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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

von des Volkes Lust und Leid. Zu diesem Zweck veranstalte der Verein Concerte, oft in den ersten Etablissements von Berlin, während die Sommerversammlungen in frei gelegene Locale verlegt wurden, zu denen das Volk Zutritt hatte. „Zur Zeit der Pfingsten“ aber zog die Sängerschaar hinaus in die deutschen Lande, in’s Riesengebirge, die sächsische Schweiz, den Harz, nach Thüringen etc., um im Herzen des Volkes dem Volke zum Herzen zu singen.

Und was hat der Verein erreicht? Die Erweckung und Verbreitung des Volksliedes ist ihm gelungen, kein nationales Fest wird gefeiert ohne seine Mitwirkung, er hat mit seinen Einnahmen schon manche Sorge und manche Noth gelindert und hat Vielen nach des Tages Last und Mühe einen wahren Genuß, Behagen und Vergnügen verschafft. Er hat’s; es bezeugen es die regelmäßig starken Besuche der Concerte wie die Dolmetscher dieser Besucher, die Recensenten. Hören wir einige der Letzteren. Indem ein Ungenannter „nach allen krankhaften Ueberreizungen, mit denen ihn die Neuzeit Jahr aus und ein foltert, sich von den Volksliedern des Vereins erquickend anwehen läßt,“ athmet Rellstab regelmäßig mit Vergnügen den „Feldblumenduft der Volksliedersträußchen“. Ein Dritter spricht mit George Sand: „Die Poesie kann nicht sterben; trotz ihrer umgestürzten Tempel und der auf den Trümmern derselben angebeteten falschen Götter ist sie unsterblich wie der Duft der Blumen und wie der Glanz des Himmels. Aus Theatern, Kirchen und Akademien verbannt, flüchtet sie sich in das Volksleben und saugt ihre Nahrung aus Allem, was des Volkes Herz bewegt.“ Sollen wir noch andere Zeugnisse bringen?


Christian Ludwig Erk.


In Groß-Tabarz am Fuß des Inselsberges, wo der Verein auf seiner Harzfahrt übernachtete und in den duftigen Pfingstabend hinein mit den Nachtigallen um die Wette sang, drängte sich ein schlichtes Bauernweib durch die Haufen der Zuhörer, um dem Vater Erk die Hand zu drücken und für die schönen Lieder zu danken. Erk, an Applaus und Hochs gewöhnt, antwortete ergriffen: „Dieser Abend ist mir mehr werth, als zehn Concertabende in der Residenz.“ Auf derselben Fahrt brachte der Verein dem Volksdichter Fritz Reuter im Marienthale bei Eisenach ein Ständchen, und auch der Dichter fühlte sich von den schlichten Volksweisen so angeheimelt, daß er einen ganzen Abend im Verein verbrachte und damit einen unvergeßlichen Moment in das Leben der Sänger streute.

Möge der Verein ferner gedeihen! Möge sich vor Allem erfüllen, was Hoffmann von Fallersleben zum 6. Januar 1867, dem sechszigsten Geburtstage Erk’s, sang und einer von Erk für Männerstimmen arrangirten Volksmelodie unterlegte. Der Dichter rief aus der Ferne dem lieben Freunde zu:

„Der Winter ist erschienen ringsum in Stadt und Land, uns aber ist hienieden ein Frühlingstag erschienen: nun ist Alles grün, Alles will heute blüh’n! Laßt uns singen diesem Tag, ja diesem Tag zu Ehren!
Heut’ sind es sechszig Jahre, daß er geboren ward, der aus des Volkes Munde geschöpft des Volkslieds Kunde, für sein Werk heiß gestrebt, treu gewirkt, ganz gelebt, uns gelehrt hat, Volksgesang zu üben und zu ehren.
Und wie das Volkslied ewig im deutschen Volke lebt, so soll sein schönes Streben fortan für Deutschland leben, hier und da, weit und breit, fern und nah! Unserm Meister Ludwig Erk, dem schalle Dankesjubel!“

Gustav Schön.




Ein Besuch in einer Klosterbräuerei.

Es war nicht länger möglich, dem lockenden Gruß der nahen Berge, die im hellen Schein der Frühlingssonne schimmerten, zu widerstehen. So machten wir uns denn frisch auf den Weg, um die Bekanntschaft mit den anmuthigen Ausläufern der bairischen Alpengruppe zu erneuern.

Keine Stadt verdient weniger den schlimmen Ruf, es sei ihre natürliche Lage ungünstig und reizlos, als München. Freilich, die Nordseite bietet dem von den Donau- und Lechufern Kommenden manch trostlose Partieen; dafür wird aber um so reicher entschädigt, wer durch die entgegengesetzten Thore hinauswandert. Zwar dehnt sich auch hier noch weithin die Ebene, nur von unbedeutenden Hügelketten unterbrochen, doch überall blinken freundliche Dörfer durch das Grün, blaue Seen sind schnell zu erreichen und überall ist der Horizont begrenzt von den herrlichen Umrissen der Alpen, die dem näher Kommenden wie zum Willkommgruß die frische Bergluft entgegensenden.

Ihnen sollte auch unser Wanderziel gelten, als wir an einem heißen Sommertage nach stundenlangem Marsche die durch dickes Waldgestrüpp blitzende Kirchthurmspitze mit lautem Jubel begrüßten. Denn der Stätte der Andacht konnte auch das Wirthshaus nicht mehr fern sein. Um jeden unnöthigen Umweg zu vermeiden, suchten wir bei einem „unserer biedern Landleute“, der neben der Straße ackerte, Bescheid.

„Ja, ’s Wirthshaus ist kein’n Büchsenschuß von der Kirch’ weg, aber ich glab’ nöt, daß ’s Bier dort frisch is. Sie könnt’n ja schau’n, ob S’ nöt in’s Klosterbräustüb’l eing’lassen werd’n!“.

Klosterbräustube! Dies Wort erweckte in uns drei Wanderern widersprechende Gefühle, Abneigung, Neugierde und höchste Befriedigung. Die Abneigung mußte sich majorisiren lassen und wir stiegen ungewöhnlich tapfer den Hügel hinan, der die stattliche Wallfahrtskirche A. und ein ziemlich bescheidenes Klostergebäude trug. Ein langer Zug von Weibern und Kindern drängte sich eben aus dem Kirchenportal, das mit Birkenzweigen und Blumenketten geschmückt war. Es war ein Bittgang Morgens durch die Fluren gemacht worden, um den Segen des Himmels für das Gedeihen der Frucht zu erflehen, und nach der Heimkehr hatten die Teilnehmer in der Kirche den Segen des Priesters erhalten. Noch tönten die letzten Klänge der Orgel, die das Lied der Gemeinde begleitet hatte, durch die offene Kirchthür, und Weihrauchduft empfing uns, als wir auf der Terrasse anlangten.

Schrill tönte die Klosterglocke. Der Pförtner steckte den Kopf durch das enge Fenster neben der Thür: Der Blick, mit dem er uns musterte, als wir unsern Wunsch eröffneten, war nicht gerade freundlich. Wir hatten nicht, wie es sonst üblich, die Empfehlung eines Klosterwohlthäters oder einen Gruß an ein Mitglied der Mönchsgemeinde zu bieten. Doch öffnete sich nach

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 412. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_412.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)