Seite:Die Gartenlaube (1870) 354.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

‚Ich will Dich etwas fragen,
Herzliebstes Schätzel mein –
Die Bäume thun ausschlagen;
Ich will dich etwas fragen:
Wann soll die Hochzeit sein?‘“

Das Lied war eben zu Ende, als der Postknecht näher kam und das blanke Hörnlein, das er an einer weißblauen Schnur über der Brust hängen hatte, zurückfallen ließ; ein ziemlich bejahrter Bursche, dem unter dem Lederhute mit dem Federbusch und der breiten Silberborte auch das Haar schon stark versilbert hervorsah, obwohl er in dem blauen aufgeschlagenen Stutzfrack mit den schwarzen Sammetärmeln und den Silbertressen darauf, in der rothen Weste und den blanken weißen Lederhosen noch ganz stattlich aussah und trotz der schweren Reitstiefel so rüstig einherschritt, als sei er bereit, es noch mit dem Jüngsten aufzunehmen. Dazu stimmte vollkommen der lustige und beinahe listige Zug, der ihm trotz mancher Falte im Gesicht um den Schnurrbart und die lebhaften grauen Augen spielte.

„Grüß’ Gott, Schwager,“ sagte der Wanderer und schritt neben ihm her. „Du blasest ja, daß Einem das Herz im Leib aufgeht … man sollte glauben, Du wärst bei des Königs Hofmusik in die Schule gegangen!“

„Hoho,“ rief der geschmeichelte Postillon entgegen, „mit der Schul’ und der Hofmusik, da schaut’s übel aus; aber wenn man etwas recht lang’ treibt, ist’s nit zu verwundern, daß man’s zuletzt kann, und was man gern thut, das geht völlig gar wie getandelt … Noch weitaus, Herr? Sie wollen gewiß noch in die nächste Poststation? Dann haben wir Einen Weg.“

„Nein,“ erwiderte der junge Mann, „ich denke im Bergwirthshause zu übernachten. Man kann doch leidlich dort unterkommen? Ist’s noch weit bis dahin?“

„Keine halbe Stunde mehr,“ entgegnete der Postillon, indem er mit der Peitsche nach der Berghöhe hinauf deutete. „Sehen Sie da oben die Laubwipfel über den Fichtenbäumen? Die stehen schon im Wirthsgarten, und wenn wir da vorn um die Ecke kommen, sieht man schon das Gemäuer des Hauses selbst, das so weiß und blank ist wie ein frisch gelegtes Ei. Und ob man dort unterkommen kann? Das will ich meinen; das Haus ist mit Allem versehen wie das beste in der Stadt, das macht, weil die Straße gar sehr belebt ist, es vergeht kein Tag, wo nicht Gäste dort einkehren …“

„Du bist wohl schon lange Postillon?“ unterbrach der junge Mann, für den die beredte Lobeserhebung des Bergwirthshauses nichts Anziehendes zu haben schien.

„Freilich, Herr,“ war die Antwort, „es geht schon in die vierzig Jahre; ich bin, seit ich erwachsen bin, niemals was Anderes gewesen. Sie haben vielleicht das kleine Bauerngütl bemerkt, das alte holzbraune Häus’l, das aussieht, als wenn es irgendwo im Rauchfang gehangen wär’; da bin ich daheim. Da stellen meistens die Pferde ein, die man zur Vorspann braucht über den Westerberg, da hab’ ich als Bub’ beim Einspannen geholfen, dann bin ich selber gefahren und bin in den Postillonfrack hineingekommen, als wenn er mir gewachsen wäre! Seitdem fahr’ ich jeden Tag, den Gott giebt, mit dem Eilwagen von der Station überm Berg zu der andern und reite dann mit den Pferden wieder zurück …“

„Seit so langer Zeit? Und Du bist dessen nicht überdrüssig geworden? Ich meine, das immerwährende Einerlei müßte nicht auszuhalten sein …“

„Sie meinen, ich müßte Weillang haben?“ entgegnete der Postillon lachend. „Noch ist mir das keinen Augenblick passirt und wird wohl auch nicht geschehen, denn ich habe keine Zeit dazu! Und mit dem Einerlei hat’s auch seine guten Wege … der Eilwagen ist alle Tage gesteckt voll, alle Tage andere Leut’ mit anderen Gesichtern, Leut’ von allen Nationen, die sich alle um den Postillon nicht kümmern, die ich mir aber alle betrachten kann, gerade als wenn sie meinetwegen hergereist kämen. Und wenn auch das nit wäre, Herr, und wenn’s auch immer der nämliche Weg ist, es giebt doch alleweil was Neu’s und der Wald ist immer anders … ich kenn’ schier jeden Baum und hab’ ihn wachsen sehn und mach’ mir so meine Gedanken, wie’s auf der ganzen Welt doch auch nichts anders ist, als daß man von der einen Station zu der andern hin und wieder reist, und wenn mir ja einmal nichts mehr einfallt, dann hab’ ich ja noch mein Posthörnl’, dann laß ich das statt meiner reden, und wenn ich’s einmal angesetzt hab’, ist mir noch niemals das Trumm aus’gangen!“

„Sieh da, ein Weltweiser im Postillonrock,“ rief der Wanderer, indem er den Burschen, der sich ganz warm geredet, wohlgefällig betrachtete. „Ich lasse Deiner Gesinnung alle Ehre widerfahren, Schwager,“ setzte er dann hinzu, „Jeder sieht mit seinen eigenen Augen; ich für meinen Theil könnte mich beim Anblick der Bergstraße niemals des Gedankens erwehren, daß sie immerhin ein kühner und sogar schöner, aber doch ein mühseliger Bau ist, den man bequemer hätte einrichten können …“

Der Postillon sah ihn mit listigem Blick an und lachte. „Das könnte freilich nicht schaden,“ sagte er, „zumal im Winter, aber wissen Sie, Herr, warum der Has’ über’n Berg lauft? Ich will’s Ihnen sagen, wenn Sie ’s nit wissen … weil der Berg kein Loch hat, wo er durchlaufen könnt’ … so ist’s da auch, der Westerberg ist einmal zu grob und hat halt dem Baumeister nit den Gefallen gethan, daß er auf die Seit’ ’gangen wär’ …“

„Dessen hätte es nicht bedurft,“ rief der junge Reisende, zurücksehend und in die Schlucht deutend. „Der Baumeister durfte nur die Augen aufmachen und dem Wasser ablernen, wo und wie es seinen Weg gefunden hat …“

„Aha,“ rief der Postillon und lachte, daß das Posthorn an der Schnur wackelte, „sind Sie auch ein solcher? Einer von den Projectenmachern? Hab’ schon davon gehört, daß sie eine Eisenbahn zu uns herein in die Berg’ bauen wollen – aber schaun S’, das kann draußen recht gut sein, wo ’s hübsch eben dahin geht, aber bei uns herinnen, in den Felsen und Klüften, da möcht’ eine Kuh lachen, wenn man von so was hört! … Das Wasser, ja das find’t und macht sich freilich überall selber seinen Weg, aber eine Straß’ da in die Schlucht hinein, so mitten durch den Westernberg bauen, das ist nit möglich, das geschieht nit eher als bis einmal Pfingsten vor Ostern kommt …“

„Das scheint Euch nur so, guter Freund; ich habe weite Reisen gemacht und dabei Bauten gesehen, gegen welche diese eine Kleinigkeit zu nennen wäre …“

Der Postillon blieb stehen und faßte den Wanderer am Arm, um ihn ebenfalls anzuhalten. „Wie,“ sagte er, „lassen S’ Ihnen einmal in’s Gesicht schauen, damit ich seh’, ob Sie im Ernst reden und nit etwa denken, dem dummen Post-Bartel will ich einmal einen Bären aufbinden, daß er ihn zu München drinnen auf der Jakobidult sehen lassen kann. … Sie schauen wirklich ganz gesetzt und ernsthaft darein …“ fuhr er dann fort, indem auch über sein erst noch so übermüthiges lustiges Gesicht ein Schatten zog, „es ist also keine Fopperei? Es wär’ wirklich was d’ran an dem Gered’? Also wär’s doch möglich, daß die verflixte Eisenbahn zu uns herein käm’? … O je, o je … das thät’ mir aber leid, da könnt’ mich schon mein Leben verdrießen!“

„Dich? Warum das?“

„Warum? … Nichts für ungut, Herr … aber das ist eine tappige Frag’. … Wenn sie eine Bahn bauen in die Berg’ hinein, dann wird gar bald das Gras wachsen auf der Westerbergerstraß’ … dann wird man keinen Eilwagen mehr brauchen und keine Ross’ und also auch keinen Postillon – was soll ich nachher thun, jetzt, wo ich schon dahin anfang’, ein alter Kerl zu werden? … Aber hoffentlich,“ setzte er entschlossener hinzu, indem er den einen Gaul anhielt und sich in den Sattel schwang, „hoffentlich erleb’ ich’s nicht, daß das geschieht, denn da wird wohl noch viel Wasser rinnen und noch mancher Herbst und Auswärts kommen. … B’hüt’ Gott, Herr, da sind wir jetzt; ich muß das Wirthshaus anblasen, damit sie wissen, daß ich komm’ … ich thu’s alle Tag’ und denk’, ich will’s beim Alten lassen …“

Er setzte das Horn an und blies, seine Pferde antreibend, einen lustigen Ruf, der sich wie ein muthwilliger Gruß anhörte, ganz dem liebliche Bilde gemäß, das auf der eben erreichten Berghöhe sich vor dem überraschten Wanderer zeigte. Es war eine nicht große, aber immerhin ansehnliche Hochfläche, an deren entgegengesetzter Seite die Straße ebenso, wie sie gegenüber aufgestiegen war, sich wieder zu Thal senkte, so daß zu beiden Seiten der Ausblick geöffnet war; gab es auch keine Fernsicht im eigentlichen Sinne, weil nahe und höhere Berge den Horizont abschlossen, so ruhte das Auge doch mit Wohlgefallen auf den mächtig gezogenen Linien der Berge und den Waldmassen, mit denen sie bekleidet waren, wie mit einem schwerfaltigen sattgrünen Gewande,

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 354. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_354.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)