Seite:Die Gartenlaube (1870) 427.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


bedacht, für das Zeitliche auch nicht gleichgültig sei, werde so, mit den nöthigen Mitteln ausgestattet, bald wieder den ihr gebührenden Rang einnehmen. Die Verhandlungen dieses Congresses in Mecheln waren natürlich geheim und für Nichtkatholiken oder Liberale streng verschlossen, und als damals die liberale Presse einige Andeutungen über das Vorgefallene gab, leugneten die klerikalen Journale, ihrer gewohnten Kriegskunst folgend, die Sache geradezu als eine vom Liberalismus ersonnene Lüge weg. Das ministerielle Echo du parlament in Brüssel veröffentlichte aber vor einigen Wochen alle Actenstücke jenes Mechelner Congresses, aus denen klar hervorging, wie gegründet die damals nur leise Vermuthung der Liberalen gewesen war. Es ist ferner Thatsache, daß alle Bischöfe dem Plane bereitwilligst zustimmten; bald darauf wurde eine Eingabe an den Papst entworfen, in der der heilige Vater um seinen Segen und um die Ernennung Langrand’s zum Vorstande des Unternehmens gebeten wurde. Die päpstliche Antwort traf denn auch rasch genug ein; schmunzelnd gab Seine Heiligkeit den Segen, Langrand wurde vom Papste zum Chef der Unternehmung, welche das Capital christianisiren sollte, und zugleich zum päpstlichen Hausgrafen und Kämmerer ernannt, nachdem schon vorher verschiedene Potentaten seine Brust mit Orden geschmückt hatten. Am 12. April 1864 war die Eingabe an den heiligen Vater abgesandt worden, und schon am 21. April, also mit einer in Rom sonst gar nicht gebräuchlichen Schnelligkeit und Eile, war die päpstliche Antwort in Brüssel.

Aber nicht einmal die Antwort wurde von Langrand abgewartet; denn schon am 12. April, also am Tage, an welchem das Schreiben nach Rom abging, gründete er mit Hülfe der Herren de Dekker, d’Anethan, Graf de Liedekerke, Beauffort und Anderer die „Banque de crédit foncier industriel“ mit dem Sitz in Brüssel und einem Capital von fünfzig Millionen Franken. Diesmal war Ungarn der Schauplatz, der ausgebeutet werden sollte; mit belgischem Gelde sollte in Ungarn Grund und Boden massenhaft gekauft, derselbe wieder in einzelnen und kleineren Stücken verkauft werden. Die Betrügereien, die dabei verübt wurden, grenzen geradezu an’s Fabelhafte. Aus dem Processe, der sich in den letzten Wochen abspielte, ging hervor, daß Langrand’s Agenten, die den Grund kauften, der Gesellschaft oft den vier- und fünffachen Preis anrechneten und den Ueberschuß mit Langrand theilten; zugleich wurde der Werth dieser Güter in den Büchern auf unnatürliche Weise erhöht, zu keinem andern Zwecke, als um die hohen Dividenden erklärlich finden zu lassen, die man auch hier einfach dem Capitale entnahm. Langrand besoldete ein ganzes Heer von Agioteurs, die den Cours der Bankactien künstlich in die Höhe treiben mußten, und hochstehende Herren mit hochadeligen Namen schämten sich nicht, von Langrand Trinkgelder anzunehmen! Selbst der päpstliche Nuntius in Brüssel, Msgr. Cattani, bekam hunderttausend Franken, eine Thatsache, die den klerikalen Journalen sehr viel zu schaffen machte und die trotz aller Ableugnung nicht umgestoßen werden konnte. Langrand, der päpstliche Graf, sollte aber später noch andere Gelegenheit finden, der Curie für ihre Dienstwilligkeit und für seine Rangerhöhung seinen Dank auf sehr reelle Weise auszudrücken; denn es wäre doch mehr als ein Wunder gewesen, wenn der allzeit Geld bedürftige heilige Stuhl die Gelegenheit nicht beim Schopf ergriffen hätte, einem so erklärten Finanzgenie, wie Langrand, die ehrenvolle Aufgabe zuzuweisen, das Danaidenfaß seiner Finanzen zu füllen.

Wie sich leicht denken läßt, entstanden in den Cassen der einzelnen Geschäfte Langrand’s große Lücken, die sofort gedeckt werden mußten. Er half sich, indem er zufälligen Geldvorrath eines Geschäfts nahm und ihn dem andern übertrug, d. h. mit anderen Worten, indem er ein Loch grub, um ein anderes zu füllen. War kein Geld vorhanden, um den Actionären einer Unternehmung Zinsen und die versprochenen Dividenden zu bezahlen, so war Langrand nicht verlegen: er gründete sofort eine neue Unternehmung und befriedigte von dem Gelde, welches die neuen Actionäre einbezahlt hatten, die alten, für welche pfiffige Operation Langrand einen eigenen Namen erfunden hatte, indem er sie „die Solidarität seiner Unternehmungen“ nannte.

Um das Princip dieser Solidarität im großartigsten Maßstabe durchführen zu können, gründete Langrand den „International“ mit dem bescheidenen Capital von 200,000,000 Franken! Derselbe hatte denselben Zweck, wie der „Industriel“, nur sollte er die Operation des letztern „über die ganze Welt“ verbreiten, zu welchem Zweck der International eigentlich den großen Centralcanal bilden sollte, aus welchem die kleineren Unternehmungen gespeist würden. Jedoch nach dem Princip der Solidarität verschlang der International sofort nach seiner Gründung das ganze Capital des Industriel!

Die Hauptschwierigkeit bildete nun aber natürlich die Unterbringung der Actien des „International“. Mit gewöhnlichen Mitteln dies zu bewerkstelligen, war eine baare Unmöglichkeit, was Langrand selbst recht gut wußte. Die Geldverlegenheit des heiligen Stuhles rettete ihn diesmal aus der Verlegenheit. Ein päpstliches Anlehen wurde von Langrand denn auch ausgeschrieben und jeder, der eine päpstliche Obligation al pari nahm, bekam gratis als Prämie eine Actie des „International“! Nun stand der Cours der päpstlichen Schuld damals auf fünfundsiebenzig Procent, für das Uebrige bekamen die Gläubiger eine Hypothek auf das Paradies oder, wenn man lieber will, ein „Fegefeuerbefreiungscertificat“. Wie man sieht, lag wirklich Methode und Plan in dieser Katholisirung des Capitals. Es sollte aber noch besser kommen.

(Schluß folgt.)




Aus der Wandermappe der Gartenlaube.
Nr. 7. Auf dem Victoriaberge bei Remagen.

„Der Salondampfer,“ erzählte ich auf einem Spaziergange bei Remagen meiner Begleiterin, einer sehr liebenswürdigen Dame, „war außerordentlich reich besetzt. Zwischen langen Engländerbeinen und noch längeren Damenkleiderschleppen arbeiteten wir uns mühsam durch, um auf dem Verdeck ein behagliches Plätzchen zu erobern. Erst oberhalb Köln gelang es uns, und nun räumten wir die beste Stelle am Frühstückstisch einem Gefährten ein, dem wohl jeder der zahlreichen Fahrgäste gern sofort Platz gemacht hätte, wenn Einer von uns seinen Namen genannt haben würde. Mir fielen Dingelstedt’s Verse ein, mit welchen er eine Rheinfahrt des alten Uhland schilderte:

Die du stolz und wellenmächtig meerwärts fliegst auf raschen Bahnen,
Warum schweigen deine Böller, warum feiern deine Fahnen?
Warum schmücket keine Flagge jenen Mast, kein Kranz die Raa?
Trägst doch einen König heute, Königin Victoria!“

„Und wer war Ihr Gefährte?“ frug die Dame.

„Ein deutscher Dichter, gnädige Frau! Erlauben Sie mir, im Style einer Novelle zu erzählen und den Namen bis zum Culminationspunkt zu verschweigen. Wenn wir auf dem untern Plateau des Victoriaberges angekommen sind so zeige ich Ihnen seine ehemalige Heimstätte Unkel –“

„Also Freiligrath war es?“ rief die junge Frau.

„Ich konnte nicht ahnen, daß eine Dame, deren Geburtsjahr ein Decennium später, als des Dichters Aufenthalt am Rhein liegt, seine Biographie so genau kennen würde.“

„Als ob ich nicht wüßte, daß Freiligrath in Unkel seine Gattin gefunden, daß er in Rolandseck die Ruine neu erbaute und daß sein herrliches Liebeslied aus der Unkeler Zeit stammt!“

„Desto besser. – Sehen Sie, da taucht schon der Rolandsbogen auf. In der Neujahrsnacht 1839 zertrümmerte ein Sturm die Ruine, Freiligrath schrieb und sammelte ein Rolands-Album und ließ für den Ertrag den Bogen durch den Kölnischen Dombaumeister Zwirner wieder aufrichten.“

„Ein weit sichtbares Wahrzeichen, eine stolze, schöne Erinnerung für einen Dichter!“

„Nicht wahr – und wenn der Dichter nun achtzehn Jahre lang verbannt gewesen und sieht das Wahrzeichen zum ersten Male wieder! – Als uns, wie ich bereits erzählte, der Salondampfer von Köln rheinaufwärts trug, geleiteten wir den eben aus England heimgekehrten Freund nach Rolandseck, um ihm von dem wiedergewonnenen Heimathboden sogleich denjenigen Punkt zu zeigen, an welchen sich seine liebsten Erinnerungen

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_427.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)