Seite:Die Gartenlaube (1870) 459.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

dem Deckbett hin und her, als er auf meine Frage nach seiner Oper antwortete: „O, sie wird! – ich habe während meiner Krankheit immer daran gearbeitet, sie wird – wenn nur der Text besser wäre !“

Ich mußte wider Willen lächeln, als ich antwortete: „Nun, vielleicht erlaubt der Autor, daß wir kleine Aenderungen damit vornehmen !“

„Ach, Herr Doctor, wenn Sie das wollten!“ und sein Gesicht verklärte sich, „so bliebe mir ... nichts zu wünschen übrig!“ Er schloß dann wie müde seine Augen und mein Blick durchflog schnell das Zimmer, um gleich darauf wieder zu ihm zurückzukehren.

„Ich weiß, was Sie denken,“ fuhr er dann plötzlich sich ein wenig aufrichtend fort. „Die Menschen sind so grausam, und haben mich so oft ... mit ihrem Spott darüber gekränkt – und meine alte Mutter wußte es – und es war ihr Wunsch – ihr Wunsch, daß wir uns in ... öffentlichen Localen nicht kennen sollten!“

Ich schwieg eine Zeit lang, nicht einmal verwundert, daß er meine Gedanken errathen hatte. Dann sagte ich theilnehmend: „Und sie trabte in Wind und Wetter durch die Locale und holte dreierweise zusammen, was Ihre Ausbildung kostete!?“

„Ja,“ stimmte er mit einem schwermüthigen Kopfnicken zu, „und sie litt es nicht, daß ich zum Tanz spielte, weil ich zu schwächlich sei, und schaffte Alles, Alles was ich brauchte, und ich – kannte sie nicht, wenn wir uns vor fremden Menschen sahen! Da kam meine Krankheit, die Gott mir schickte, ich weiß es! Es wurde mir klar, aus ihrer unermüdlichen Pflege, was – Mutterliebe ist; und ich schämte mich! Verdammen Sie mich nicht! Wenn ich wieder gesund bin, soll es anders werden, und ich schwöre Ihnen, wenn meine Oper gefällt, was Gott geben mag, dann will ich sie an meinem Arm im Triumph in’s Brauhaus führen, und will ihr vor allen Leuten um den Hals fallen, und sie soll nicht mehr hinaus in Wind und Wetter, ich schwöre es Ihnen!“

„Halten Sie diesen Schwur, Berger,“ sagte ich, ihm gerührt die Hand reichend, „und es wird Ihnen kein Unglück bringen!“

Zwei Monate darauf war die kleine Oper fertig und der junge Componist that selbstbewußte Schritte, um sie zur Aufführung zu bringen. Hangen und Bangen, in der Zwischenzeit durchwebt mit goldenen Träumen; dann die Enttäuschungen. Zwei Directionen hatten das kleine Werk kalt zurückgewiesen. Wer kennt nicht die Schwierigkeit des ersten Schritts in jeder künstlerischen Laufbahn? – Verzweifelt und aus all’ seinen Himmeln gestürzt kam Julius Berger zu mir und bat mich um Unterstützung; es traf sich wieder, daß ein beliebter Schauspieler ein paar kleine Sachen für sein Benefiz brauchte; und ich sagte dem Componisten, daß dies die leichteste Art für unbekannte Autoren sei, das ersehnte Licht der Lampen zu erblicken. Der Schauspieler, mit dem ich befreundet war, legte sich dahinter, die Operette wurde geprüft und zur Aufführung angenommen. Es kamen die Proben mit ihren großen Kränkungen und den kleinen aufregenden angenehmen Momenten, und hinter ihnen der langersehnte und nun so gefürchtete Tag der ersten Aufführung. Das Haus war überfüllt, und die erste der vier kleinen Novitäten, die im Verein mit der Beliebtheit des Benefizianten die Menge herbeigezogen hatten – ward ausgepfiffen. Ich traf während des zweiten Stücks, dem ein gleiches Schicksal bevorzustehen schien, auf der Bühne mit dem jungen Componisten zusammen und ich freute mich zu sehen, daß sein sonst ziemlich starkes Selbstbewußtsein ihn vollständig verlassen hatte. Er war im Voraus halbtodt und lehnte zitternd an einer Seitendecoration.

„Es fällt durch, es muß durchfallen; ich weiß es – der Text!“ jammerte er und zitterte vor Erregung. Er that mir leid und ich sagte deshalb tröstend zu ihm:

„Haben Sie Ihre Schuldigkeit ganz und vollständig bei der Sache gethan, Berger?“

„Ich habe mein Herzblut gegeben, Herr Doctor!“ sagte er betheuernd.

„Nun,“ erwiderte ich, „so lassen Sie es gehen; Sie können mit Ihrer Angst nichts ändern; vertrauen Sie auf Gott und denken Sie an das, was Sie ihm versprochen!“

Ein Arbeiter fuhr mit einem staubigen Rosenstrauch (von Pappe mit Latten aufgesteift und hübsch ausgezackt) zwischen uns durch und trennte uns. Ich ging wieder in den Zuschauerraum, aus dem immer stärker das Begehren laut wurde, daß der Vorhang fallen solle. Es war eine sehr bedenkliche Stimmung im Hause und ich fing an, für den Sohn der Mutter Kranzlern zu fürchten. Aber wer will das Publicum einer großen Stadt und einer ersten Aufführung berechnen? Es hatte soeben ein Strafgericht an zwei gar nicht unbekannten Autoren statuirt, denen es manche frohe Stunde verdankte. Nun kam es zu der dritten Pièce, der kleinen Operette. Der Zettel wurde zum zwanzigsten Mal gelesen: „Hübscher Titel ! – Aber wer ist Berger? – Wie heißt Berger?“ – Niemand kannte ihn. – Hatte dieses vielköpfige Ungeheuer einen Instinct? ahnte es, daß hier das Lebensglück eines jungen talentvollen Burschen durch ein freundliches Lachen, durch ein paar gut ausgeführte Beifallssalven zu gründen sei? – Gleich bei den ersten Nummern merkte man deutlich, daß auf allen Plätzen der Wunsch vorhanden war, sich nun auch ein Bischen zu amüsirem. – „Bravo!“ „da capo!“ tönte es hier und da, und die Gesichter klärten sich mehr und mehr auf. Nun kam die erste Sängerin, der ausgesprochene Liebling des Publicums, mit einem lustigen, aufgeweckten Liede, das außerordentlich gefiel. Das Schicksal des kleinen Werkes war entschieden, und ich ging erfreut auf die Bühne, nach meinem Schützling zu sehen. Er fürchtete noch immer, daß es anders kommen könne. Aber Trost kam jetzt von allen Seiten.

Der Tenorist sagte im Vorübergehen: „Kopf hoch – wir sind nun über den Berg fort!“

Der Director trat einen Augenblick zu uns heran und sagte neckend: „Haben Sie auch einen Frack an, Herr Berger? Sobald nach Ihnen gerufen wird, stoße ich Sie hinaus und lasse hochziehen!“

Der glückliche Junge strahlte.

„Ist Ihre Mutter im Theater?“ fragte ich ihn gleich darauf.

„Ich weiß es nicht,“ antwortete er, immer ängstlich nach dem Zuschauerraum hinhorchend; „sie wollte um keinen Preis der Welt her; aber ich glaube dennoch, daß sie da ist – heimlich!“

Das Finale hatte begonnen und ging glänzend zu Ende. Die Sänger wurden gerufen, und gleich darauf erhoben sich ein paar Stimmen, die nach dem Componisten verlangten; die Menge fiel augenblicklich ein und es wirbelte in allen Tonarten durcheinander: „Berger! Componist! – Componist! Berger!“ – Der Tenorist und die erste Sängerin nahmen den Zitternden in ihre Mitte und zogen ihn hinaus. Während der Vorhang emporrauschte, lehnte ich mich unerlaubt weit vor, um zu sehen, ob ich aus der dunkeln Menge nicht den Punkt herausfinden könne, wo nächst seinem jungen ein altes treues Herz am lautesten unter den Tausenden klopfte.

Eine halbe Stunde später verließen die letzten Nachzügler das Theater, während der Director noch mit einigen Recensenten und Kunstfreunden plaudernd im Corridor vor der Casse stand. Ich befand mich in der kleinen Gruppe, als Julius Berger strahlend vor Glück grüßend daran vorübergehen wollte. Der Director bemerkte ihn und rief ihn freundlich heran. „Ich werde thun, was ich kann,“ sagte er, ihm die Hand reichend. „Es ist ein hübscher Anfang; machen Sie sich bald an etwas Größeres. Ihre Tantième können Sie am Tage nach jeder Aufführung erheben!“ Auch die anderen Herren sagten ihm verbindliche Worte, die er jedoch nur halb zu hören schien, denn sein Auge durchirrte den großen, nur noch spärlich erhellten Gang.

Ja, ja! da steht sie ja in ihrer alten unmodischen Enveloppe mit der schlichten Kappe auf dem grauen Haupte in dem dunkelsten Winkel, so bescheiden, als wäre sie eine Magd, die auf ihre Herrschaft wartet! Ich beobachtete ihn scharf. Jetzt sah er sie – und Gott sei Dank! muthig stürzte er auf sie zu, zog sie an’s Licht und warf sich schluchzend in ihre Arme. Auch sie weinte und strich ihm das lange Haar glatt, durch das der Zugwind nach der Straße hinausfuhr.

„Es ist seine Mutter,“ sagte ich, zum Director gewandt, ich fühlte, dieser Augenblick konnte ihm nützlicher sein als irgend eine andere Empfehlung; „seine Mutter, eine alte brave Frau, die Tag und Nacht für ihn gearbeitet hat!“

„Freut mich,“ antwortete der Director, „so ist er auch ein braver Sohn und wir wollen ihm auf die Beine helfen!“

Die kleine Oper ist in einem Jahre vierzehn Mal gegeben worden und hat ihrem Componisten eine Anstellung als Dirigent einer andern Theatercapelle eingetragen. Mutter Kranzlern trägt keinen Kuchen mehr aus; sie hat jetzt die langverdiente Ruhe. Aber sie scheut heute noch nicht Wind und Wetter, um zu sehen, wie ihr Sohn den kleinen schwarzen Dirigentenstock führt. Denn das ist für sie die Hauptsache bei der ganzen Geschichte.

Max Alt.


Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 459. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_459.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)