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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Ein Stein-Phänomen.

Eins der reizendsten Thäler des Thüringer Waldes, schrieb jetzt gerade vor zehn Jahren Ludwig Storch in einem vortrefflichen Artikel der Gartenlaube, ist der Dietharzer oder Schmalwassergrund im nordwestlichen Theil des Gebirges und im herzoglich Coburgisch-Gothaischen Territorium. Von dem Thalkessel, in welchem die beiden uralten Orte Tampach und Dietharz nahe beisammen liegen, ziehen sich fächerartig die köstlichsten, mit malerischen Felsgruppen gezierten, von hellen Bächen durchtanzten Thäler zum Hochgebirg empor. Das köstlichste von allen ist der Schmalwassergrund, welcher sich vor Tampach nach dem Falkenstein hinaufzieht. Er, sagt Ludwig Storch in seiner tüchtigen Weise, hat jenen Charakter süßer poetischer Schwermuth, den nur diejenigen Herzen wohl zu genießen wissen, welche mit dem Besten, was ihr Eigen, unverstanden, mißachtet, verhöhnt durch die Menschenwelt gehen müssen. Die kennen den Werth einer solchen Gebirgsgegend, wie dieses Thal, in welchem, sowie im Berggebiet weit umher, keine menschliche Wohnung gefunden wird.

Der Napoleonstein.
Nach einer Photographie von August Lind in Gotha.

In diesem Thal nun, und zwar wenn man von Dietharz aus in den Schmalwassergrund eingetreten ist, etwa zehn Minuten von Dietharz entfernt, dicht an der schönen Fahrstraße, welche zum Falkenstein und nach dem idyllischen Oberhof hinaufführt, liegt ein eigenthümlich gestalteter Fels. Denn in einer Höhe von zwanzig bis zu dreißig Meter steigend, bildet derselbe ein vorspringendes menschliches Antlitz, welches im Profil eine überraschende Aehnlichkeit mit Seiner Majestät dem Kaiser von Frankreich, Napoleon dem Dritten, hat.

Es ist seltsam, wie die Natur durch zufällig zusammenwirkende Ursachen ein solches groteskes Gebilde zu schaffen vermochte. Der Typus Napoleon des Dritten ist hier so frappant wiedergegeben (allerdings in mehr carrikirter als idealer Form), daß der Beschauer einen Zweifel fast nicht abzuwehren vermag, ob ein solches Phänomen wirklich allein durch die Elemente entstehen konnte. Es ist mehr als ein silhouettenartiges Profil, welches sich hier in kolossalen Dimensionen erhebt. Das Auge mit den halbgesenkten Lidern, der heraufgestrichene Schnauzbart, kurz, alle jene Linien, welche den Ausdruck der Resignation und unbeugsamen Energie – wie man versichert, die Hauptzüge Napoleon des Dritten – bedingen, sind auch auf diesem Steingebilde fixirt.

Unsere Illustration zeigt diesen Felsen, welchem der Volksmund schon den Namen Napoleonstein beigelegt hat, und welcher am überraschendsten vom zweiten Pfeiler der zweiten Brücke aus zu sehen ist.

Nun, Ihr Touristen, wenn Euch der Frühling wieder hinauslockt in die blühenden Wälder Thüringens, und Ihr passirt die genannte Brücke des Schmalwassergrundes, so vergeßt nicht emporzuschauen, damit Ihr es unten in Tampach dann erzählen könnt, wie wunderbar ähnlich „Er“ ist; denn die Tampacher sind stolz auf ihren „Napoleon“.

A. L.


Aus meinen Erinnerungen.
Contraste.
Von Franz Wallner.

Nirgends treten die schneidendsten Gegensätze, die grellsten Lebenswechsel häufiger auf, als beim Theater. Ich könnte zahlreiche Beispiele anführen, wie sich Bühnenangehörige aus den tiefsten und dornenvollsten Stellungen hinaufgerafft hatten auf die Sonnenhöhe des Ruhmes und der Anerkennung, um wieder tief, tief hinabzustürzen, ja, in der Nacht des Wahnsinns zu enden! Ein warnendes Beispiel gegen Selbstüberschätzung und Glauben an die eigene Unfehlbarkeit hat uns schon vor Pius dem Neunten der hochberühmte Tenorist Aloys Ander in Wien geliefert.

Ich kenne seine frühere Laufbahn nicht, und kam erst mit ihm in Berührung, als er auf dem Zenith seines Ruhmes stand, der gefeierte, verwöhnte Liebling des Wiener Publicums, zumal der Damen der Residenz. Gewaltigere Stimmen mag es beim deutschen Theater gegeben haben, eine zartere, lieblichere, zum tiefsten Herzen mehr sprechende wohl kaum als die von Ander. Er war sich, leider, auch seiner Vorzüge nur zu bewußt, ja, seine zügellos ausschweifende Phantasie hatte sich einen Altar gezimmert, dessen Stufen kein anderer deutscher Sänger auf Meilenweite nahe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 405. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_405.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)