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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

welcher der Angeklagte sitzen muß, den Geschworenen gerade gegenüber … er sah blaß aus, wohl von der langen Gefangenschaft, an die er nicht gewöhnt ist und während deren er Zeit genug gehabt, über sich und alles das Seine nachzudenken … ich bin sonst nicht weichherzig, aber es ging mir ein Schnitt durch die Seele, wenn ich mir dachte, wie ich kurz vorher ihn noch hier gesehen habe, in Mitte seines schönen Besitzthums … ein fröhlicher, kräftiger, vielleicht überkräftiger Mann, und jetzt … Doch ich will Dich nicht noch mehr erweichen, mein Kind,“ fuhr er fort, da das Weinen lauter wurde, „ich will Dir rasch erzählen, wie ihm dann die Anklageschrift vorgelesen wurde, in der war es haarscharf zusammengestellt, was geschehen war, und daß Niemand Anderer dafür strafbar sei als der Angeklagte – wie viel Wunden es gegeben und gebrochene Glieder – denn glücklicherweise hat kein Mensch das Leben dabei eingebüßt – und welcher Schaden entstanden war an der Eisenbahn und an den Wägen. Dann wurde Dein Vater zur Antwort aufgerufen und er antwortete, ganz wie ich mir’s von ihm erwartet hatte – er gestand ohne Rückhalt ein, was er gethan, aber er erzählte auch, wie er dazu gekommen, und wie die drohende Verarmung und der immerwährende Verdruß ihn immer mehr gereizt und erbittert hatten, daß er zuletzt seiner nicht mehr recht bewußt und mächtig gewesen und er gar nicht anders gekonnt habe. Das war’s auch, was der Vertheidiger, der dann zu reden kam, so deutlich zu machen verstand, daß man meinen konnte, er sei hinter dem Bergwirth gestanden und habe ihm zugeschaut, wie er den Eichbaum hinunterrollte – es leuchtete mir selber ein und auch den Geschworenen muß es so gegangen sein, denn obwohl der Staatsanwalt mit aller Gewalt dagegen war und meinte, für eine so gefährliche That, die vielen Menschen das Leben hätte kosten können, sei lebenslängliches Gefängniß noch eine viel zu gelinde Strafe, waren sie doch dafür, daß der Bergwirth sich im Augenblick der That im Zustande einer so hochgradigen Aufregung befunden, daß ihm die ganze Schwere derselben nicht bewußt gewesen, also auch nicht ganz zugerechnet werden könne … So ist’s bei fünf Jahren – Zuchthaus geblieben …“

„Fünf Jahre …“ rief Juli auftaumelnd. „Mein Gott – das ist eine Ewigkeit … das übersteht er nicht … und Zuchthaus – der reiche angesehene Bergwirth im Zuchthaus, und seine Tochter, die Tochter eines …“

„Aengstige Dich nicht – wie Du keinen Theil hast an der Schuld Deines Vaters, wird Dich auch von seiner Strafe nichts treffen – kein Mensch wird Dich deshalb auch nur mit einem scheelen Auge ansehen, sondern vielmehr Dich bedauern und Dir behülflich sein …“

Juli schien über etwas nachzudenken. „Und dagegen giebt’s keine Hülf’ mehr?“ sagte sie dann nach einer Pause.

„Keine – als die Gnade des Königs, aber auf diese ist wenig oder vielmehr keine Hoffnung, mein Kind – den Herren vom Gericht war das Urtheil ohnehin nicht recht, sie meinten, es sei viel zu gnädig ausgefallen und es wäre nothwendig gewesen, ein recht scharfes Exempel zu statuiren … Darum füge Dich in christlicher Geduld in das Unvermeidliche … fünf Jahre sind keine Ewigkeit, wie Du im Uebermaß Deines Schmerzes gesagt … in Gebet und Ergebung wird auch diese leidenvolle Zeit für Dich und für den Verurtheilten vorübergehen, und dann …“

„Dann – ja dann,“ sagte Juli und legte die Hand an die Stirn, „ich denke, was ich dann zu thun habe, das weiß ich …“

„Schön, meine Tochter,“ erwiderte der Pfarrer, indem er sie etwas überrascht ansah, „ich freue mich, daß Dir Gott so viele Fassung verleiht in diesen schweren Heimsuchungen – denn leider, Du wirst das selber begreifen, ist das erst einer der ersten Ringe in der Leidenskette, die Dich erwartet. Das Gericht hat Deinen Vater auch in alle Kosten und Schäden verurtheilt …“

„Ja ja – ich begreif’ es wohl,“ sagte sie dumpf und mit bitterm Lächeln, „sie werden kommen und das Bergwirthshaus versteigern um das, was Einer gern dafür geben will!“

„Das ist nun nach dem Gange des Rechts nicht zu vermeiden – aber wenn ich nicht irre, hast Du ja ein ganz ansehnliches mütterliches Erbtheil zu fordern, das Allem vorgeht ... Du wirst ohne Zweifel längst einem Advocaten die Wahrung Deiner Rechte übertragen haben.“

Sie schüttelte den Kopf und sah ihn groß an, als verstünde sie nicht recht, was er gesagt. „Gott soll mich bewahren,“ sagte sie, „daß ein einziger Mensch, dem durch meinen Vater Unrecht geschehen ist, meinetwegen auch nur einen Kreuzer an dem verlieren soll, was ihm gehört …“

„Und was willst Du dann beginnen, gutes, aber thörichtes Kind?“ sagte der Pfarrer, indem er ihr wie segnend die Hand auf den Scheitel legte. „Wovon gedenkst Du zu leben?“

„Deswegen ist mir keinen Augenblick bang’,“ sagte sie, „ich versteh’ die Wirthschaft aus dem Grund’ und habe sonst auch noch allerhand gelernt; ich kann arbeiten und will arbeiten, und so wird sich wohl irgendwo ein Dienst für mich finden …“

„Geh’ hin, meine Tochter,“ rief der Pfarrer salbungsvoll, indem er Hut und Stab ergriff, „geh’ hin und thue, wie Du gesagt, und der Herr wird mit Dir sein! Solltest Du aber nicht wissen, wohin Du Dich wenden könntest, so komm zu mir – meine Schwester bedarf schon lange in der Wirthschaft einer kundigen und verlässigen Helferin, sie kann keine bessere finden, als Dich – darum komm’ in meinen Pfarrhof, wenn Du einen Dienst suchest – er soll Dir wie ein zweites Vaterhaus sein!“

Mit etwas erleichtertem Gemüth gab sie dem würdigen Herrn das Geleit; trotz aller Entschlossenheit war, wenn sie vorsorgend der Zukunft gedacht hatte, der Gedanke, wo sie wohl eine Unterkunft finden würde, und das Suchen nach einer solchen ihr höchst qualvoll und peinlich gewesen – nun war auch diese Sorge gehoben, sie wußte, wohin sie sich zuerst flüchten konnte, wenn die schwere Stunde schlagen würde.

Und sie schlug nur zu bald.

Da keine Gefahr auf Verzug gewesen, war der Zwangsverkauf bis zum Beginn des Frühlings hinaus verzögert worden, weil um diese Jahreszeit die Reise nach dem schön gelegenen Bergwirthshause für alle Betheiligten zugleich als ein angenehmer Ausflug gelten konnte. Ueberraschenderweise fanden sich außer den Beamten wohl viele Neugierige aus der Nachbarschaft ein, aber wenig Kauflustige – das üble Schicksal, das dem Gute zu Theil geworden, mochte Manchen abschrecken. Unter den Wenigen befand sich der dicke Viehhändler, der Haus, Ställe und Scheune mit geringschätzigen Blicken musterte und den von der alten Magd bedienten Gästen mit lärmender Stimme vorerzählte und vorrechnete, wie Alles abgeschwendet und heruntergekommen sei, und wie man so recht in jedem Winkel sehen könne, was es um die Wirthschaft von Weibern sei, und wenn dieselben auch noch so hochmüthig wären und noch so siebengescheidt. Es galt Juli, die, ohne sich um die Anwesenden zu bekümmern, in der Nähe der Gerichtspersonen saß, um zu erwarten, in wessen Hand sie künftig die schöne liebe Heimath denken müsse, die der Schauplatz einer glücklichen Jugend gewesen und der zwar kurzen, aber desto schöneren Zeit einer verlorenen Liebe.

Die Versteigerung endete damit, daß das Bergwirthshaus dem Viehhändler zugeschlagen wurde – um einen Preis, der dem wahren Werthe selbst unter den gegebenen schlimmen Verhältnissen auch nicht annähernd entsprach, und den er mit der prahlerischen Miene eines geldstolzen Menschen aus seinem Leibgurt in Münze und Papier sofort auf den Gerichtstisch hinzahlte, als wäre es der Kaufpreis für irgend ein Stück Kleinvieh, das er so nebenher eingehandelt.

„Wie ist es jetzt?“ fragte er dann, indem er sich mit beiden ausgespreizten Händen auf den Gerichtstisch stützte. „Wann bin ich jetzt der Herr vom Bergwirthshaus? Kann ich jetzt machen was ich will?“

„Allerdings!“ entgegnete der Beamte nach einigem Besinnen, „es ist Niemand vorhanden, der berechtigt wäre, Einspruch zu thun, und da der Kaufschilling vollständig erlegt worden, stehe ich nicht an, Euch den förmlichen Zuschlag sofort zu ertheilen … Ihr seid von diesem Augenblick der Herr vom Bergwirthshause!“

„Der Herr! Das ist’s, was ich haben will!“ rief der Metzger mit rohem Lachen „Und wer Herr im Haus ist, der hat auch das Hausrecht und kann den oder die hinausschaffen, die er nicht drinnen haben will. … Verstanden? Ich mein’ wohl, ich red’ deutsch, daß es verstehen kann wen’s angeht.“

Juli, obwohl anfangs bitter berührt durch den Ausgang des Verkaufs, hatte bald die Absicht des Viehhändlers durchschaut und trat ruhig an den Tisch. „Ich werde das Haus noch in dieser Stunde verlassen,“ sagte sie, „mein kleines Gepäck ist schon geordnet und bereit …“

„Aha, das Gepäck muß ich mir erst betrachten,“ lachte der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_431.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)