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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

enormen Kraftentwickelung bildet, aus dem der Fuchs selbst seine sprüchwörtliche Schlauheit unterhält, für uns ein specifisches Gift sein soll, während wir doch beweisen können, daß seine Verdauungsumwandlung bei uns absolut dieselbe, daß unser Blut, in welches seine Verdauungsproducte gelangen, ganz dasselbe, daß endlich unsere Muskeln und Nerven, welche ernährt und mit Kraftvorrath versorgt werden sollen, gleich organisirt sind und gleich reagiren. Doch a priori läßt sich nichts beweisen. Hören wir die speziellen Beschuldigungen!

Die Behauptung, daß das Fleisch überhaupt arm an brauchbaren Stoffen sei, ist einfach eine Unwahrheit, und geradezu komisch ist es, wenn in dieser Beziehung das Fleisch mit Kaffee, Thee und dergleichen Genußmitteln in eine Kategorie geworfen wird. Das Fleisch ist reich an einem der wesentlichsten Nahrungsstoffe, an Eiweißstoff, weit reicher als die Milch, reicher als die meisten vegetabilischen Nahrungsmittel. Wir können den Bedarf an diesem Nahrungsstoff durch ein kleineres Quantum von Fleisch, als z. B. von Brod bestreiten; um ihn durch Kartoffeln oder Rüben zu decken, brauchten wir von diesen mehr als die zehnfache Menge. Das Fleisch ist im Durchschnitt mindestens so reich an Fett wie die Milch; reicher als die meisten Vegetabilien, aber – sagt der Vegetarianer – sehr arm an stärkmehl- und zuckerhaltigen Substanzen, an denen die meisten pflanzlichen Nahrungsmittel überreich sind. Das ist wahr, allein erstens ist es mit dieser Armuth beim Fleisch nicht so arg, wie jene Herren meinen, dasselbe enthält constant eine ansehnliche Menge solcher Substanzen, so daß der Bedarf davon aus nicht übermäßigen Fleischquantitäten bezogen werden kann, und zweitens ist der Ueberfluß vieler Vegetabilien an Stärkmehl insbesondere gar kein Gewinn, da der größte Theil desselben als Ballast eingenommen, der Außenwelt unverändert zurückerstattet wird. Es ist also auch nichts mit dem Vorwurf, daß das Fleisch zu wenig von solchem Heizmaterial führe, aus welchem unsere Muskeln ihre lebendige Kraft schöpfen, da die Vegetarianer glücklich aus den neuesten physiologischen Arbeiten den Nachweis herausgefischt haben, daß die Thätigkeit der Muskeln nicht durch Eiweißkörper unterhalten wird. Kurz, das Fleisch ist für unser Maschinenhaus wie für das des Hundes genügendes Heiz-, Reparatur- und Schmiermaterial zugleich; es leistet allein diese Dienste, um so besser, wenn es neben stärkmehl- oder zuckerreicher vegetabilischer Kost genossen wird.

Die ärgste Beschuldigung gilt der Fleischbrühe; sie sei nicht allein ohne Nahrungswerth, sondern geradezu ein Giftextract des Fleisches. Sonderbar! Diese Behauptung gründet der Vegetarianer auf eine beiläufige Bemerkung derselben Autorität, desselben Liebig, unter dessen Firma jetzt, wie jedes Zeitungsblatt lehrt, das concentrirte Fleischextract als Universal-Stärkungsmittel durch die ganze Welt ausposaunt wird. Was hat Liebig, der uns zuerst durch eine classische Untersuchung die Bestandtheile der Fleischbrühe kennen lehrte, gesagt? Etwa, daß er darunter einen gefunden habe, für welchen durch directe Experimente eine giftige Wirkung auf Thiere constatirt sei? Keineswegs! Nichts weiter, als daß einer darunter sei, das sogenannte Kreatinin, welches zu den organischen Basen, d. h. zu einer Classe von chemischen Substanzen gehöre, zu welcher auch gewisse heftige Pflanzengifte zu rechnen sind. Daß es Liebig nicht in den Sinn gekommen ist, das Kreatinin selbst als Gift zu brandmarken und deswegen den Genuß der Fleischbrühe zu verwerfen, das genirt den Vegetarianer nicht, aus diesem harmlosen Ausspruch aller Logik zum Trotz sein Anathema gegen die Bouillon zu schmieden, ein Beweis, daß in seinen Händen eine wissenschaftliche Angabe oft nicht besser aufgehoben ist, als ein Messer als Spielzeug in den Händen eines Kindes.

Nun, wir stehen jetzt überhaupt nicht mehr auf dem Standpunkte der Zeit, in welcher Liebig jene erste treffliche Arbeit lieferte und sich über die Beziehungen der Fleischbrühe zur Ernährung aussprach. Eine Reihe gründlicher neuer und neuester Forschungen haben uns in den Stand gesetzt, ein vollgültiges, mit schlagenden Beweisen ausgerüstetes Urtheil über den Werth der Fleischbrühe abzugeben, ein Urtheil allerdings, aus welchem sich der Vegetarianer bei der ihm so geläufigen Einseitigkeit der Benutzung viel bequemer als aus Liebig’s Ausspruch einen Fluch zusammenbrauen kann. Es ist wirklich richtig, die Fleischbrühe enthält giftige Substanzen, d. h. solche, welche, in größeren Dosen in den Organismus gebracht, durch ihre Einwirkung auf bestimmte Theile des Nervensystems störend, selbst tödtlich wirken können. Wir können ein Kaninchen tödten, wenn wir ihm das concentrirte Extract aus etwa drei Pfund Fleisch in den Magen pumpen; wir können die Vergiftungserscheinungen sogar an dem fleischfressenden Hunde demonstriren; wir wissen, daß die bekannten Erscheinungen von Aufregung, Herzklopfen und Fieber, welche nach Genuß sehr starker Fleischbrühe bei Menschen vorkommen, die Anfänge dieser Giftwirkung sind; ja, wir könnten einen Menschen mit einer großen Portion Liebig’schen Fleischextractes umbringen. Hört, Hört! Wir haben auch den Hauptverbrecher unter den Elementen der Fleischbrühe entdeckt, nicht in jenem Kreatinin, welches die Vegetarianer durchaus dazu stempeln wollen, überhaupt nicht in einem organischen Bestandtheile, sondern in gewissen Mineral-Bestandtheilen, den Kalisalzen, welche das Fleisch in überwiegender Menge enthält. Allerdings sind auch unter den organischen Bestandtheilen Stoffe, wie die Milchsäure und ein naher Verwandter des Kreatinins, das Kreatin, welche auf unsere lebensthätigsten Gewebe, die Nerven und Muskeln, „ermüdend“ wirken, allein wir dürfen von ihrer Berücksichtigung bei unserer Frage füglich absehen, weil keine Rede davon ist, daß sie selbst nach Excessen im Bouillongenuß in solcher Menge zu ihren Wirkungsstätten gelangten, daß sie Störungen hervorrufen könnten.

Nun, da haben wir’s! werden die Vegetarianer sagen, gleichviel wie der Sünder heißt, es ist doch ein Gift in der Fleischbrühe, ergo anathema sit. Halt, meine Herren! Zufällig bilden dieselben Kalisalze, welche in größerer Dosis eingenommen giftig wirken, einen der werthvollsten, für die Ernährung unentbehrlichen Bestandtheil der Fleischkost. Nehmen wir dem Fleisch seine Kaliverbindungen, so verhungert auch der Hund dabei, sein eigenes Fleisch schwindet und wird nicht durch neuangebautes ersetzt; die Kalisalze spielen eine unentbehrliche Rolle bei der Reparatur seiner abgenutzten Muskeln. Waschen wir aus einer Portion Fleisch mit Wasser alle löslichen Bestandtheile, also die ganze Fleischbrühe sorgfältig aus, und füttern mit dem ausgesogenen Rest einen Hund, so stirbt er; setzen wir aber zu eben diesem Rest künstlich, nicht die organischen Stoffe der Fleischbrühe, sondern nur ihre Kalisalze (und eine Spur von Kochsalz) zu, so lebt er nicht nur ohne Herzklopfen fidel weiter, sondern setzt auch bei entsprechender Menge dieses Futters neues eigenes Fleisch an. Ebenso läßt sich aus Beobachtungen entnehmen, daß auch zur Ernährung des Nervensystems die giftigen Kalisalze unerläßlich sind. Wenn etwa Jemand den abgedroschenen Einwand wagen wollte, daß wir keine Hunde seien, der Nutzen der Kalisalze aber nur für diese dargethan sei, dem entgegne ich, daß uns die Natur mit der Nase darauf drückt, daß wir auch in dieser Hinsicht dem Hunde gleichgestellt sind. Denn in unserer Muttermilch findet sich derselbe Ueberschuß an Kali-Verbindungen wie im Fleisch, und alle Ihre hochgepriesenen vegetabilischen Nahrungsmittel, meine Herren Vegetarianer, sind ebenso mit diesem Gift, dem einzigen Gift der Fleischbrühe geladen, die besten unter ihnen, die Bohnen, am meisten. So steht die Sache! Die Fleischbrühe allein, in ihrer gewöhnlichen Küchengestalt, wie als Liebig’sche Quintessenz, ist kein Nahrungsmittel – das wissen wir längst – sie kann in übertriebenen großen Dosen sogar schaden; aber mit ihrer Quelle, dem Fleisch, zusammen ist sie auch für den Menschen ein kostbares, mustergültiges Ernährungsmaterial, so gut oder besser als manches Vegetariergericht, und das geschmähte Fleisch könnte nur dadurch zu einem Gift für uns gemacht werden, wenn wir ihm seinen Saft nehmen wollten.

Die Fleischbrühe allein gehört ihrer eben angedeuteten Wirkung nach zu den sogenannten Reizmitteln. Lassen Sie mich über diese Classe von Küchenartikeln und das von den Vegetarianern über sie verhängte unbedingte Verdammungsurtheil nur einen flüchtigen Streifzug unternehmen. Auch hierin schütten die Jünger des Pythagoras das Kind mit dem Bade aus. Kein Mensch, und namentlich kein Physiologe wird mit ihnen darüber streiten, daß Kaffee und Thee keinen Nahrungswerth haben, den man ihnen vergeblich anzudichten versucht hat, daß sie in starken Gaben durch ihre aufregende Wirkung, besonders auf das Herznervensystem, schaden. Kein vernünftiger Mensch wird bestreiten, daß bei unseren geistigen Getränken der Heizwerth gegen die schädliche Wirkung des Alkohols in den Hintergrund tritt, daß es ein Leib und Geist verderbendes Laster ist, wenn wir unsere Seelenmaschine soweit unter Spiritus setzen, daß ihr ganzes Räderwerk in Unordnung geräth und den Dienst versagt. Ich bin weit entfernt, zu behaupten, daß mein unzertrennlicher Freund, der Tabak, durch seine Verbrennungsdämpfe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 472. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_472.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)