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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

im Jahre 1807, als Bettina im zweiundzwanzigsten Lebensjahre stand. Das Landhaus bewahrt im Goethezimmer, dem Zimmer, worin der Dichter siebzehn Jahre später wohnte, das bekannte Jagemann’sche Bild Goethe’s und einige Federzeichnungen von Goethe’s Hand, so eine in Farben colorirte Skizze von Frankfurt, der Vaterstadt des Dichters. Ueber der Thür des Goethe-Zimmers findet sich, in Metallbuchstaben aus Messing geheftet, eine Stelle aus den Horazischen Oden: „Pauperum tabernas, regumque turres!“ welche im Zusammenhang mit dem hier fehlenden Vordersatz (Pallida Mors aequo pulsat pede) in der Uebersetzung etwa sagen würde: „Der bleiche Tod betritt mit gleichem Fuße die Hütten der Armen und die Paläste der Könige.“ – Die Stelle selbst findet sich bei Horaz: Carm. I., 4, Vers 13 und 14.

Goethe verewigte sein trautes Winkel in den Versen:

„Wasserfülle, Landesgröße, heit’rer Himmel, frohe Bahn,
Diese Wellen, diese Flöße, landen auch in Winkel an –“

welche sich als Autograph unter der erwähnten Federzeichnung finden. Hier in Winkel auch fand das Stiftsfräulein Karoline von Günderode am 26. Juli 1806 sein tragisches Ende. In dem später erschienenen Briefwechsel der Bettina finden sich Andeutungen, die das tragische Geschick dieser romantischen Erscheinung erklären.

Karoline von Günderode, in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Karlsruhe geboren, unter dem Namen Tian auch als Schriftstellerin bekannt, suchte den Tod, weil ihre glühende Neigung für den Philologen Creuzer nicht erwidert ward. In dem Weidendickicht, dicht am Ufer des Stromes, fast an der Stelle, wo ehemals die Lützelaue, die Malstätte des Rheingaus lag, stieß sie sich an einem Juliabend des genannten Jahres, gleichzeitig den Tod in den Fluthen suchend, den Dolch in das Herz. Goethe suchte acht Jahre später diese Stelle auf und giebt in seinen Briefen Andeutungen darüber. Die Günderode wird immer eine interessante Erscheinung jener Goetheperiode bleiben, um so mehr, als ihr Geschick auf Bettina von nachhaltigem Eindruck blieb. Auf dem Kirchhof des Ortes Winkel an der Kirchhofsmauer findet sich ihr Grabstein, der kürzlich durch die Bemühungen einiger Literaturfreunde und des Bürgermeisters von Winkel, sowie durch die wirksame Unterstützung des Hofgerichtsrath Petri, eines der bedeutendsten Forscher der rheingauischen Geschichte, gänzlich wieder hergestellt worden ist. Die alte Platte, mit der sinnigen inhaltsvollen Inschrift, ist beibehalten und in antikem Style von dem bekannten Bildhauer Leonhard eingefaßt worden.

Petrus  Maria
 Jakob Hett. Franziska Flunger.

Nach den Mittheilungen, welche Dr. M. Bernays und Dr. Wilhelm Hemsen kürzlich darüber gemacht, findet sich die Inschrift in den „Gedanken einiger Bramanen“ und unter der Ueberschrift „Abschied des Einsiedlers“ in der Herder’schen Blumenlese aus morgenländischen Dichtern; dort indessen in etwas anderer Form als auf dem Grabstein. Man hielt bisher die Günderode häufig für die Verfasserin der Verse, sie hat dieselben indeß nur umgemodelt und sie in dieser veränderten Form als Inschrift für ihr Grab hinterlassen. Das Blatt, worauf sie diesen Wunsch aussprach, befindet sich im Besitze des Reichsfreiherrn Robert von Hornstein in München. Die Grabschrift lautet:

„Erde, du meine Mutter, und du, mein Ernährer, der Lufthauch,
     Heiliges Feuer, mir Freund, und du, o Bruder, der Strom,
Und mein Vater, der Aether, ich sage euch allen mit Ehrfurcht
     Freundlichen Dank. Mit euch hab’ ich hienieden gelebt,
Und ich gehe zur anderen Welt, euch gerne verlassend.
     Lebt wohl denn, Bruder und Freund, Vater und Mutter, lebt wohl!“

Wie Winkel, in bester Weinlage des Rheingaus, liegt, den genannten Ort begrenzend, das Vorörtchen St. Bartholomäi (im Dialekte Barthelmi), wo nach Simrock „Barthel weiß, wo er den Most holt!“ – Es deutet mancherlei darauf hin, daß wir hier den Ursprung dieses deutschen Sprüchwortes zu suchen haben.

Das linke Rheinufer von Mainz bis Bingen bietet uns weit weniger Ausbeute, als das rechte von Mainz bis Rüdesheim, es erfreut sich auch im Allgemeinen nur eines sparsamen Besuchs,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 397. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_397.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)