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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Metzger, „ich bin jetzt der Herr hier – verstanden, Jungfer? Ich lass’ nichts daraus so mir nichts Dir nichts fortschleppen, was sie etwa brauchen kann …“

„Dazu habt Ihr kein Recht,“ unterbrach ihn der Notar, „die Tochter des bisherigen Eigenthümers darf ungehindert ihre Habseligkeiten mit sich hinwegnehmen … auch dürfte es dem neuen Besitzer ganz wohl anstehn, sich gegen die Tochter seines Vorfahrers in etwas freundlicherer Weise zu benehmen.“

Der Mann hatte der allgemeinen Stimmung den Ausdruck gegeben, ein ziemlich lautes und verständliches Gemurmel der Anwesenden bezeugte das, aber der Metzger im Vollgenuß sich sättigender Rache kehrte sich nicht daran, sondern blickte trotzig über sie hin, bereit, es auch mit Allen aufzunehmen. „Wer hat was einzuwenden dagegen?“ rief er in herausforderndem Ton. „Wen geht’s was an, was wir Zwei mit einander abzurechnen haben? Ihr hört’s ja von ihr selber, daß sie gehn will … vielleicht thät’ ihr der gewisse Gulden gut auf dem Weg, den sie stolz in die Armenbüchsen geworfen hat! Alles geht um auf der Welt, heut’ unten, morgen oben, heute mir, morgen Dir … ist noch nit lang’, daß sie mich aus dem Haus geschafft hat – jetzt ist einmal der Stiel umgekehrt!“

Juli hörte den Hohn des Uebermüthigen nicht mehr ganz; sie war der Stube enteilt, hatte ein schon bereitgehaltenes Bündel ergriffen und war aus dem Hause gestürzt, halb geblendet von den unaufhaltsam hervorstürzenden Thränen, halb erstickt von aufquellender Bitterkeit des Herzens, die sie doch niederkämpfen mußte, denn sie hatte sich vorgenommen, Niemand solle sagen können, daß er einen Laut der Klage von ihr gehört. Sie dachte und fühlte nicht, welche Schwelle es war, die sie verließ, um sie nie wieder zu betreten; sie wandte sich nicht zurück, um mit Blick und Hand dem Vaterhause Fahrwohl zu sagen, auch wenn der Mund ihr den Dienst versagt hätte; nicht rechts, nicht links blickend, ging sie hastigen Schrittes die Bergstraße hinab, auf der nun schon keimender Rasen sich breit zu machen begann. Vergebens streckte der wohlbekannte Apfelbaum ihr die Aeste nach und warf Blüthen auf den Weg, den sie achtlos trat; vergebens schüttelten sich die Buchen in dem neuen frischen Laub, und die Tannen streckten sich, um aus ihren dunklen Zweigen die jungen grünen Keimspitzen zu drängen; es war umsonst, daß ein Rothkehlchen zwitschernd unaufhörlich vor ihr herflatterte, als wolle es ihr durchaus den lustigen Busch zeigen, in dem es sein Nest eingebaut hatte; sie gewahrte selbst das Paar muntrer Bachstelzen nicht, das an der Mauerbrücke über der Schlucht des Westerbachs tänzelnd hin und wieder hüpfte, und das doch dem Mädchen, dem es begegnet, ein sicheres Vorzeichen ist, daß ihm bald das Brautkränzel geflochten werde.

Sie beachtete nicht einmal, als sie am Fuße des Berges die Eisenbahn erreichte, welche Veränderungen der Bau dort hervorgerufen hatte; achtlos schritt sie an dem Bahnwärterhäuschen vorüber, welches an der Bergecke die unvermeidliche Krümmung zu hüten hatte; ohne Aufenthalt eilte sie, das Geleise überschreitend, am Waldrande hin, zu dessen linker Seite sich durch eine nasse Niederung, den nicht völlig trockengelegten Ueberrest eines frühern Sees, der Weg nach einem unweit gelegenen kleinen Marktflecken zog, während rechts ein anderer durch schönen lichten Laubwald gemächlich wieder bergan stieg. Er führte zum Pfarrhof; eingedenk der freundlichen Einladung wollte Juli dort eine erste Zuflucht suchen.

Bald war die Anhöhe erreicht, wo das freundliche Haus, von dem hellgrünen Gartenzaun umgeben und zwischen Obstbaumwipfeln ihr über die Mauer des Kirchhofs entgegenwinkte, in welchem, rund um die unscheinbare Kirche gebettet, alle Gemeindeangehörigen ruhten, die schon in die Ewigkeit hinübergegangen. Auch ihre Mutter war unter den Ruhenden, und sie unterließ darum nicht, den bekannten Hügel aufzusuchen, zu einem herzlichen Gebete daran niederzuknieen in das fußhohe Gras und die nickenden Glockenblumen und dann eine Koralle des am Grabstein befestigten Rosenkranzes vorwärts zu schieben. Sie fühlte sich wunderbar getröstet und gestärkt, als sie sich wieder erhob, und mit freudiger Zuversicht schritt sie dem Pfarrhofe zu, sah sie doch im obern Stock das ehrwürdige Greisenhaupt des gütigen Mannes, der ihr versprochen hatte, ihr Vater sein zu wollen. Er stand an einem Pulte im Fenster und schien in eifriges Studium vertieft. Wenige Augenblicke später hatte sie die Glocke gezogen und stand im kühlen klosterhaft dämmerigen Hausgang der Schwester und Häuserin des Pfarrers gegenüber, die sie mit mißtrauischen Blicken betrachtete und nach ihrem Begehren fragte. Die Häuserin war eine hagere eckige Gestalt, ganz das Widerspiel ihres Bruders, mit einem mürrischen Gesicht und verdrossenen Augen. „Was will die Jungfer bei dem hochwürdigen Herrn Bruder?“ fuhr sie fort. „Wer ist Sie und wo kommt Sie her?“

„Ich bin die Tochter vom Bergwirthshaus drüben auf dem Westerberg,“ entgegnete Juli, deren Aussichten auf die Tage in diesem Hause sich merklich zu umdüstern begannen, mit unsicherem Tone. „Der Herr Pfarrer hat gesagt, daß ich zu ihm kommen soll … er wird es Ihnen wohl schon erzählt haben …“

„Der Hochwürden Herr Bruder hat mir nichts erzählt,“ rief die Häuserin, deren Verwunderung mit jedem Augenblick zunahm, wie Juli’s Betroffenheit. „Die Jungfer soll zu ihm kommen? Wegen was denn?“

„Weil ich für den Augenblick keine Heimath hab’,“ sagte das Mädchen und ihre Augen füllten sich mit Thränen gekränkten Selbstgefühls. „Sie wissen wohl, welch’ ein Unglück bei uns eingezogen ist; da hab’ ich ihm gesagt, ich wollt’ in einen Dienst gehn, und der Herr Pfarrer hat erlaubt, daß ich dann zu ihm kommen soll … seine Schwester brauche schon lang eine richtige und kundige Person, die ihr helfen und an die Hand gehn könne …“

„Wer? Ich?“ fuhr die Häuserin mit zornrothem Gesicht empor. „Ich soll eine Hülfe brauchen? Das ist mir noch im Traume nicht eingefallen; ich brauche Niemand, und wenn es darauf kommt, bin ich ganz wohl im Stand’, Andern auszuhelfen, daß sie aus dem Traum kommen! Ich brauche Niemand; da geh’ die Jungfer immerhin nur wieder ihre Wege … sie muß den Hochwürden Herrn Bruder falsch verstanden haben, oder er hat nicht gewußt, was er sagt, das kommt auch manchmal vor … wenn man so viel zu denken hat …“ setzte sie hinzu, um den schlimmen Eindruck des letzten Satzes zu vertilgen.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Literarischer Diebstahl. Wir sind abermals in der Lage, gegen einen Unfug Protest einlegen zu müssen, der nicht allein darum verdammenswerth ist, weil er als ein trauriges Zeichen vom Ungeschmack unserer Zeit erscheint, sondern noch mehr deshalb, weil er so recht die Schutzlosigkeit unserer Autoren und die – Keckheit vieler Bühnenleiter und sogenannter Bühnendichter beweist. Von dem Romane der Frau W. von Hillern „Der Arzt der Seele“ liegen gegenwärtig nicht weniger als drei dramatische „Bearbeitungen“ vor, die ohne Ausnahme als durchaus triviale Entstellungen und Verballhornungen der geistvollen Romandichtung unserer geschätzten Mitarbeiterin zu bezeichnen sind. Von diesen drei „Bearbeitungen“ ist jüngst die eine auf dem Victoriatheater des Directors Cerf zu Berlin über die Bühne gegangen, trotz und gegen die ausdrückliche Verwahrung der Frau von Hillern in der „Theaterchronik“. Wir überlassen es unsern Lesern, diese räuberische Brandschatzung, die der Romanschriftsteller auf solche Weise machtlos über sich muß ergehen lassen, zu beurtheilen, fürchten aber, daß unser Protest bei der vollständigen Gesetzlosigkeit, welche der Autor nach dieser Richtung hin in Deutschland zu beklagen hat, heute ebensowenig nützen werde, als der gegen die dramatischen Verunglimpfungen, welche in den letzten Jahren E. Marlitt erfuhr.


Eulen als Bruthennen. Mein Spaziergang führt mich häufig in’s Dörfchen E. bei Sch. In dem Kirchthurm desselben baut schon seit vielen Jahren ein Eulenpaar unter der höchsten Schallluke sein Nest. Die Aufsicht über den Thurm führt der Lehrer, der dieses Amt mit strenger Gewissenhaftigkeit verwaltet. Im vergangenen Jahre nun passirte diesem Biedermanne das Unglück, daß keine seiner Hennen, wie man hier zu sagen pflegt, „klucksch“ wurde, und die Aussicht auf Vergrößerung des Hühnerhofes sich als eine sehr traurige darbot. Aus Bescheidenheit wandte er sich nicht, wie es auf vielen Dörfern üblich, an einen Freund oder Nachbar, um sich zur Ausbringung seiner Hühnereier eine Klucke zu borgen, sondern er kam auf den originellen Einfall, der Eule ein halbes Dutzend Hühnereier unterzuschieben. Kurze Zeit darauf, als die Kinder zur Schule gehen, hören sie im Kirchthurm ein eigenthümliches Geräusch und machen ihrem Lehrer sofortige Meldung. Freudestrahlend eilt derselbe nach dem Kirchenboden, und, o Wonne! drei muntere Küchlein entrücken mit Sturmeseile der grausigen Nähe ihrer Feindin; die anderen drei waren auch ausgekommen, leider aber bei der Retirade verunglückt. – Augenblicklich brütet dieselbe Eule wieder Hühnereier, und gespannt wartet der Einsender auf das Resultat.

K.

Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 432. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_432.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)