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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Aus deutschen Gerichtssälen.
Nur ein Ballgespräch.

Auf dem Aushange am schwarzen Brette war nur eine Untersuchung und nur eine Angeklagte verzeichnet. Bei einem größeren Gericht mußte das auffallen. Man mußte sich unwillkürlich fragen, weshalb diese eine Untersuchung abgesondert von anderen Sachen verhandelt und entschieden werden sollte. Aber noch eine andere Frage drängte sich auf.


Armenische Kirchenfürsten auf dem Monte Pincio.
Originalzeichnung nach der Natur von Julius Jury in Rom.


Der Terminstag ward auf einen Sonnabend bestimmt, während die Sitzungen der Criminalabtheilung regelmäßig am Donnerstag abgehalten wurden. Worauf gründete sich diese Ausnahme von der Regel? Hatte das Object der Untersuchung oder die Person der Angeklagten die Veranlassung dazu gegeben? Mir wurde es schwer, auf diese Fragen eine zureichende Antwort zu finden. Das Object der Untersuchung war von keiner besonderen Erheblichkeit. Auf dem Aushange war kurz angegeben: „wegen öffentlicher Verleumdung“. Eine so gewöhnliche und oft wiederkehrende Beschuldigung konnte die Ausnahme nicht rechtfertigen. Der Grund hierzu mußte also in der Persönlichkeit der Angeklagten gefunden worden sein. Das wollte mir aber wiederum nicht mit den Bestimmungen der Verfassung zusammenpassen, denn nach diesen Bestimmungen sollte da jede Standesbevorzugung für immer aufgehoben und beseitigt sein. Genug, das Unfindbare reizte und veranlaßte mich, schon vor dem Beginn der Verhandlung in den gerade nicht sehr geräumigen Sitzungssaal einzutreten und mir hier einen Platz zu sichern, von welchem aus es mir möglich war, ungestört sehen und hören zu können.

Nur wenige Minuten vor dem Eintritt der Terminsstunde erschien die Angeklagte. Sie kam in Begleitung zweier Herren. Der Eine führte sie am Arme bis zur schwarzen Bank und blieb dann neben dieser stehen, der Andere, in einfachem schwarzem Anzuge, nahm den Sitz des Vertheidigers ein. Die Angeklagte war eine schöne Frau, eine imposante Erscheinung, und ihre Toilette an diesem Orte überraschend. Die schwarze Bank mochte Aehnliches gewiß noch niemals zu tragen gehabt haben. Auch das Auftreten war nicht gewöhnlich, nicht so, wie Angeklagte auf der schwarzen Bank sich sonst präsentiren. Die Dame zeigte sich vollkommen unbefangen, der Ausdruck des Gesichts verrieth sogar eine muthwillige Lustigkeit.

Während der Blick aus den großen dunkeln Augen lachend im Zuhörerraum des Saales umherlief und bei einzelnen Anwesenden freundlich grüßend verweilte, spielten die mit feinen Handschuhen bekleideten Hände abwechselnd mit einem schön gemalten, kostbaren Elfenbein-Fächer oder mit den Spitzen der schweren Sammt-Mantille, welche durch eine Brillantnadel auf den Schultern festgehalten wurde. Jede Sorge, jeder Kummer schien der Dame fern zu sein, sie erkannte nicht einmal den Ernst der Situation. Auf mich machte dies Verhalten auf der schwarzen Bank keinen günstigen Eindruck; ich fand darin eine übermüthige Geringschätzung der durch das Gesetz geheiligten Förmlichkeiten des gerichtlichen Strafverfahrens und diese selbst in dem Falle ungehörig, wenn die Entscheidung des Gerichts nicht zu fürchten sein sollte. Und doch konnte ich den Wunsch nicht unterdrücken, daß dieser Uebermuth nicht gestraft, das schöne lachende Auge, nicht getrübt werden möchte.

Der Herr, der neben der schwarzen Bank stehen blieb, war der Gatte der Angeklagten, eine im Orte allgemein bekannte Persönlichkeit, die gewöhnlich mit „Herr Geheimrath“ angeredet wurde. Diesem schien es unbequem zu sein, an diesem Orte verweilen zu müssen; er blickte ernst, fast finster vor sich hin. Der finstere Ernst milderte sich nur in den Augenblicken, in welchen der Blick auf der Angeklagten ruhen blieb.

Etwa fünf Minuten später traten die Mitglieder des Gerichts in den Saal, und unmittelbar darauf auch der öffentliche Ankläger,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 349. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_349.jpg&oldid=- (Version vom 23.2.2021)