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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

leicht und blickte den Pastor mit gerunzelter Braue an. Doch schwieg er. Er mochte einen Augenblick unschlüssig sein. Aber tausend Thaler! Wenn er sie hatte, mußte er sie dem Vicomte geben – das hatte er versprochen. Er warf unwillig den Kopf zurück.

„Mein lieber Pastor Demeritus,“ rief er dabei aus, „ich würde mich den Teufel um Ihre Geheimnisse kümmern, wenn ich sie umsonst haben könnte. Viel weniger lasse ich mich um tausend Thaler beschwindeln.“

Das gelbgraue Gesicht des Pastors wurde ein wenig gelbgrauer, als es sonst war. Mit verbissenem Tone sagte er: „Ich sehe freilich, daß Sie meine Geheimnisse nicht einmal umsonst wollen, sonst würden Eure gräflichen Gnaden mir nicht durch Ihre gütige Art sich auszudrücken so gründlich die Neigung nehmen, sie Ihnen umsonst anzuvertrauen. Ich empfehle mich zu Gnaden!“

Damit zog er den Hut, machte eine sehr tiefe Verbeugung, wandte sich und ging zurück, die Allee zum Dorfe hinunter.

„Frecher Mensch!“ murmelte, ihm nachblickend, der Graf. „Der Teufel hole solch tückischen Pfaffen!“

Und doch sah Graf Ulrich ihn nicht ganz ruhig von dannen gehen. Er stand, biß sich die Unterlippe, machte einmal einen Schritt, als ob er den sich Entfernenden zurückrufen wolle; dann wandte er sich, und dem Schlosse zuschreitend, sagte er leise vor sich hin:

„Ah bah – entweder lügt der Bursche oder er lügt nicht, und es hat in der That Jemand ein Recht auf Maurach. Ist das der Fall, so kann ich’s auch ohne ihn ergründen – und dazu wollen wir Schritte thun. Ich will mit dem Vicomte einmal gründlich die alten Stammbäume durchgehen und hören, was er darüber meint; er wird es sagen können, der alte Bücherwurm, und was er nicht weiß, das weiß dieses kluge Huhn von Melusine ganz sicherlich. Zum Ueberfluß könnten wir auch diese gestrenge Hof-, Palast- und Schlüsseldame des hochseligen Herrn Walram, die Frau Wehrangel, in’s Gebet nehmen, und in der That, die alte Schachtel sieht ganz danach aus, als ob sie über irgend einem dunklen tragischen Geheimniß brüte. Bah, es wird viel auf sich haben. Jedenfalls werde ich Prätendenten mir vom Halse zu schaffen wissen!“

Während er in’s Schloß heimkehrte, war der Mann, der mit dem Pastor Demeritus zuerst die Allee heraufgekommen und dann abseits durch die Kornfelder davongegangen war, auf Fußsteigen, und bald über die Ackerfelder, bald durch Gehölze gehend in einem weiten Bogen so um das Schloß herumgekommen, daß er etwa eine Viertelstunde später in der Nähe desselben zwischen den Gartenhecken an der Rückseite plötzlich wieder auftauchte. Er mußte, um sich nicht einen Augenblick verirrt zu haben, die Gegend um das Schloß her sehr genau kennen. Eine Weile blieb er, verdeckt von einer Ecke der nächsten grünen Garteneinfriedigung, stehen und spähte über den breiten Schloßgraben hinüber, auf die Terrasse unter den Kastanien. Es war Alles still da. Der Mann stand lange, ohne sich zu rühren. Seine von der tief in die Stirn gezogenen Filzkappe beschatteten Züge nahmen einen Ausdruck von Verdrossenheit und Ermüdung an; er riß ein Reis von der Hecke, begann es zwischen den Zähnen zu kauen, dann lehnte er sich mit über der Brust verschlungenen Armen an die grüne Wand und blickte dabei zu Boden, als ob er nachsänne und darüber ganz die Terrasse drüben und was er vorher dort erspähen wollen, vergäße.

Nach einer langen Pause blickte er plötzlich wieder auf. Er hörte eine Kette klirren; vorsichtig um die Laubecke schauend sah er ein junges Mädchen, das eben von der Terrasse in den Kahn niedergestiegen war, die Kette gelöst hatte und nun begann, sich über den Graben zu rudern.

Der Fremde verließ seinen Standpunkt und ging am Graben entlang der Stelle zu, wo sie landen mußte.

Als sie an dem Landungsplatze ankam und, die Ruder niederlegend, aufstand, gewahrte sie ihn plötzlich und stieß einen kleinen Schrei der Ueberraschung aus.

Der Mann betrachtete sie mit eigenthümlich forschenden Blicken, ohne etwas zu sagen; doch war seine Miene bewegt, als ob er sprechen wolle und nicht recht den Anfang finde; es war wunderlich; die Thurmschwalbe – denn sie war das junge Mädchen – hätte sich beinahe gefürchtet vor dem Menschen, doch fiel ihr jetzt plötzlich auf, daß er eigentlich so aussehe wie der Pastor – doch viel stärker freilich, und auch sonst anders; nicht so häßlich, auch nicht so listig und spöttisch – nein, er sah doch viel besser aus! Aber was war er, was wollte er? Darüber gab er keine Auskunft, er fragte nur, ohne zu grüßen oder nur die Mütze zu berühren:

„Wer bist … wer sind Sie? Annette Wehrangel, nicht wahr, mein Kind?“

Die ersten Worte hatte er brüsk, fast unhöflich gesprochen – die letzten mit einem ganz andern Tone, mit einem hellen Aufglühen der Augen; und nun biß er sich in die Unterlippe und sah aus, als ob er gar keine Antwort verlange, sondern an etwas Andres denke.

Annette gab auch keine Antwort. Die Thurmschwalbe ließ sich nicht so fragen. Sie sah ihn nur an und kümmerte sich sehr wenig darum, ob ihre Augen ihm verriethen, daß sie sich über ihn sehr verwundern müsse, und daß seine ihr in den Weg tretende Erscheinung ihr gar nicht sehr gefalle.

„Hören Sie,“ fuhr er jetzt fort, „Sie würden mich sehr dankbar machen, wenn Sie so gut wären, mir eine Auskunft geben zu wollen …“ Es war merkwürdig, welch reines gutes Deutsch er sprach, und wenn auch sehr leise, doch jede Silbe so verständlich.

„Eine Auskunft? Welche?“ sagte die Thurmschwalbe, sich ganz wie zu jedem Strauß bereit mit dem einen Fuß auf die vordere Spitze des Kahns stellend, während sie die Hände auf den Rücken legte – es sah sehr herausfordernd und sehr hübsch aus, wie sie so keck dastand.

„Es sind Gäste in Ihrem Schlosse – ein französischer Herr und eine Dame … arme Emigranten … nicht wahr?“

„Gäste sind im Schlosse,“ versetzte Annette.

„Und Ihr Graf hat sie sehr gastfrei aufgenommen, sie sind jetzt schon den dritten Tag dort …“

„Sie kamen vorgestern,“ antwortete Annette, „und er hat sie gastfrei aufgenommen – da Sie das Alles wissen, weiß ich nicht, weshalb Sie Auskunft darüber verlangen!“

„Die junge Dame ist sehr schön … der Graf wird ihr den Hof machen!“

Die Thurmschwalbe schüttelte den Kopf. Sie schüttelte den Kopf über den Fremden, der sie so ohne Weiteres ausholen zu können glaubte; dieser nahm es offenbar für eine Verneinung.

„Nicht?“ fragte er. „Haben Sie dann vielleicht bemerkt, daß der Graf heftige und lebhafte Erörterungen mit den Fremden hatte? daß sie Streit oder Auseinandersetzungen zusammen hatten? daß er erregt oder mißgestimmt ist …“

„Nein, das habe ich nicht bemerkt!“ entgegnete immer verwunderter über dies Verhör, das ein Fremder mit ihr anstellte, das junge Mädchen.

„Wer ist des Grafen Advocat, sein Geschäftsführer – hat er nicht zu ihm gesandt? Es ist nur,“ fuhr er fort, da er Annettes Mund sich trotzig aufwerfen sah und in ihren Mienen las, daß ihre Bereitwilligkeit, ihm zu antworten, zu Ende gehen könne, „es ist nur, weil ich diese Emigranten kenne und einen Verdacht gegen ihre Absichten haben muß …“

„O,“ fiel das junge Mädchen ein, „man muß gegen Niemanden einen Verdacht haben, es sei denn, daß man einen guten Grund dazu habe!“

Annette blinzelte den Fremden bei diesen Worten so eigenthümlich klug und sprechend an, daß ihm die Bedeutung ihrer Worte nicht entgehen konnte. Darüber erröthete er, ja er wurde zornig; heftig den Fuß auf den Boden stoßend, sagte er:

„Zum Teufel, Sie thäten besser, nicht gar so altklug zu sein, sondern mir offen zu antworten. Sie wissen den Henker, was für Sie selber auf dem Spiele steht. Da, nehmen Sie diesen Brief. Besorgen Sie ihn an Ihre Mutter. Aber so, daß es Niemand sieht. Hören Sie! Niemand darf es sehen!“

Er zog einen versiegelten Brief hervor und reichte ihn ihr in den Kahn hinüber. Sie nahm ihn zögernd und besah ihn mißtrauisch. Er war an ihre Mutter adressirt, das Siegel eine Namenschiffre.

„Sagen Sie Ihrer Mutter, sie solle ihn augenblicklich lesen; es hänge Alles davon ab, daß sie ihn gleich lese. Adieu – gehen Sie gleich damit zu Ihrer Mutter. Wollen Sie? Ich danke Ihnen. Adieu.“

Annette nickte stumm, den Fremden immer erstaunter anblickend. Er wandte sich und ging, wieder ohne die Mütze abzunehmen. Er ging zwischen seine Hecken zurück. Im Schreiten wischte er sich die Stirn mit dem Tuche. Er ging gedückt und verschwand bald wieder auf seinem Schleichwege. Seltsam, dies sich Ducken und zwischen den Hecken Verschwinden, während er doch zu Annette geredet hatte wie Jemand, der sich nicht zu verstecken braucht; so herrisch und bestimmt und wie in einer Erregung, die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 484. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_484.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)