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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

ausführte, und setzte sich endlich in einen alten gestickten Lehnstuhl, dessen Seidenfäden sich lang und stark ausgefasert hatten. Ein großer Windhund war bei seinem Nahen heruntergesprungen. Er wartete nun mit hinten übergelehntem Kopf, bis der Jäger, der eben einen Stoß Bücher vom Tische genommen, zurückkam und einen ebenso großen Stoß von Büchern in sauberen Halbfranzbänden mit goldgepreßtem Wappen auf dem Deckel, aber von den verschiedensten Formaten, vor ihm auf den Tisch legte.

„Du kannst gehen; komm nach einer Stunde wieder zu sehen, ob ich etwas bedarf,“ sagte der Graf und nahm das erste der Bücher, um es aufzuschlagen.

„Lateinisch!“ sagte er und warf es mit einer unmuthigen Bewegung auf die Erde.

Er nahm ein zweites; es war französisch und er blätterte darin; dann sah er nach der Seitenzahl auf dem letzten Blatte.

„Vierhundertdreißig Seiten! Wie unverschämt ist es, so dicke Bücher zu schreiben! Auch der klügste Kopf hat ja doch am Ende seines Lebens und Studirens nicht mehr ermittelt und Neues entdeckt, als was, wenn’s hoch kommt, eine Seite füllt!“

Er las die letzte Seite.

„Ach,“ fuhr er dann in seinem Selbstgespräch fort, „hier haben wir, was der Mann als seine Moral, als den Inbegriff seiner Weisheit mitzutheilen hat! Man mag,“ las er, „immerhin annehmen, daß jeder Mensch seines Schicksals Schmied und sein Charakter, seine Willensrichtung das ist, was seine Verhältnisse und seine Lage schafft. Er hängt dennoch nur vom Zufall und Glück ab. Der junge Mensch ist wie eine Wetterfahne. Der scharfe Nordwind giebt ihr die Richtung zum sonnigen Süden, der Südweststurm wirft sie nach dem kalten Nordost. Ein guter echter Stein bedarf doch, um ein heller Demant zu werden, daß Demant ihn schleift! Findet aber jeder Demant solchen Stoff, der ihn schleift? Wenn das Leben uns zum Pochhammer und Glühofen wird, können wir guter blanker Stahl werden, sonst nicht. Und so ist am Ende doch nur die Erziehung durch das Leben das, was uns macht und uns dann unser Schicksal machen läßt.“

„Larifari,“ sagte der Schloßherr, das Buch zuklappend und von sich werfend. „Sollte es darauf ankommen, ob die Umstände uns zu Stahl schmieden oder nicht? Sind wir Eisenstangen, die in’s Feuer und auf den Ambos müssen, um ein nützliches Geräth zu werden? Ah bah! Wenn man die Menschen hämmert, denke ich, so werden sie spröde, bröcklich, tückisch, böse. Ich möcht’s ihm nicht rathen, auf mir viel herumzuhämmern! Ich glaube, es käme ein widerborstiger, ungefüger, häßlicher Klumpen dabei heraus, weiter nichts!“

Er zog das Buch wieder an sich und las noch einmal die letzte Seite. Lange blickte er wie in Gedanken verloren darauf; dann warf er es abermals von sich, und aufseufzend sagte er: „Und am Ende doch nicht – am Ende blieb’ ich ein guter echter Stein, wenn ich auch keinen Demant fände, mich zu schleifen, sondern nur recht harte Schläge, die auf mich loshämmerten! Ich denke, gutes Metall hält’s aus. Aber wer weiß es vorher? Es kommt Alles auf die Probe an!“

Der Jäger unterbrach ihn – er trat ein und sagte: „Frau Wehrangel bittet, den Herrn Grafen sprechen zu dürfen – sie ist draußen.“

„So führe sie herein – was braucht’s da langes Anmelden.“ …

Er stand auf und ging der Frau, die draußen wartend im Saale stand, entgegen, um sie hereinzuführen.

Frau Wehrangel begrüßte ihn mit einem sehr förmlichen Wesen. Sie machte eine tiefe Verbeugung und der Blick, den sie auf ihn warf, während er zuvorkommend seinem Diener den Stuhl, den dieser für die Dame herantrug, abnahm, hatte etwas Scheues, Sorgliches.

„Warum machen Sie Complimente mit Ihrem Hausgenossen, Madame?“ sagte der Graf dabei; „lassen Sie sich nieder, damit wir bequem plaudern können. … Sie führen mein Hauswesen mit souveräner Vollmacht, wie Sie es früher gethan – ich bedarf Ihrer in hundert Dingen – Ihrer Hülfe, Ihrer Auskunft, Ihres Raths, Ihrer Vermittlung bei den Leuten, die Alle in Ihnen die gute alte Herrschaft fortleben und in mir eine Art von fremdem Usurpator sehen – gut, daß ich den deutschen Namen Maurach habe, wie dies Schloß und dieses Gut – ich fürchte, hätte der Name nur etwas von französischem Klang, sie würden sich nicht ausreden lassen, ich sei mit den andern Franzosen, mit dem langen Dienstschwanz des edeln Großherzogs Joachim in’s Land gekommen, und habe an Maurach so viel Recht wie der an unserm gesegneten Großherzogthum Berg! Aber da die Sachen so stehen und wir aufeinander angewiesen sind, so wollen wir uns den Verkehr erleichtern; treten Sie ohne Anmeldung bei mir ein, so oft und zu welcher Stunde Sie wollen. Sie fürchten dabei vielleicht die Gegenseitigkeit? denken, ich werde mir dann herausnehmen, ebenso oft in Ihren Thurmbereich da oben mit seiner hübschen Aussicht und seine Schwalbennester dringen zu wollen? Beruhigen Sie sich darüber. Ein für alle Mal, Sie können ganz ruhig darüber sein! Ich bin überhaupt,“ unterbrach der Graf sich auflachend, „nicht solch ein Ungeheuer, wie die Leute sagen mögen! Und nun hab’ ich Ihnen eine lange Rede gehalten. Sonst ist’s meine Natur nicht, viel reden. Aber die Einsamkeit macht zum Schwätzer. Jetzt reden Sie.“

„Ich wollte Sie davon unterrichten, Herr Graf,“ sagte Frau Wehrangel, die ihr Auge wie forschend auf den jungen Mann gerichtet hatte, ohne im Geringsten bei seinem offenen Wesen und Sichaussprechen ihre förmliche Haltung zu ändern – „ich wollte Sie davon unterrichten, und um ihre Genehmigung bitten, daß ich zwei Gäste für die Nacht aufgenommen und einquartiert habe – der Herr Graf waren, als sie ankamen, noch mit dem Förster draußen, und so konnte ich nicht vorher anfragen.“ …

„Gäste?“ fiel Graf Maurach ein – „und wen?“

„Es ist ein Herr mit seiner Tochter – es sind französische Emigranten, welche eine Zuflucht in Holstein gefunden hatten, die Stadt Ploen, denk’ ich, nannten sie; es ist ihnen da ziemlich kümmerlich, scheint’s, gegangen, und nun haben sie sich aufgemacht, nach Frankreich heimzukehren, wo sie etwas von ihrem alten Erbe wieder zu erhalten hoffen.“

„Und die hat ihr Weg hierher, über Maurach geführt?“

„Es ist so – der Weg liegt nicht weit ab von ihrer Straße; außerdem hofften sie wohl Förderung ihres Zweckes hier zu finden, denn sie glauben – geben vor wenigstens, dem Herrn Grafen entfernt verwandt zu sein.“

„Verwandt, mir?“

„Der Herr nennt sich Vicomte de la Tour de Bussières.“

„Windbeuteleien! Ich habe den Namen in meinem Leben nicht gehört!“

„Die verstorbene Gemahlin des Vicomte sei eine geborene Baronin Marillac und deren Mutter eine Gräfin Maurach gewesen.“

„Ach – warum sagten Sie das nicht gleich?“ rief der Graf aus. „Marillac – das ist richtig – ich habe von Verwandten des Namens Marillac, die wir in Frankreich besitzen, gehört!“

„Auch der verstorbene Herr Graf hat den Namen wohl genannt, wie ich mich erinnere,“ sagte Frau Wehrangel.

„Nun, und wo haben Sie sie untergebracht, Frau Wehrangel?“

„In den Fremdenzimmern im rechten Flügel.“

„Gut, gut – weshalb kommen sie nicht zu mir? – erwarten sie, daß ich zu ihnen hinübergehen soll?“

„Keineswegs,“ versetzte Frau Wehrangel. „Sie waren sehr dankbar für das Nachtquartier, welches ich ihnen bot, und haben sich ermüdet darin zur Ruhe zurückgezogen. Sie hoffen, morgen den Herrn Graf erwarten zu dürfen.“

„Es wäre gescheidter gewesen; sie hätten mir diesen langweiligen Abend verplaudert und Sie hätten uns ein gutes Souper dazu hergerichtet, Frau Wehrangel,“ sagte der Schloßherr; „aber mag sein – ich will sie morgen sehen, Sie werden für ein Frühstück zu sorgen die Güte haben.“

Frau Wehrangel verbeugte und erhob sich.

„Gute Nacht, gute Nacht,“ sagte der Schloßherr sich ebenfalls erhebend, „also ein Herr und eine Dame, sagen Sie?“ fuhr er dabei fort. „Ist der Herr alt – und die Tochter – eine unverheirathete Tochter – oder nicht? Wie alt ist sie?“

„Mademoiselle de la Tour scheint etwa fünfundzwanzig Jahre zu haben,“ antwortete Frau Wehrangel. Wenn der Schloßherr erwartet hatte, etwas Näheres über das Aussehen seiner Gäste zu erfahren, so überließ ihn Frau Wehrangel ein wenig versteckt seiner Spannung. Sie knickste und ging.

„Ich könnte auch eine amüsantere Person zu meiner Wirthschafterin hier haben als die steifleinene Donna!“ sagte der Schloßherr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_434.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)