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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


No. 31. 1870.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.


Die Thurmschwalbe.
Von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


Graf Ulrich sah Melusine mit seinen aufglühenden Augen an, halb wie herausfordernd, halb wie scheu – er fügte keine Silbe hinzu.

Melusine wich diesem Blicke aus. Sie stützte schweigend das Kinn auf den Arm. Erst nach einer langen Pause sagte sie: „Sie wollten mir ja von einem Duell reden!“

„Dies war die Einleitung dazu. Bleiben wir erst dabei stehen. Verurtheilen Sie mich wegen dieses – Ereignisses? Hatte ich die Schuld – oder hatte sie der entsetzliche Gaul, der mich schlug, den ich habe sofort todtschießen lassen?“

„Als ob das,“ rief Melusine aus, „als ob das die Sache geändert, gebessert hätte!“

„Ich sehe, Sie sprechen unerbittlich mein Urtheil …“ sagte mit bitterm Lächeln Graf Ulrich; „vielleicht sind Sie bei der andern Sache milder. Oder habe ich Sie so entrüstet und entsetzt, daß Sie nichts mehr von mir hören wollen?“

„Beinahe,“ versetzte Melusine, ihn fest und ernst ansehend. „Aber da Sie sagen, daß der andere Fall, wo Sie einen Menschen tödteten – im Duell – mildere Beurtheilung finden könne, so fahren Sie fort; erzählen Sie ihn mir, denn in der That …“

„Was wollen Sie sagen?“

„Nichts, nichts – bitte, erzählen Sie!“

„Nun wohl denn. Das Ereigniß, von dem ich redete, wurde hin und wieder besprochen; es fand bei meinen Cameraden eine mildere Auslegung als, wie es scheint, bei Ihnen, Fräulein Cousine … es würde auch sehr bald vergessen worden sein, wenn nicht ein Oberlieutenant in der andern Schwadron unserer Division, ein sehr schlechter Soldat, der bereits einmal, wegen feigen Betragens vor dem Feinde, bestraft war, sich darüber in für meine Ehre verletzenden Redensarten ergangen und sich, von seinem innerlichen Gift gestachelt, das Ansehen gegeben hätte, als ob er über meine ‚übermütige Rohheit‘ empört sei. Er hatte sich öffentlich diese Reden zu Schulden kommen lassen; seine Ausdrücke, die mir überbracht wurden, waren zu plump gewesen – ich mußte ihn fordern. Doch kann ich Ihnen schwören, daß es mir gründlich widerstrebte, an dem in schlechtem Rufe stehenden Menschen zum Ritter zu werden. Nachdem ich ihn fordern lassen, that ich Alles, um es ihm leicht zu machen, sich dem Duell zu entziehen. Noch auf dem Kampfplatze ließ ich meinen Secundanten zu dem Secundanten meines Gegners hinübergehen, um den Zwist beizulegen; ich würde mit der einfachsten Ehrenerklärung, mit dem einfachsten Widerruf befriedigt gewesen sein. Aber mein Gegner wollte nicht. Gegen jeden andern Officier des Regiments werde er widerrufen, erklärte er, mir gegenüber nicht …“

„Und weshalb nicht Ihnen gegenüber?“ fragte Melusine.

Graf Ulrich zuckte die Achseln „Ein Vorwand,“ sagte er; „mein Gegner stand in zu schlechtem Rufe; er hatte sich zu viele Blößen gegeben, er konnte sich diesmal nicht zurückziehen. So war der Kampf unvermeidlich. Wir wechselten unsere Kugeln, die seine sengte mein Haar; die meine streckte ihn todt nieder.“

Graf Ulrich schwieg. Er sah Melusine ruhig und unbefangen an. Aber ihr entging nicht, daß er ein wenig bleicher als gewöhnlich war, und daß er die Augenlider, die meist die obere Hälfte seiner Pupillen bedeckten, ganz aufgeschlagen hatte, wie Jemand, der etwas ganz und voll in’s Auge fassen will.

Melusine sah ihn wieder an mit gerunzelten Brauen. Auch sie schwieg einen Augenblick; dann sagte sie, fast heftig erregt, wie zürnend über ein ihr persönlich zugefügtes Böses: „Ich glaube gar nicht, daß der arme Mensch deshalb dem Duell nicht auswich, weil er als muthlos bei seinen Cameraden galt, wie Sie ihm jetzt, wo er todt ist, nachsagen. Dann hätte er sich gehütet, sich so offen mißbilligend und so scharf tadelnd über Ihr Benehmen auszusprechen und sich Ihre Herausforderung zuzuziehen, die er ja doch voraussehen konnte. Nein, seine Erklärung, Ihnen gegenüber wolle er seine Worte nicht zurücknehmen, beweist, daß Sie, Ihr Benehmen, Ihr übermüthiges Wesen ihn schon vorher schwer gereizt hat, und damit haben Sie ihn verführt, sich Ihnen gegenüberzustellen … Ihr Benehmen ist also an dem Tode des Officiers schuld, wie Ihre rücksichtslose Härte schuld war an dem Tode des unglücklichen Soldaten; jener fiel in ehrlichem Duell, dieser durch den unglücklichen Zufall, daß er ein widerspenstiges Handpferd führte; und doch haben Sie, trotzdem nur Sie ganz allein die Schuld …“

Melusine unterbrach sich plötzlich, wie im Gefühle, daß sie zu heftig werde.

„Weshalb fahren Sie nicht fort?“ sagte Graf Ulrich gezwungen lächelnd. „Sie sind so hübsch auf dem Wege, mir in mein schlechtes, aber ruhiges Gewissen zu reden!“

„Sie haben gar kein ruhiges Gewissen.“

„Glauben Sie das wirklich nicht?“

„Nein. Würden Sie mir sonst diese Geschichte erzählen?“

„Ich finde keine besondere Befriedigung darin, sie zu erzählen. Vielleicht nur,“ setzte er, mit eigenthümlichem Tone die Worte hinwerfend, hinzu, „sie Ihnen zu erzählen.“

„Aus welchem Grunde mir? Ich bin weder eine übermäßig

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 481. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_481.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)