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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Leben schaffen wollen, was doch schließlich Jedermanns Pflicht. Junge Dichter rechnen bekanntlich aber auch gern mit jeder Frau, daher die vielfachen Herzensbrüche, denen sie ausgesetzt sind, und die ihre Bücher zu einer Gallerie weiblicher Schönheiten machen. Davor ward Rittershaus durch seine schon in den ersten Jünglingsjahren erfolgte Verheirathung bewahrt. Hedwig Lucas ist ihm eine treue, aufopfernde Lebensgefährtin und zugleich seine einzige Muse geblieben. Daher der einheitliche Charakter seiner Liebeslieder, die den Verlust an stürmischer Leidenschaft durch eine wohlthuende und überzeugende Innigkeit ersetzen.

Bezeichnend für die Entwicklung der Zeit und des Dichters aber ist, daß gerade die dem öffentlichen Leben gewidmeten Dichtungen jenes Buches an einer Allgemeinheit leiden, die zuweilen auf der einen Seite in unklarer Phrasenschwelgerei verhimmelt und auf der anderen bis zur Nüchternheit dürrer Reflexion herabsteigt. Sie bezeichnen jenen unbestimmten Freiheitsdrang, der noch ziemlich weit über die Märztage hinaus das deutsche Volk erfüllte, bis es endlich zur Klarheit über seine eigentlichen und nächsten Aufgaben gelangte und nun mit ernstem Eifer an die Arbeit ging, die mühsam, aber sicher, auch in ihren Erfolgen, noch immer vorwärts schreitet. Und dieser Arbeit fehlt, nach echter deutscher Sitte, auch der begleitende Gesang nicht, und die wahren Sänger sind zugleich Arbeiter an dem großen gemeinsamen Werke. Kaum dürfte aber ein Zweiter dem Doppelberufe mit solcher Treue obliegen und mit solcher Auszeichnung genügen, wie Rittershaus. Keine Leitartikel in Versen und kein mit leerem Schalle verhallendes Sturmglockenläuten, erfassen die politischen und socialen Lieder seiner zweiten Periode die Fragen des Tages mit concretester Bestimmtheit, während die dichterische Auffassung und Behandlung, das Feuer der Begeisterung und der hinreißende Klang des markigen Verses ihnen zugleich allgemeine und dauernde Bedeutung verleiht. Wohlthuend dringt und klingt bei ihm auch überall das Reinmenschliche durch, vor einseitiger blinder Parteileidenschaft ihn bewahrend. Als im unseligen Kriege von 1866 das „Hie Welf! Hie Waibling!“ auch aus Dichtermunde drohend sich entgegenklang, übertönte den wilden Kampfeslärm sein herzerschütterndes „Zu Hülfe!“ und wandte sich über allen Hader hinweg an die Einmüthigkeit der barmherzigen Liebe. Fast sämmtliche deutsche Blätter der verschiedensten Färbung öffneten sich diesem Aufrufe, der auch die so ergiebige Sammlung der Gartenlaube für die Verwundeten eingeleitet hat. Rittershaus sagt darüber in einem späteren Gedichte:

„In Kampfesmitten schlug ich auf mein Zelt,
Als Heermacht wider Heermacht kämpfend rannte,
Das rothe Kreuz in einem weißen Feld,
Die Fahne war’s, der ich mich zugesellt,
Als wildes Streiten unter Brüdern brannte,
Wo jammernd sich ein Herz in Qualen wand
Und einsam litt, da hat mich's hingetrieben, –
Gern gäb’ auch ich mein Blut für’s Vaterland,
Doch, ach, mein Wahlspruch: ‚Recht und Freiheit‘ stand
Auf keinem Kriegesbanner heut’ geschrieben!“

In diesem Wort liegt zugleich ein Zeugniß dafür, daß er zu den Wenigen gehört, die unverwirrt und unentwegt auch nach jenen verhängnisvollen Ereignissen die alte Fahne hochhalten, und die ein klarer Blick und ein ehrlicher Muth davon zurückgehalten, sich selbst und Andere, bewußt oder unbewußt, zu täuschen. Auch bei ähnlichen Anlässen, so für die Hinterbliebenen Hermann Marggraff’s, die darbenden Ostpreußen, die Cholerawaisen, hat Rittershaus niemals vergeblich an das deutsche Herz appelirt, zu dessen erklärtesten Lieblingen er gehört, auch drüben im freien Amerika. Zahlreiche Beileidsbezeigungen gelangten über das Weltmeer an die vermeintliche Witwe, als vor einigen Jahren, in Folge eines schlechten Scherzes, die Nachricht vom Tode des Dichters die Zeitungen durchlief, und ein amerikanisches Blatt brachte sogar die ganz genaue Beschreibung des Leichenzuges.

Mag sich an dem Todtgeglaubten der alte Aberglaube erfüllen! Noch lebt und wirkt er in der Fülle männlicher Kraft, ungebrochen von aller Noth und Sorge, die ihm nicht erspart geblieben. Gelang es ihm auch, unverschuldete schwere Geschäftsbedrängnisse mit treuer Freundeshülfe zu überwinden und als Generalagent verschiedener Assecuranzgesellschaften eine neue und gesicherte Stellung zu erringen, so lastet doch der tägliche Beruf auf der vollen Entfaltung seines herrlichem Talentes, und nicht selten muß der treue Vater nach einem Blicke auf die emporblühenden sechs Kinder, wenn auch mit tiefem Seufzer, das Drängen des Dichters zurückweisen, um Zahlen statt Verse zu schreiben. Jetzt soll und kann dieser Druck ihm erleichtert werden. Außer einem vor Kurzem bei Findel in Leipzig erschienenen Bändchen „Freimauerische Dichtungen“ (deren Ertrag der Central-Hülfscasse deutscher Freimaurer zufließen soll), gedankenvollen, freiheit- und liebeerfüllten, schöngeformten Gelegenheitsgedichten, die nicht allein den „Bruder“, sondern jeden wahren Menschenfreund erfreuen werden, hat Rittershaus noch keine weitere Sammlung seiner Poesien herausgegeben, obwohl er auch auf anderen Gebieten, als dem des politischen Liedes, thätig gewesen und überall zu gleicher Meisterschaft sich entwickelt hat, wie zahlreiche Proben in Zeitschriften und Künstler-Albums erweisen. Daß aber die besten und gelungensten Schöpfungen seiner zweiten Periode dem deutschen Volke nicht länger vorenthalten bleiben und daß Rittershaus zugleich die wohlverdienten Früchte seines segensreichen Schaffens ernte, dafür will ein Comité Sorge tragen, welches sich aus Freunden und Verehrern des Dichters gebildet hat und in dem Männer, wie Oberbürgermeister Bredt, Franz Duncker, Ferdinand Freiligrath, Friedrich Harkort, Löwe-Calbe, Schulze-Delitzsch, Professor Virchow u. A. vertreten sind. Der ganze Unternehmergewinn der demnächst erscheinenden „Neuen Gedichte“ soll dem Dichter allein zu Gute kommen, er soll allein die Früchte seines fünfzehnjährigen Schaffens ernten.

„Der Zweck dieser Gedichtsammlung ist deshalb vornehmlich auch der, dem Dichter selbst neben der Ehre auch den Gewinn seines Schaffens zu sichern und dazu beizutragen, ihm den Kampf mit den Aeußerlichkeiten des Lebens zu erleichtern,“ sagt der Verleger in seinem Aufrufe „an alle Freunde deutscher Poesie“.

Mag dieser Aufruf reiche Früchte tragen, mag das deutsche Volk auf dem betretenen Wege fortfahren, auch dem Lebenden zu seinem Rechte zu verhelfen, und die Hülfe, die es Freiligrath erst am Abend gewährt hat, Rittershaus mitten am Tage noch leisten, und dereinst mit ihm der Ernte eines Dichters sich zu freuen, der noch am Säen ist.

Als eine Probe und zugleich als Beleg, wie reich und voll das Herz des Poeten, wie schwer es aber auch gar oft um dieses Herz ist, schließe hier:

 Die Sonntagspuppe.

Es war an einem Sonntagmorgen –
Ob hell, ob düster, weiß ich nicht,
Ich weiß nur das – ich war in Sorgen,
Und finster war mein Angesicht.
Mir war die Welt voll Gram und Grauen,
Die Lust der Jugend schuf mir Pein. -
Nur helle Menschenaugen schauen
In Gottes Welt den Sonnenschein!

Ich hatte einen Freund gefunden,
Der heil’ge Treu’ mir einst gelobt. –
Nun kamen ernste, schwere Stunden,
Nun ward des Mannes Wort erprobt!
Jetzt hing mein Schiff an schlimmen Riffen!
War nicht der Freund als Retter nah?
Ich hätte gern die Hand ergriffen, –
Die Freundeshand, sie war nicht da!

Mein Aug’ ist schlecht geschickt zur Thräne;
Nicht stand ich muthlos und erschlafft,
Doch brummt’ ich knirschend in die Zähne:
„Nun wohl! Mit Gott und eigner Kraft!“
Und in den Zügen stand geschrieben,
Wie mich geschmerzt der eitle Trug,
Daß einen Namen, einen lieben,
Ich ausstrich aus des Herzens Buch.

Mit seiner Sonntagspuppe spielend,
Mein Töchterlein im Zimmer saß;
Oft sah das Kind, zur Seite schielend,
Wie ich nur fast zum Scheine las,
Wie achtlos durch die Blätter schweifend
Ich doch in schwarzen Träumen blieb,
Und wie ich sinnend, leise pfeifend
Gedankenvoll die Stirne rieb.

Ein närrisch Ding mein kleines Aennchen!
Wie ist das Fräulein sonst empört,
Wenn’s in dem Spiel mit Kaffeekännchen
Und Puppen je der Vater stört!
„Gieb einen Kuss mir!“ – „Nein, ich danke!
So laß’ mich doch in Ruh’, Papa!“
Doch heute von dem Puppenschranke
So oft zu mir die Kleine sah.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 375. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_375.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)