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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

zum Druck übergeben werden kann. Fast wie im Handumdrehen ist so eine Platte erzeugt, noch ein paar Minuten und es folgt die zweite, dann rasch die dritte, vierte Platte. Diese vier Platten repräsentiren den Inhalt des ganzen Abendblattes, das nun seinem Drucke entgegengeht. Es ist ein Viertel auf drei Uhr, und wir begeben uns zugleich mit dem neugeformten, vervielfältigten Satze in den Maschinenraum zurück. Vor uns werden die halbrund gegossenen Zeit- und Tagesereignisse, die Depeschen, welche die Welt der Börse, und die Nachrichten von Glücks- und Unglücksfällen, parlamentarischen sowohl, wie socialen und literarischen und artistischen, welche die Welt des Herzens bewegen sollen, in ihrem letzten Unschuldsstadium einhergetragen. Nun werden die Platten in die Maschine – nur eine der zwei ist für die Fabrication des Abendblattes bestimmt – um die beiden großen Cylinder gelegt, welche bereits sehnsüchtigst dieser wichtigen Umarmung harren. In diesen zwei Cylindern der Riesenmaschine ruht die ganze gewaltige Macht ihrer Wirksamkeit. Ihr Erfinder, Howe, hat das Verdienst, die Zeitersparniß, den Zweck jeder Maschine, und besonders einer Zeitungsmaschine, zu eigentlichem Triumphe gebracht zu haben.

Marinoni führte dann die Howe’sche Erfindung des unausgesetzten Druckens der Maschine ihrem Zwecke noch um Einiges näher. Die Leser, die den Proceß des Druckens einer Dampfpresse mitangesehen haben, wissen, daß vor Howe und Marinoni die Presse es nicht dahin zu bringen vermochte, ihren Heimweg zu dem Ausgangspunkt ihrer Thätigkeit ebenso fruchtbar zu gestalten, wie ihren Hinweg zu den Druckwalzen. Die Maschine druckte immer nur auf dem Hinwege zur Walze, die Zeit des Rückweges blieb unausgefüllt, verloren für die Arbeit. Dem hat die Maschine, wie sie vor uns steht, vollends abgeholfen, sie druckt von dem ersten Moment an, da ihr vielfältiges Räderwerk in Gang gesetzt ist, bis zu dem letzten, wo ihr der Dampf entzogen wird, unaufhörlich, ob sie nun hinauf oder hinab läuft. Die beiden um ihre eigene Achse sich bewegenden Cylinder, die wir, von Druckwalzen umgeben, in der Maschine angebracht sehen, sind oben und unten mit den Satzplatten umlegt; die oberen Cylinderscheiben repräsentiren den vervierfachten Inhalt zweier Seiten des Abendblattes, die unteren Cylindertheile repräsentiren wieder die zwei anderen Seiten des Abendblattes, ebenfalls vervierfacht; die Cylinder, einmal in Bewegung um ihre eigene Achse, drucken so immer und immer, oben wie unten, der Proceß ist ein unausgesetzter und ermöglicht den Druck einer Auflage von siebenundzwanzigtausend Exemplaren Abendblättern in fünfzig Minuten, während die Auflage der gleichen Anzahl von Morgenblättern (zwei Doppelbogen) in zwei Stunden und vierzig Minuten zu Stande kommt.

Es ist nach halb drei Uhr, der Maschinenmeister bekommt das Zeichen des Factors, oben kauern die Papiereinleger vor den aufgethürmten Haufen, die Clichés sind sämmtlich (sechszehn Stück) auf den Cylindern angebracht, an den vier Oeffnungen, wo die bedruckten Bogen in reißender Schnelle herausschlüpfen aus der Maschine, hocken Mädchen, die die einzelnen vierfachen Bogen zu empfangen und in eine geordnete Lage zu bringen haben. Noch ein Zeichen und die Maschine reckt sich zu ihrer kolossalen Thätigkeit auf; einige Momente und man hört nur noch die ruhigen, gleichmäßigen Athemzüge, die ihre eisernen Lungen ausstoßen; das Räderwerk hat in seiner ganzen kolossalen Ausdehnung die Arbeit aufgenommen, und zu den vier Oeffnungen, von denen zwei auf der Vorderseite, zwei auf der Rückseite der Maschine sich befinden, kommen bereits die ersten Bogen angeflossen. Man kann es nur einen Fluß nennen, dieses ruhige, glatte Ankommen der Bogen an den gitterartigen Rechen, der sie dann aus der Maschine auszuwerfen hat. Das gleitet so sanft, nachdem es den Cylinder unten wie oben passirt, über die schlanken Stäbe herauf und hinab, daß es eine Freude anzusehen ist. Ruhe kennzeichnet den ganzen kurzen Proceß, und man könnte fast von der Maschine sagen, sie bewege sich und erzeuge mit einer für ihre Dimensionen geradezu erstaunliche Noblesse und Grazie. Wenn die ersten Bogen ausgenommen, tritt in der Papiereinlage ein kurzer Stillstand ein, man besieht den Druck, ob er fehlerlos, ob nicht an den Walzen mit Schwärze etwas nachzuholen sei. Dann beginnt der Cylinder sein großes Werk wieder von Neuem und setzt es ungestört fort. Vorn und hinten, oben und unten fallen die Bogen, vier Exemplare eines Abendblattes darstellend, mit jedem Rucke sechszehn an Zahl, hinaus, und nach Ablauf von fünfzig Minuten ist der ganze große Bedarf der „Neuen freien Presse“ vollständig gedeckt.

Während die zweite Hälfte der Auflage noch unterm Cylinder ihrer Geburt harrt, ist die erste schon in kleinen und großen Ballen in den Expeditionssaal gebracht worden. Hunderte von Händen machen sich eiligst an die Zusammenfaltung, an die Falzung, an die Cartonirung der einzelnen Blätter, andere Hunderte wieder pappen die Adressen auf, wieder andere legen die für den städtischen Bedarf nöthigen Massen zusammen und befördern sie hinaus aus dem Expeditionssaale zu den kleinen Wägelchen, die sie in die Ausgabelocale und auf die verschiedenen Bahnhöfe rasch überführen. Die geräuschvolle Geschäftigkeit und unförmliche Hast der Händearbeit in dem Expeditionssaale ist wiederum ein bildlicher Gegensatz zu der Gleichmäßigkeit und Formruhe der Arbeit im Maschinensaale.

Steigen wir dann eine Treppe höher, als der Setzersaal liegt, so sind wir im Bereiche der Redaction der „Neuen freien Presse“, unter den geistigen Gewalthabern des Blattes, an der Stätte der Materiallieferung für die untere Etage und für das Souterain. Auf einem weit umlaufenden Corridore liegen die Bureaux der Redacteure der einzelnen Abtheilungen und Rubriken des Blattes, das in der Ausdehnung seines Morgenblattes (sechszehn Folioseiten, sechstausend Zeilen Inhalt) einem kleinen Buche fast gleichkommt. Der Redactions-Corridor beginnt mit den Bureaux des „Verantwortlichen“, der Redacteure der Militär- und Gerichtszeitung, der „kleinen Chronik“, der „verschiedenen Nachrichten“, dann kommen die Bureaux der „innere Politik“ treibenden Herren, die Redacteure der Reichsrathberichte, der Communalangelegenheiten, das Bureau des Redacteurs des „Ekonomisten“.

Zwischen allen diesen mit dem größten Comfort und auf’s Eleganteste eingerichteten Abtheilungen und den auf der anderen Corridorseite liegenden Bureaux der Redacteure der Rubrik „auswärtige Politik“, der Rubriken „Paris, London, Berlin“, liegen, nur durch ein für alle Redactionsangehörigen gemeinschaftliches, mit schönen Wandkarten, Globen und einer großen Bibliothek versehenes Lesezimmer getrennt, die Arbeitszimmer der geistigen Oberleiter der „Neuen freien Presse“, der Herren Max Friedländer und Michael Etienne, der beiden Eigenthümer, die zugleich die eigentliche Redaction en chef des Blattes führen, während die administrative Leitung Herrn Werther, dem dritten Eigenthümer, überlassen ist. Wenn wir jetzt in diese eleganten, mit Sprachrohren und elektrischen Telegraphen versehenen Salons der Chef-Redaction einträten, fänden wir keinen von den beiden geistreichen, so überaus gewandten und thätigen Männern. Es ist die kurze Zeit der Ruhe für sie gekommen, und das nächste Morgenblatt ruft und verlangt seinen Mann erst in zwei, drei Stunden wieder. Vielleicht sehen wir uns die beiden interessanten politischen und socialen Großmächte der „Neuen freien Presse“ ein andermal näher an. Es verlohnt sich schon der Mühe, die drei Männer kennen zu lernen, die ein Tagesblatt, das sie am 1. September 1864, also vor noch nicht ganz sechs Jahren, begonnen, in so beispiellos kurzer Zeit zu einer solchen staunenswerthen Bedeutung zu erheben vermochten. Mögen noch so viele gute Sterne bei dem Auffluge der „Neuen freien Presse“ mitgewirkt haben, ihre eigene Kraft, ihr eigener Geist können einen großen Theil des riesigen Erfolges auf ihre gemeinschaftliche Rechnung schreiben. Die Mitarbeiter der „Neue freien Presse“ umspannen fast den ganzen angesehenen Theil des deutschen Schriftstellerstandes.

Es ist vier Uhr und wir verlassen, nachdem wir noch auf die ausgedehnten Ansiedelungen der Administration, Cassa, Buchhaltung im Parterre einen raschen Blick geworfen, das Haus der „Neuen freien Presse“. Unten angelangt, sehen wir die Wägelchen schon alle auf ihrer Heimkehr. Das Abendblatt der „Neuen freien Presse“ ist bereits in vielen Händen und oben wird man bald wieder an das Morgenblatt zu denken haben. Das Dampfrad der Zeit und der öffentlichen Meinung in der „Fichtegasse“ – es steht nicht still!




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 319. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_319.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)