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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Der gebändigte Strom.

Abermals sahen wir den ersten Schritt zu einer Menschenthat geschehen, vor welcher die Völker der Gegenwart den Hut abziehen und die Nachkommen mit Hochachtung unserer Tage gedenken werden.

Im schönsten Frühlingssonnenglanz des vierzehnten Mai feierte Wien „die Inauguration der Donau-Regulirungs-Arbeiten“, indem der Kaiser selbst den ersten Spatenstich dazu vollbrachte. Das ist eine sinnige Weihe, ganz des modernen Geistes würdig, der „die Ehre der Arbeit“ aussprach und der sie, je mehr Cultur und Humanität Siege erringen, um so ernster vor alle übrigen Ehren stellt.

Ein Blick auf unsere Illustration genügt, um unsere Leser von der Großartigkeit und Schwierigkeit des Unternehmens zu überzeugen. Es ist in der That eine kolossale Idee, die Verlegung von einem Theile des Bettes des bedeutendsten Stromes in Europa. Ein solches Beginnen mahnt an die weltbekannten Mirakel des Alterthums, und es darf uns deshalb nicht Wunder nehmen, daß man erst nach beinahe hundertjährigem Zaudern an die Ausführung zu gehen wagt.

Der Durchstich der Donau bei Wien.

Vergleicht man die örtliche Lage großer Städte an bedeutenden Strömen, wie z. B. die von Köln, Mainz, Breslau, Dresden, Pest etc., mit der von Wien, so findet man den sehr bedeutenden Unterschied, daß die Wassermasse ungetheilt, in voller Kraft und mit allen ihren natürlichen Vortheilen im Gefolge an den gedachten Plätzen vorbeikommt, während die Wasserkraft der Donau, durch ein Chaos wilder Gewässer netzförmig ausgebreitet, an Wien vorüberfluthet. Die Größe des Donaustromes auf diesem Theile seines Laufes entspricht beiläufig, als Fluß, derjenigen des Rheines, bevor er die Mosel aufnimmt; dagegen mögen die Hochwasser der Donau bedeutender als jene des Rheines sein, da wiederholten Messungen zufolge eine mittlere Hochfluth bei der großen Donaubrücke nächst Wien einen Abfluß von 360,000 Kubikfuß Wassermasse pro Secunde ausweist.

Dem Verluste, welchen die angrenzenden Uferlandschaften an Grund und Boden ununterbrochen erlitten haben und stündlich noch erleiden müssen, den Gefahren ausgedehnter Ueberschwemmungen, welchen die Nord- und Nordosttheile Wiens ausgesetzt sind, und dem überaus schwierigen, theilweise auch unmöglich gemachten Schiffsverkehre steht die bedeutsame Regulirungsziffer von 24,600,000 Gulden gegenüber. Jetzt, wo die Arbeiten bereits begonnen haben und der Weihespatenstich geschehen ist, sei es erlaubt, auf das Wesen der Sache etwas näher einzugehen. –

Die Regulirung des Stromlaufes wird eine Strecke von beiläufig acht Wegstunden umfassen. Der Lauf der Donau ist

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_378.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)