig.

„Alle Lichter aus! Still! Alle zu Bett!“ lautete das Commando. Es geschah. Ich blieb am Tische, zündete ein Licht an, setzte mich und las in der alten Scharteke.

Um ein Uhr rief ich F’s. „Es ist Eins vorbei; der Hahn hat gekräht, Sie sehen, mit dem Geiste ist’s auch vorbei.“ Nun theilte ich den F.’schen Eheleuten nochmals meine Ansicht über die Ursache des Spuks mit, bestand auf der sofortigen Entfernung der M.’schen Sippschaft, erklärte ihnen, welches Späßchen ich mir erlaubt und warum; sie dankten mir herzlich und sagten: „Wir wußten wohl, daß Sie uns Ruhe verschaffen würden.“

Der Geist war erlöst. Das Klopfen, Kratzen, das Scharren am Hause und auf dem Dache hatten offenbar die bösen Buben des M., die im Complote und in der Nachbarschaft waren, mit Haken und anderen Werkzeugen, an Stangen befestigt, bewerkstelligt; das Wegziehen der Bettdecke geschah mittelst einer krummgebogenen Nadel und feiner Schnur, das Werfen in der Dunkelheit von den alten M.s mit verstecktgehaltenem Material. Die Betheiligten dieses Vorganges sind größtentheils noch am Leben. Zu jeder Ernte wurde bei F.s die Geschichte in erneuerter, vermehrter und verbesserter Auflage erzählt.

Als ich später auf einer Jagdexcursion in einer Schenke auf der Prairie einkehrte, um zu ruhen und mich etwas zu erfrischen, fiel mir die Heiterkeit, das Schmunzeln und Lächeln, das halbunterdrückte Kichern der anwesenden Leute auf, deren Blicke nach mir gerichtet waren. Ich fragte den Wirth um die Ursache. Nach einigem Zögern sagte er. „Als Sie in Sicht kamen, sagte Einer: ‚Eben kommt der Hexenmeister unserer Prairie.‘“




Beethoven und „das Kind“.

Ein Verwandter des im Jahre 1857 verstorbenen königlich bairischen Appellraths Dr. A… B… theilt uns aus dessen handschriftlich hinterlassenen Jugenderinnerungen folgende Einzelheiten über Bettina Brentano, die später berühmt gewordene Herausgeberin des „Briefwechsels Goethe’s mit einem Kinde“, mit:

„Ich war während meiner Universitätszeit zu Landshut im Familienkreis des mir unvergeßlichen Professors von Savigny eingeführt. Dort lernte ich dessen damals noch unverheirathete Schwägerin Bettina kennen. Gleich lebhafter Enthusiasmus für Musik bildete schnell den Angelpunkt unserer Gespräche, und bald wurde an mich die schmeichelhafte Bitte gerichtet, die junge Dame in die Lehre der Harmonien einzuführen. Der brennende Eifer meiner interessanten Schülerin machte mir diese Aufgabe zum eigenen größten Vergnügen, und wir studirten und componirten nach Herzenslust und mit übereinstimmendem Geschmack. Einmal jedoch liefen unsere Ansichten weit auseinander. Bettina

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_314.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)