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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

No. 23. 1870.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.


Der Bergwirth.
Geschichte aus den bairischen Bergen.
Von Herman Schmid.


1. Die Goldgrube.

Die Sonne eines der letzten Julitage war schon tief westwärts hinab gebrannt; ihre Strahlen reichten nur noch eben an die Gipfel des Hochwaldes, durch den sich die breite Straße in mächtigen, langsam ansteigenden Windungen den hohen, steil aufstrebenden Westerberg hinan schlängelte; dennoch war es noch warm genug, um das Steigen mühselig zu machen. Es war daher ganz natürlich, daß ein Wanderer, wenn auch mit nichts als einer leichten Anhängetasche belastet, an einer Straßenrundung innehielt und aufathmend den weißen Basthut lüftete, um sich die Kühle an die Stirn ziehen zu lassen, welche aus einer kleinen sich eben hier öffnenden Bergschlucht hervorstrich, vermischt mit dem Harzgeruche der im Abendroth stärker ausathmenden Tannen und dem feuchten Wasserdufte des Bergbaches. Aus ansehnlicher Höhe und über eine moosbewachsene Felsplatte glitt dieser in breiten silberblitzenden Strängen hernieder, um sich mit dem andern Wildwasser zu vereinigen, das unten in einem bereits dunkel verdämmernden Tobel dahinsauste, durch sein tief in die Felsen gewühltes Rinnsal den ganzer Westerberg nahezu in zwei Hälften spaltend.

Der Ruhepunkt konnte nicht leicht angenehmer gewählt sein.

Das Geländer, mit welchem die abschüssige Tiefe umfangen war, bot eine willkommene Stütze; der nach abwärts gewendete Blick weilte behaglich auf dem ruhigen Grün des Waldes und den überwundenen Steilen des Weges, auf welchem eben ein hochgeladener, mit Leinwand überzogener Frachtwagen trotz des kräftigen Viergespanns, das ihm vorgeschirrt war, nur langsam und unmerklich näher kam; – kehrte sich das Auge der obern Seite zu, so zeigten die in den klaren leichtdurchflossenen Abendhimmel emporragenden Tannenwipfel, daß das Ziel der Wanderung nicht mehr fern sein konnte. Die ganze Bergstraße bot ein einfaches, herzerfrischendes Bild, dazu stieg von dem niederen Gewächs der Berghänge lieblicher Duft empor, aus dem Gehölze scholl das Rufen von Häher und Specht und in einem Busche dicht am Wege hub eine Amsel an, die ersten Noten ihres Schlummerliedes zu üben. Lieblich tönte der Gesang einer Menschenstimme darein, denn der im blauen Staubkittel neben seinem Lastwagen herschreitende Bursche sang sich mit heller Stimme ein lustiges Fuhrmannslied, das, längst volksthümlich geworden, unserem Wanderer wohl bekannt war, und von fern, aus der Tiefe, zogen die weichen Töne eines Posthorns schmeichelnd und lockend herauf.

Der Wanderer sog Licht und Duft, Sang und Klang wie kostend in sich ein; dennoch war er nicht damit allein beschäftigt, sondern schien der Straße selbst und den verschiedenen von ihr eingeschlagenen Richtungen sein besonderes Augenmerk zu schenken, denn immer und immer kehrten seine Blicke wie messend darauf zurück, um sich dann wieder prüfend der Schlucht zuzuwenden, die, von einem ansehnlichen Brückenbogen überbaut, unter seinen Füßen hinzog.

Es war ein junger Mann von kräftiger Gestalt, der man wohl ansah, daß die straffe Haltung ebensowenig hinterm Studirtische erworben war als die gesunde dunkle Färbung des angenehmen, von einem blonden Vollbart umrahmten Gesichts; er war einfach und doch nicht ohne Wahl gekleidet, der leichte Rock war ebenso bequem, als er gefällig saß, und paßte vollkommen zu den festen und doch keineswegs schwerfälligen Schuhen und dem buntgewürfelten Halstuch, das lose um den leicht geöffneten Hemdkragen geschlungen war.

Er ließ den Frachtwagem der eben näher kam, vorbeifahren, es mochte ihm nicht genehm sein, neben dem Fuhrwerk herzuschreiten, dessen breite Radfelgen auf dem Gestein der Straße knirschten; mit einem freundlichen „Guten Abend!“ erwiderte er den Gruß des Fuhrmanns, der nur den Hut rückte, ohne sich in seinem Gesange irre machen zu lassen. Er sah ihm nach, bis er die nächste Steile hinangefahren war und die Worte des Liedes verklungen waren. Schon aber begann es von unten herauf zu tönen und das Posthorn erhob ganz nahe eine andere Weise, die dem Wanderer ebenfalls so bekannt dünkte, daß er sich nach der Richtung der Töne wandte, als wolle er sich auf die Worte zu denselben besinnen.

Ein Postillon mit drei ledigen Pferden kam die Straße herauf und blies behaglich wandelnd auf seinem Horn, während die Rosse den wohlbekannten Weg vor ihm dahinschritten.

„Es ist so,“ sagte der Wanderer horchend vor sich hin; „ich kenne das Lied auch, ich muß es in meiner Kindheit gehört haben, die Mägde haben es gesungen, wenn sie im Winter beim Spinnen beisammen saßen … ich mußte wohl allemal zu Bett, aber ich habe es in meine Kammer hinein und durch den Schlaf gehört und behalten. … Wie hießen doch die Worte? ‚Herzliebster Schatz, ich will dich etwas fragen.‘ … Nicht doch, so war es nicht, aber der Gedanke ist ähnlich. … ‚Herzliebstes Schätzel mein‘. … Richtig, so ist es, nun taucht es mir völlig wieder auf. …

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 353. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_353.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)