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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Person aber nothdürftig zusammengekauert auf dem Sopha campiren mußte. Der Hauswirth benahm sich gegen uns als der gentile Gastfreund, der liebe, längst erwartete Freunde bei sich empfing. Mir war dies peinlich, und um mir von Fremden nichts schenken zu lassen, lud ich die Familie zu Tisch in’s Hôtel und kaufte für dieselbe für mein schweres Geld Billets zu den Tribünen, zu den Festvorstellungen im Theater u. dgl., die selbst für namhafte Preise kaum aufzutreiben waren. So glaubte ich mich ausreichend revanchirt zu haben und meinen Wirthen die peinlich unangenehme Frage, „was ich schuldig sei?“ ersparen zu können. Zu meiner unangenehmen Ueberraschung aber wurde mir beim Abschied ein „Zahlungswunschzettel“ überreicht, gegen welchen die Riesenrechnungen im „Grand Hôtel“ während der Pariser Ausstellung nur bescheidene Erpressungsversuche genannt werden durften. Das war 1857 Weimarische Gastfreundschaft! – Ich zahlte und machte mit der seltsamen Rechnung Berthold Auerbach ein Geschenk, der sie als Festcuriosum aufbewahren wollte.

Sehr heiter verlief die Extrafahrt nach der Wartburg, für welche die Munificenz des Großherzogs einen Eisenbahnzug zur Disposition gestellt hatte. Als letzte Erinnerung an diese burschikose Fahrt haftet in meinem Gedächtniß die geschmeidige Gestalt Hans Gasser’s, die, während der Zug dahin brauste, mit „affenartiger Geschwindigkeit“ an der Außenseite der Waggons hinkletterte, um den Platz zu wechseln und sich, durch’s Fenster steigend, einigen Freunden beizugesellen. Mir wurde ganz ängstlich zu Muthe, als ich ihn auf dem schwindelnd luftigen Wege dahineilen sah, wo ein Fehltritt den Tod unter den zermalmenden Rädern bringen konnte. Hätte ihn doch damals dies Geschick ereilt, mitten in Lust und Heiterkeit, rasch, unvorbereitet, ahnungslos! –

Wenige Jahre sind seit dem Vorhererzählten verflossen, ich war eben in Wien anwesend, als die tollste aller Fastnachtstollheiten der Residenz, „das Narrenfest des Männergesangsvereins“ im Dianensaal gefeiert wurde. Wer dies nie mitgemacht, der kann sich keinen Begriff machen von dem Tohuwabohu, welches sich hier entwickelt. Es ist ein Wettlauf, wer unter den Verrückten der Verrückteste, unter den Rasenden der Rasendste sei. Bei den vortrefflichen Scherzen, welche der Verein in Scene setzt, von dem das Fest ausgeht, muß man freilich auch vieles Tact- und Witzlose und Unpassende in den Kauf nehmen, das talentlose Selbstgefälligkeit auf eigene Faust ausbrütet. Es sind eben dreitausend Narren anwesend, die sich an Narrheit zu überbieten suchen. Bei aller Ausschreitung schützt die angeborene Gemüthlichkeit des Oesterreichers vor schlimmen Folgen; in Berlin wäre eine ähnliche Versammlung ohne solche nicht denkbar, hier heult man mit den Wölfen ohne von denselben zerrissen zu werden. An Originalität wird dieser Faschingsjux „nur für Herren“ von keinem ähnlichen Feste in Europa erreicht. Es war Mitternacht vorüber, Geschrei, brüllendes Gelächter in einzelnen und in den Massengruppen hatte seinen Höhepunkt erreicht, als ich mich durch die ungeheuren Räume des Locals, mit dem Strome schwimmend, vorwärts schieben ließ. Wo die Menge staute, da wurde Halt gemacht, und man mußte eine Production über sich ergehen lassen, gut oder schlecht, amüsant oder langweilig, wie es eben kam. Mich mit wirrem Kopf nach einem Rettungsplätzchen umsehend, bemerke ich ein kleineres matt erleuchtetes Seitenzimmer, in welches ich mich flüchte. Wie ferne Meeresbrandung schallt der wüste Lärm und die Musik der Strauß’schen Capelle in die etwas abgelegene menschenleere Stube. In eine Ecke ist ein Rundsopha geschoben, und auf diesem sitzt oder vielmehr kauert eine merkwürdige Gestalt, in einen langen dunkeln Mantel, trotz der glühenden Hitze, tief verhüllt, einen spitzen Hut auf dem Haupte, und dies gegen eine Mauerecke festgestemmt, als wolle der Mann den Kopf in die Wand vergraben. Dabei regungslos, nur ein leises wimmerndes Stöhnen zeugte von Leben in der unheimlichen düsteren Erscheinung. Inmitten der umgebenden Raserei befremdete mich diese doppelt. Ich starrte den Mann, der, ein Bild namenlosen Jammers, für seinen Schmerz diesen sonderbaren Ort ausgesucht, eine Weile lautlos an. Er bemerkte mich nicht, oder wollte mich nicht bemerken. Leisen Trittes, wie aus einem Sterbezimmer, entfernte ich mich und suchte einen der Directoren auf, um Auskunft über den düstern Gast zu erhalten.

„Es ist der Bildhauer Hans Gasser,“ entgegnete der Gefragte, „er hat sich durch das Eindringen eines Steinsplitters zwischen Fleisch und Nagel seiner Hand eine Verwundung zugezogen, die nicht mehr zu heilen ist. Das einzige Rettungsmittel, den Arm abnehmen zu lassen, verschmäht er, und so stirbt ihm die Hand nach und nach ab. Um die Zeit zu tödten, die ihm bei seinen unsäglichen Qualen endlos wird, geht er Nacht für Nacht aus und sucht Orte auf, wo es toll zugeht, je toller, desto besser, und erst wenn der Letzte der Lustigen das Local verlassen, schleicht der ernste Gast langsam in seine einsame Behausung.“

Ich erinnere mich nicht, je so von Entsetzen geschüttelt worden zu sein, als bei dieser grauenvollen Mittheilung. Die ganze Narrenwelt versank vor meinen Augen, und mein Blick wandte sich allein dem Unglücklichen zu, dessen herbes Geschick mir das Herz zerriß. Er, der Künstler, sieht die Hand, das Werkzeug seines Schaffens, sterben, langsam absterben am lebensfrischen Leibe. Er, der heitere zu jedem Scherz aufgelegte junge Mann, kann nicht weilen auf der ersehnten Ruhestätte; in tiefer Nacht muß er die Orte aufsuchen, wo die Lustigkeit der Anderen wie der Schall aus anderen Welten zu ihm herüber dringt, dort weilt und wimmert er, bis das Grauen der Morgendämmerung ihn heim treibt, in das ehemalige Atelier, welches nicht mehr Zeuge sein kann von seinem Schaffensdrange!

„O Jammer, Jammer von keiner Menschenseele zu fassen!“

Als ich nach einigen Monaten erfuhr, daß Hans Gasser todt sei, da athmete ich tief auf und dankte Gott, daß er den müden Leib des Armen erlöst hat von seiner Qual. Sei ihm die Erde leicht! –




Der Schwedengarten von Oberhütten.

Beim Städtchen Königstein in der sächsischen Schweiz öffnet sich ein „Grund“, den ich für den schönsten der gesammten sächsischen Schweiz erkläre, zwar kein „kühler Grund“, doch ein Grund, in welchem am „klaren muntern Bächlein“ der Biela Hunderte von Mühlenrädern gehen und uns das Herz mit heller Wanderlust erfüllen. Anfangs mehr anmuthig als imposant, nimmt er an seinem obern Ende einen hochromantischen Charakter an. Groteskere Felsbildungen hat das ganze Sandsteingebirge der Elbe nicht aufzuweisen, auch die vielgefeierte Bastei sammt Umgebung nicht. Man sieht dort Gestalten, die ein launiger Berggeist aufgethürmt zu haben scheint, leider hat man auch sie mit allerhand flunkernden Namen behangen, Herculessäule, Johanniswacht, Burg Zion und so fort, und rundum erquickt der herrlichste Hochwald mit seinen Harzdüften unsere Lungen. So recht ein Lustrevier für ozondürstende Städter! Das hat man auch bereits erkannt, ein paar Villen und eine Kaltwasser- und eine klimatische Curanstalt, die man mitten in die fichtenumkränzte Stille gebaut hat, geben davon Kunde. Der kleine Badeort heißt die Schweizermühle, und wer so glücklich ist, daß es ihm nichts verschlägt, von allen anderen Verkehrsmitteln, von Postwagen, Eisenbahn, Dampfschiff und Telegraphen, stundenweit entfernt zu sein und seine Beziehungen zur Außenwelt blos durch einen täglich zweimal erscheinenden Fußbriefboten gepflegt zu sehen, – der wird in der köstlichen Luft und an den frischen, klaren Quellen der Biela ein paar Wochen lang ein beneidenswerthes Dasein führen.

Waldeshauch und Amselschlag, Wiesenduft und Wasserrauschen, alles das hat man in der Schweizermühle frisch aus erster Hand, und wer außerdem für Kühlungen bis an’s Herz hinan Begeisterung verspürt, der kann in kalten Einreibungen, in Douchen und Einwickelungen con amore schwelgen. Ein mit dem Etablissement verbundenes Gasthaus mit anerkennenswerther leiblicher Verpflegung läßt eine Sommerfrische in diesen entlegenen Regionen auch für sinnenlustigere Gemüther als kein Martyrium erscheinen, wenn es auch noch durch einzelne kleine Ursprünglichkeiten, als da sind Heumatratzen, Blümchenkaffee, dünne Biere, lederne Beefsteaks und naive Kellnerinnen, daran erinnert, daß man sich mitten im Hinterwalde befindet, da, wo bis vor Kurzem, wie der alte Waidmannsausdruck lautet, Füchse und Dachse dem gnädigen Herrn Auerhahn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 408. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_408.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)