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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

besonders waren es zwei Advocaten in Brüssel, Verhulst und Dumonceau – der letztere war durch Langrand schon vor zwei Jahren total ruinirt worden – die ihm nun auf den Leib rückten. Mit einer unbarmherzigen Offenheit entlarvten sie seine Geschäfte als schwindelhafte Betrügereien und stellten seine klerikalen Bundesgenossen an den Pranger. Da Langrand der allgemeinen Erwartung, er werde gegen das „Echo du Parlament“ und gegen die Herren Verhulst und Dumonceau, die ihn ganz unumwunden einen Betrüger und Dieb, die Herren de Dekker, Mercier und Consorten aber Diebeshehler und Gauner nannten, eine Verleumdungsklage anhängig machen, aus guten Gründen nicht entsprach, so mußte das Publicum allmählich diese Beschuldigungen für gegründet halten und die einfache Folge davon war, daß man sich von dieser Zeit an hütete, noch mehr Geld in sein Danaidenfaß zu schütten. Erbittert darüber maß Langrand seinen Collegen die Schuld bei, und da diese auch keinen Spaß verstanden, so boten die Sitzungen des Verwaltungsrathes die komische Scene dar, daß Langrand und seine Genossen sich die gröbsten Schimpfwörter gegenseitig an den Kopf warfen.

Zu derselben Zeit wurde in Brüssel ein neues Blatt gegründet, „Côte libre“; als Redacteur stand ein junger Ungar, Mandel, an der Spitze. Dasselbe führte sich beim Publicum mit einer Heftigkeit seiner Angriffe gegen Langrand ein, daß man sich staunend fragen mußte, wie es möglich sei, daß die Gerichte hier nicht interveniren; denn entweder waren die Beschuldigungen gegründet, dann gehörte Langrand auf die Anklagebank, oder sie waren ungegründet, dann mußte Mandel wegen der schmählichsten Verleumdungen gestraft werden. Da zu gleicher Zeit die Anhänger Langrand’s das Gerücht verbreiteten, Mandel handle und schreibe im Auftrage einer auf Langrand neidischen und ihm deshalb feindlichen Börsenclique, so betrat Mandel den kürzesten und einfachsten Weg: er verklagte Langrand und seine Genossen wegen Betruges. Wohl oder übel mußte das Parket von Brüssel die Klage annehmen, aber sonderbar! nicht gegen Langrand selbst und die ihm vorgeworfenen Betrügereien erstreckte sich die Untersuchung – denn das konnten die klerikal gesinnten Instructionsrichter doch nicht über’s Herz bringen, selbst zur Vernichtung ihrer Partei beizutragen – sondern gegen die Journale, welche die Betrügereien Langrand’s an’s Licht gezogen hatten! Das Gericht erkannte schließlich, „daß auf Gottes weiter Welt kein ehrlicherer Mann zu finden wäre, als Langrand“. Aber das Ungeheuerlichste sollte noch kommen. Consequenterweise hätte der Generalprocurator, der an Langrand das schöne Sittenzeugniß ausgestellt hatte, Mandel wegen Verhöhnung und Verleumdung belangen und bestrafen sollen. Ja, Mandel selbst forderte den Generalprocurator zu wiederholten Malen in geradezu höhnischem Tone auf, ihn wegen seiner Lästerungen gegen Langrand zu verfolgen.

Der Procurator – de Bavay ist der Name dieses Trägers des „Hermelins der Gerechtigkeit“ – verhielt sich jedoch durchaus ruhig, so daß sich Mandel schließlich an den Gerichtshof mit der Bitte wandte, eine Untersuchung gegen ihn einzuleiten! Derselbe erklärte aber ganz ruhig, daß „kein Grund zu einer Verfolgung gegen den Redacteur Mandel vorliege.“ Da der Letztere aber in seinen Angriffen gegen den Gerichtshof immer maßloser wurde, ja denselben geradezu beschuldigte, mit Langrand unter einer Decke zu spielen, als ein ruinirter Actionär sich direct an den Justizminister Bara mit einer Betrugsklage gegen Langrand wandte, forderte der Minister den Gerichtshof von Brüssel auf, gegen Mandel vorzugehen; allein derselbe nahm von dem einen so wenig Notiz, als vom andern. Bara hielt die Sache für wichtig genug, um sie im Ministerrath zur Sprache zu bringen, wo denn auch beschlossen wurde, dem Generalprocurator den gemessenen Befehl zu ertheilen, den Redacteur Mandel wegen Schmähung und Verhöhnung des richterlichen Standes in Anklagestand zu versetzen.

Es war dies Anfangs Mai 1870. Man wird Mühe haben, in Europa ein ähnliches Beispiel dafür zu finden, daß der Richterstand eines Landes sich jahrelang auf die gröbste Weise insultiren läßt, diese Beschimpfungen ruhig hinnimmt und erst durch Zwang dazu veranlaßt wird, für seine befleckte und verletzte Ehre in die Schranken zu treten! Man kann daraus einen annähernden Schluß auf die Macht und den Einfluß der Jesuiten in Belgien machen.

Nach belgischem Gesetze hat jeder wegen Hohnes und Lästerung Beklagte das Recht, vor der Jury, die über den Fall zu urtheilen hat, den Beweis der Wahrheit anzutreten. Mandel wurde dieser Mühe überhoben, denn das ganze Beweismaterial für die Wahrheit seiner Behauptungen lag in der Art und Weise, wie der Richter den Proceß einleitete! Noch nie hat sich in einem Processe die Rolle zwischen Kläger und Beklagten so vertauscht wie hier; die beiden Vertheidiger des Angeklagten, der schon genannte Dumonceau und der Advocat Janson, ein bekannter Redner bei demokratischen Versammlungen und von den belgischen Klerikalen gehaßt wie gefürchtet, wußten mit bewunderungswürdiger Fertigkeit Kreuzverhöre zwischen den Zeugen anzustellen, durch welche eigentlich das Verdict der Jury über Schuldig oder Nichtschuldig von selbst entschieden war. Es kamen dabei Dinge an den Tag, die man in solchen Sphären der Gesellschaft allerdings nicht gesucht hätte; eine geradezu erbärmliche, ja bejammernswürdige Rolle spielte der Staatsminister de Dekker; denn als ihm der Präsident der Jury mit nackten Worten vorhielt, daß er sich eines criminell strafbaren Betruges schuldig gemacht habe, indem er Actien als volleinbezahlt ausgegeben habe, während doch noch beinahe nichts auf das Gesellschaftscapital einbezahlt worden war, da mußte der fromme Jesuitenzögling mit saurem Gesicht gestehen, daß er „verkehrt gehandelt habe, es aber gewiß nicht mehr thun wolle“!

Während die anderen Herren, wie Mercier und Deschamps, das Vermögen, das sie durch verwerfliche Ränke erbeutet, auf den Namen ihrer Frauen hatten einschreiben lassen, um nicht zur Herausgabe desselben gezwungen zu werden, war der Graf Duval so anständig, zu erklären, daß er sofort bereit sei, den Ersatz zu geben, welchen die Gerichte bestimmen würden. Wenn der Verwaltungsrath unter dem Vorsitze Langrand’s tagte, stand ein Sohn von Deschamps vor der Thür, und der würdige Vater verständigte sofort durch gewisse Zeichen seinen ebenbürtigen Sohn von den Beschlüssen, die der Verwaltungsrath über diese oder jene Unternehmung gefaßt, und Deschamps der Jüngere lief dann eiligst nach der Börse, um das Gehörte auszunützen und zum Nutzen der Familie zu discontiren! In dieser Hinsicht hatte Langrand freilich Recht, wenn er sich beschwerte, von lauter Dieben und Spitzbuben umgeben zu sein. Daß Langrand selbst mit betrügerischer Absicht gehandelt hatte, ging aus den einstimmigen Zeugenaussagen hervor; nach einer Generalversammlung des International sagte er stolz zu Cramer, dem Director des holländischen Geschäftes: „Nun haben Sie selbst sich überzeugen können, wie ich die Schafe zu scheeren verstehe!“

Wie nicht anders zu erwarten war, wurde Mandel beinahe einstimmig freigesprochen, und das anwesende Volk brachte dem Vertheidiger Janson im Gerichtssaale eine begeisterte Ovation dar. Noch während der Verhandlungen vor der Jury wurde der Bankerott des „International“ angemeldet; seine Passiven betrugen siebenundfünfzig Millionen Franken und die Activa nicht einmal volle hunderttausend! Die übrigem Langrand’schen Unternehmungen werden dasselbe Schicksal theilen, und die nächsten Monate können vielleicht noch Enthüllungen bringen, die die klerikale Partei nur noch mehr compromittiren dürften. Allgemein hatte man sich der Erwartung hingegeben, der pflichtvergessene Procurator de Bavay werde sein Amt niederlegen, das er, ohne den ganzen Richterstand Belgiens zu beschimpfen, mit Ehren nicht mehr weiter führen könnte. Verschiedene Journale brachten denn auch einen dahin lautenden Bericht; aber er scheute sich nicht, durch eine an das „Echo du Parlament“ gerichtete Zuschrift zu erklären, daß er von seinem Amte weder abgetreten sei, noch auch abtreten werde, und strafte auf diese Art die allgemeine Erwartung, die ihm noch so viel Ehrgefühl zugetraut hatte, vollständig Lügen.[1]

So endete der unter dem Schutze des heiligen Vaters begonnene Versuch, das Capital zu katholisiren, mit einem schmählichen Betruge; die klerikale Partei hat eine sittliche Niederlage dabei erlitten, wie sie deren in ihren Annalen nicht viele zu verzeichnen hat. Langrand ist verschwunden; verschwunden sind aber auch die Hunderte von Millionen, die man dem Schweiße des Bauern und Arbeiters abgestohlen hat und die nun sicher in den Taschen einiger großen Herren sitzen. Allein solche theure und empflindliche Lehren muß das Volk erhalten, wenn ihm die Augen aufgehen sollen; denn in Geldsachen hört auch den Jesuiten, der Geistlichkeit und der alleinseligmachenden Kirche gegenüber die Gemüthlichkeit auf.

Brüssel, Anfang Juni 1870.

Th. W.


  1. Die belgische Regierung, ihrer Pflicht und ihrer Würde besser eingedenk, hat inzwischen dem Procurator de Bavay seine unverlangte Entlassung zugestellt und denselben, dem allgemeinen Verlangen nachgebend, seines Postens enthoben.
    Anm. der Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 440. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_440.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)