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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


„Daß Du das kannst, ist mir unbegreiflich,“ sagte Anna nachdenklich, „mit Deinen schwachen Nerven! Ich könnte es nicht und bin doch so viel kräftiger als Du.“

„Es giebt Dinge, zu denen die physische Kraft nicht ausreicht, die wir nur vollbringen durch die Kraft des Geistes. Hättest Du für diese mehr Verständniß, Du würdest mich vielleicht nicht mehr verspotten um eines Mangels willen, für den ich nicht kann!“

Anna war ernst geworden. Sie sah ihn theilnehmend an. Er war wieder so hübsch in dem Augenblick mit dem eisernen Willen auf der reinen Stirn und dem schmerzlich resignirten Zug um den feingezeichneten Mund.

„Sei nicht traurig, lieber Fredy,“ sagte sie. „Glaub’ mir, wenn ich Dich auch manchmal necke, bin ich Dir doch von Herzen gut!“

„Ist’s wahr?“ sagte Alfred. „Aber doch nicht so gut, wie ich Dir?“ Er schaute ihr liebevoll zweifelnd in die Augen. Es war ein Blick, der ihr tief in die Seele drang, und sie zürnte sich selbst, daß sie des Eindrucks nicht Herr ward. Sie senkte in holder Verlegenheit die langen schwarzen Wimpern.

„Anna,“ fuhr Alfred hingerissen fort, „könntest Du Dir denken, daß aus uns einmal ein Paar werden könnte?“

Sie fuhr zurück: „Nein, das kann ich mir nicht denken!“ rief sie ungestüm.

„Und warum nicht?“ fragte Alfred leise.

„Weil – weil – nun, weil wir nicht zusammen paßten, ich wäre zu groß für Dich!“

Alfred erhob sich rasch. „Eine solche Antwort hätte ich nicht von Dir erwartet,“ stieß er heraus. „Sind wir denn Gypsfiguren, die nur nach der Größe paarweise verkauft werden, oder Pferde, deren man kein ungleiches Paar vor einen Wagen spannt? Sind wir nicht Menschen, die den Schwerpunkt ihres Daseins in der Seele tragen? Wahrlich, Anna, wenn Du mir nur deshalb einst nicht angehören wolltest, weil mir die Natur einen Zoll weniger an Körperlänge verlieh, als Dir, und weil wir zusammen der Welt nicht den Anblick eines ‚schönen Paares‘ böten – dann müßte ich an Deinem Geist und Herzen verzweifeln!“

„Geh’, Alfred, wozu nur schon an’s Heirathen denken, wir sind ja kaum erwachsen und Du sagtest vorhin selbst, wir wollten noch Kinder sein!“ erwiderte Aennchen in ihrer Bedrängniß.

„Du hast Recht, Aenny, Du bist noch ein Kind und kannst Dein eigen Herz nicht verstehen. Ich will Dich nicht quälen, aber ich kann den Gedanken nicht fassen, daß wir Beide, die wir zusammen leben und denken gelernt, jemals sollten ohne einander leben können! Mir wäre eine Trennung von Dir wie der Tod.“

„Ich bitte Dich, höre nun auf davon; wenn ich nicht vor derartigen Gesprächen bei Dir sicher bin, so bleibe ich nie mehr mit Dir allein.“

„Sei ruhig, Anna, sei ruhig, Du sollst kein solches Wort mehr von mir hören. Ich verspreche es Dir, aber unter einer Bedingung!“

„Nun – welcher?“

„Daß Du mir es freiwillig sagen willst, wenn Du mir einmal gut bist. Denn es wäre ja doch möglich, daß Dein junges Herz einst für mich erwachte. Ich kann nicht von der Hoffnung lassen. Wie aber soll ich es denn erfahren, wenn ich Dich nie mehr fragen darf?“

Aennchen zögerte betreten.

„Wenn Du mir das nicht gelobst, Anna,“ beharrte er, „dann sollst Du auch keine Ruhe vor mir finden und ich werde Dir von meiner Liebe vorklagen, so oft ich Dich sehe!“

„In Gottes Namen denn, ich will Dir’s ehrlich sagen, wenn – wenn …“

„Wenn Du mich liebst!“

„Ja, aber ob Du mich bis dahin noch magst? Wenn ich – man weiß ja nicht – wenn ich Dich gern hätte und Du mich nicht?“

„Dann würde ich Dir’s ebenso ehrlich sagen, darauf verlaß Dich. Aber sei ruhig, der Fall wird nie eintreten!“

„Und der meine wohl auch nicht, guter Fredy,“ lächelte Anna. „Sollte es aber wider alle Voraussicht dennoch passiren, so hast Du mein Wort für das Deine!“ Und sie schüttelte ihm muthwillig die Hand und eilte ihm voraus auf den Heimweg.

Alfred folgte ihr langsam, aber jetzt lag eine zuversichtliche Heiterkeit auf seinem Gesicht. „Du mußt doch noch mein werden, Du wildes Kind!“ sagte er leise.

Als sie ihm eine Strecke voraus war und sah, daß er sich nicht bemühte, sie einzuholen, blieb sie von selbst stehen und erwartete ihn. „Bist Du müde?“ fragte sie und bot ihm scherzend den Arm. Er nahm es an und stützte sich auf das Mädchen. Sie führte ihn treulich durch den Hain, aber es lag doch wieder etwas in dieser Hinfälligkeit, was sie anwiderte. Als sie an den hellen Tag heraustraten, ließ sie ihn los und er setzte zum Unglück auch noch die blaue Brille auf. „Nun bist Du wieder der alte Philister,“ sagte sie und schaute ihn nicht mehr an.

(Fortsetzung folgt.)



Leid und Freude in der Naturforschung.
Vortrag gehalten im Saale der Buchhändlerbörse zu Leipzig von Prof. C. Ludwig.

Wenn die Kreise der feinen Gesellschaft den Naturforscher aus seiner stillen Werkstatt rufen und ihn nach den Ergebnissen seiner Arbeit fragen, so folgt er im Vertrauen auf die welterschütternde Mission seiner Wissenschaft willig der Ladung. Rasch blättert er im Buche seines Wissens nach einer lichten Stelle, welche die Herzen seiner Zuhörer zu erwärmen, zu ermuthigen vermag, den fremdartigen und verschlungenen Gängen zu folgen, auf welche er sie führen will. Aber je emsiger er sucht, um so weniger will es ihm glücken. Denn wo er immer seiner Wissenschaft begegnet, nirgends bietet sie ihm auch nur eins der Motive, wie sie tausendfältig dem Historiker und Philosophen zu Gebote stehen, und nirgends reicht ihm die volle Wahrheit seiner Erkenntniß das Band, mit welchem er den sittlichen und künstlerischen Sinn fesseln könnte.

Die Sonnensysteme, welche das leibliche Auge durch die Pracht ihres Lichtes und durch die Harmonie ihrer Bewegung entzücken, erscheinen dem geistigen Blick als eine unaussprechliche Zahl gleichgeformter Massen, die, wie sie jetzt sind, in pedantisch regelrechter Wiederkehr ihre einförmigen Bewegungen abspinnen; wie das Gegenwärtige langweilig, so ist das Zukünftige trostlos. Denn die Astronomie verspricht, daß die Sonnen dereinst verglühen, sich zu Planeten und Monden abkühlen und daß endlich, wenn Sonne um Sonne ausgebrannt und Alles auf gleiches Maß der Wärme gekommen, der Wechsel von Tag und Nacht, von Regen und von Sonnenschein verschwinden, daß die ungeheure Welt in todter Unbeweglichkeit erstarren soll. Wen sollte wohl dieses Wissen der Kassandra erquicken?

Die reiche Welt der Pflanzen, das Vorbild des Künstlers, das Gleichniß des Dichters, der Trost des wunden Gemüths, die Labe des Hungrigen, was ist sie in der Hand der Wissenschaft geworden? Aus dem Baum vertrieb sie die Nymphe und aus der Blüthe die Elfe und setzte in ihr angestammtes Recht die Mechanik. Da offenbarten sich die geheimnißvollen Wunder der Entwickelung und des Wachsthums; die Säuren des Phosphors, Schwefels, des Stick- und Kohlenstoffs, die Oxyde des Kaliums, des Calciums, des Eisens, durch innern Zwang verbunden, lösen sich in den Säften des Keims, die Bewegungen, welche wir die Wärme und das Licht nennen, setzen das Räderwerk seiner Zellenmechanik in Bewegung, diese wählen aus einem Theil der genannten Verbindungen den Sauerstoff aus und gießen den verbrennlichen Rest in das Gepräge, das ihnen von Alters her selbst aufgedrückt war. Unleugbar, die Kühnheit und der Scharfsinn sind zu bewundern, die es wagen und denen es gelingt, die stoff- und formenreiche Pflanzenwelt als das Ergebniß einfacher mechanischer Vorgänge zu betrachten. Während der Lösung der Räthsel empfand und empfindet der Forscher die Freude, einen schöpferischen Gedanken der ewigen Naturgewalt nachgedacht zu haben, aber darum wird die zerzupfte Libelle nicht für uns Andere erfreulich.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 340. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_340.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)