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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

gefaßt; anstatt den Ablauf der Strafzeit abzuwarten, wollte sie thätig sein, sie so viel als möglich abzukürzen, ihrem Vater die Freiheit und mit ihr die Gesundheit zu einem neuen Leben wieder zu verschaffen. War doch in der ganzen Gegend nach Bartel’s Bericht wieder viel von dem Bergwirth die Rede, und schien es doch, als ob die Ansicht über ihn und seine That umgeschlagen und eine viel mildere geworden. Der so ungewöhnlich rasche Verfall und die Verschleuderung des Bergwirthshauses, das früher eine Perle der Umgegend und eine Goldgrube gewesen, die Verurtheilung des Eigenthümers, der, wenn auch mitunter ein „harter Hund“, doch immer als ein ehrlicher und angesehener Mann gegolten, das Verschwinden der Tochter hatten allmählich den anfänglichen Unwillen in Bedauern umgewandelt. Man hörte vielfach sagen, der Bergwirth müsse, wie er das gethan, völlig irr’ und auseinander gewesen sein und er hätte vielleicht ganz anderswohin gehört, als wo er sich jetzt befinde.

Der Postillon sah es wohl lang’ voraus, daß es so kommen werde; als ihm aber Juli ihre Absicht, seine Einsiedelei zu verlassen, mittheilte, war es ihm doch bang’ und weh um’s Herz, beinahe wie damals, als es mit dem Postreiter zu Ende gegangen war. Er konnte sich nicht vorstellen, wie er leben und wie es im Hause werden solle, wenn Juli nicht mehr darin weile und walte, und es war nur ein schwacher Trost, daß sie mit Hand und Mund versprach, sie werde die freundliche Zuflucht, die er ihr gewährt, nie vergessen und wolle wieder zu ihm kommen, wenn ihr Vorhaben nicht gelänge oder ihr sonst ein Unheil in die Quere komme. Er war ihr behülflich, die letzten Reste ihres früheren Wohlstandes zu Gelde zu machen, dessen sie vor Allem bedurfte, und drang ihr sogar einen Theil seiner kleinen Ersparnisse als Nothpfennig auf; es gehöre ihr so gut wie ihm, sagte er, denn wenn sie nicht gewesen wäre, würde es mit der Ersparniß schlimm ausgesehen haben.

Gleich die ersten Gänge und Erkundigungen bei den äußeren Gerichten hatten Juli überzeugt und belehrt, daß das, was sie wollte, nur in der Hauptstadt zu erreichen war; kein anderer Mund als der des Königs selbst vermochte das befreiende Wort auszusprechen. Sie wollte zu ihm, wollte ihm selbst Alles sagen, was sie auf dem Herzen hatte und wie es ihr auf der Zunge saß; aber sie erkannte nur zu bald, daß dies das Allerschwerste war, obwohl der König als sehr leutselig und zugänglich gepriesen ward. Wohl ward sie im Vorzimmer des Herrschers mit aller Artigkeit und allen Zeichen liebenswürdiger Theilnahme angehört, aber ihr auch alle Hoffnung benommen, ihre Bitte mündlich vortragen zu können. Der König sei zu sehr überhäuft, wurde ihr bedeutet; auch betreffe das eine Angelegenheit, die in das Bereich des Justizministers gehöre, in welches die Majestät nicht eingreife, ohne ihn gehört zu haben; sie solle nur ihr Gesuch schriftlich übergeben und sicher sein, daß der König es zu Handen bekomme, und sie werde dann schon Bescheid erhalten.

Mit schwerem Herzen folgte sie der Weisung und wartete auf den versprochenen Bescheid; aber Tag um Tag, Woche um Woche verging, ohne daß derselbe erschien. Schon wollte sie sich wieder auf den Weg machen nach München, als sich die Kunde verbreitete, der König, ein Freund des edlen Waidwerks, werde demnächst in einer benachbarten Gegend ein großes Jagen abhalten und mehrere Tage in einem kleinen Berghause verweilen, das er sich zu diesem Ende erbaut. Schon der nächste Abend fand Juli in dem bezeichneten engen Bergthale, und sie war zur rechten Stunde gekommen, denn kurze Zeit nachher ertönten die Jagdhörner und der König erschien, seine Jägercavalcade um und hinter sich – ein stattlicher Zug, denn die kurzen dunkelgrünen Sammtröcke, in welche er sich und seine Begleiter gern gekleidet sah, die breiten Hüte mit den wehenden Federn, die hoch über’s Knie hinaufreichenden grauen Lederstiefel, die blanken Gürtelkuppeln mit den blitzenden Hirschfängern bildeten einen ebenso einfachen wie schmuckvollen Anzug. Vor dem Jagdhause wurde das erlegte Wild abgeladen, um vom König besichtigt zu werden – vor Allem ein besonders starker und stattlicher Berghirsch, ein Vierzehnender, der angeschossen auf den etwas schroffen und gefährlichen Stand des Königs angerannt gekommen, von ihm aber mit seltener Geistesgegenwart und sicherer Hand gerade im Augenblicke der Gefahr erlegt worden war. Das riesige Thier trug als Königswild einen Kranz von Tannzweigen mit Edelweiß besteckt um das Geweih; mit Wohlgefallen betrachtete der Fürst die edle Jagdbeute und die Hörner bliesen in einer schmetternden Fanfare dem königlichen Schützen Waidmanns Heil, als Juli, deren Anwesenheit von Niemandem beachtet worden, plötzlich vordrängte und, ehe die Jäger es hindern konnten; sich dem König zu Füßen warf. Wohl versuchten sie, die zudringliche Störerin hinwegzubringen, aber der Fürst wehrte ihnen ab. Mit jener herzgewinnenden Güte, die selbst sein früher und rascher Tod von dem edlen Angesichte nicht zu tilgen vermochte, forderte er das Mädchen auf, sein Anliegen vorzubringen.

„Ich bin heute auf mein eigenes Vergnügen bedacht gewesen,“ sagte er lächelnd zu seinen Begleitern, „vielleicht ist es mir vergönnt, auch noch Jemand Anderm eine Freude zu machen …“

Juli erzählte, anfangs schüchtern und verwirrt, bald aber mit aller Einfachheit ihres Wesens, aller Innigkeit ihres Gemüths. Schweigend hörte der Monarch zu; sein Blick ruhte mit mildem Wohlgefallen auf dem hübschen, schmerzlich erregten Angesicht Juli’s und ihren thränenschimmernden Augen, als sie am Schlusse ihrer Bitte noch einmal in die Kniee sank.

„Steh’ auf, Mädchen,“ sagte er dann gütig, „die Sache ist mir nicht fremd, ich habe schon davon gehört. Was ich gehört, war allerdings nicht geeignet, Dein Gesuch zu empfehlen; der Inspector der Strafanstalt hat dem Verurtheilten kein günstiges Zeugniß ausgestellt … aber ich will Dir und meinen eigenen Augen einmal mehr glauben als geschriebenen Berichten. Wer eine so wackere Tochter hat und so sehr von ihr geliebt wird, der kann kein gänzlich verlorener Mensch sein … ich übergebe ihn Dir, mein Kind; um der Tochter willen sei dem Vater verziehen … Herr Graf,“ fuhr er, zu einem seiner Begleiter gewendet, fort, „sorgen Sie, daß es sogleich ausgefertigt werde … das Mädchen mag seinem Vater selber die Freiheit bringen … Nun aber zu unserer Jägermahlzeit!“

Schon der nächste Tag traf Juli vor den hohen Thor- und Einfassungsmauern des Zuchthauses; mit freudig bangem Herzen zog sie die Glocke, der ein scharfer gellender Ton und das Rasseln von Schlüsseln und Riegeln antwortete. Wenige Augenblicke später stand sie vor dem Inspector, der in einem mehr als schmucklosen Canzleizimmer in einem Verschlage arbeitete, der ihn von den Persönlichkeiten schied, mit denen er meistens zu verhandeln hatte. Der Beamte las und staunte; er putzte die Brille und las wieder und legte dann, das Mädchen vom Kopfe his zu den Füßen musternd, den überraschenden königlichen Befehl nicht eben sanft auf sein Pult. „Es ist richtig,“ sagte er dann; „zwar ist das nicht der gewöhnliche Weg für solche Dinge … aber es ist richtig. Meinetwegen – Du mußt es fein angefangen haben, Mädel; derlei kommt nicht oft vor; mir aber geschieht ein Gefallen, wenn ich den widerhaarigen Alten los werde, mit dem doch keine Ehre einzulegen ist. Ich habe Alles mit ihm versucht und Alles vergebens. Bei der Gartenarbeit blieb er verstockt und boshaft, beim Spinnen blieb er es auch! Er that sein Tagwerk wie eine Uhr, die abläuft, so weit sie aufgezogen ist. Er arbeitete für Zwei; aber er hätte sein eigenes Auge nicht aufgehoben, wenn es ihm auf den Boden gefallen wäre. Er sprach kein Wort und sein Gesicht sah immer aus wie ein Gewitterhimmel. Ich wünsche Dir Glück, wie Du mit ihm zurechtkommen wirst! Willst Du den alten Starrkopf gleich mitnehmen?“

Juli seufzte tief auf; ein Schauder hatte sie überrieselt, als sie von den Erlebnissen des Vaters gehört. Sie ahnte, welche Wucht von Leiden über dessen hartem Gemüthe dahin gegangen sein mußte … „Wenn’s erlaubt ist, ja,“ erwiderte sie auf die Frage. „Und ist also der Vater jetzt ganz und wirklich frei?“

(Schluß folgt.)


Zur Ehrengabe für Roderich Benedix

gingen wieder ein: von einem relegirten Studenten 1 Thlr.; Heinrich Brockhaus 25 Thlr.; Gust. Mayer 10 Thlr.; Sondermann u. Stier in Chemnitz 10 Thlr.; D. M. in O… 5 Thlr.; Ertrag einer Benefizvorstellung der Gesellschaft „Myrthe“ in Leipzig 5 Thlr. 7½ Ngr.; Harmonie-Gesellschaft in Waldenburg (Sachsen) 5 Thlr.; 1 Thlr. mit einem Gedicht, dessen Endverse lauten:

Heut bring’ ich dar was ich erspart
Von meiner kleinen Habe,
und bitte, daß Ihr nicht verschmäht
Der alten Jungfer Gabe.

Ertrag einer vom „Leipziger Klapperkasten“ veranstalteten Benedix-Feier 250 Thlr. 5 Ngr.

Die Redaction. 



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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