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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Sprache von Haus aus auf dem besten Fuße; der gesittete Geist des Salons machte jede Ausschreitung unmöglich; denn das Publicum, dem zuerst diese Gedichte vorgelesen wurden, übte ja eine feinsinnige Censur, und wenn eine kleine Keckheit durchschlüpfen sollte, so durfte sie nur mit den Augen aus der Maske sehen. Für die Musen aus der Mark waren die Grazien aus der Mark zu Wächterinnen bestellt, und sie sprachen im Chorus das Goethe’sche Wort: „Erlaubt ist, was sich ziemt!“

Für die Entwicklung eines jungen Dichters ist der Salon kein günstiges Treibhaus. Kraft und Leidenschaft, Größe des Denkens und Wollens können hier nicht zur Blüthe kommen; eine gewisse mattherzige Eleganz kränkelt die hier erzeugten dichterischen Schöpfungen an. Unter dieser Ungunst der Verhältnisse litt auch Heyse’s junge Muse; seine Gedichte, fertig in der Form, hatten etwas Frühreifes; es fehlte ihnen Mark und Kern, geistige Bedeutung und Originalität. Immerhin hat sich Heyse’s Talent von so zweifelhaften Anfängen zu einer beachtenswerthen Stellung emporgearbeitet und der deutschen Literatur einige in ihrer Art treffliche Schöpfungen geschenkt. Freilich, Kraft, Größe und durchgreifende Bedeutung blieb ihnen versagt; aber auf dem Gebiete sinniger Anmuth und feiner Grazie steht der wohlerzogene Liebling der Musen als der Erste unter den Gleichstrebenden da.

Dies gilt namentlich von seinen Prosanovellen, von denen einzelne in ihrer Art vollendete Kunstwerke sind, während die Mehrzahl allerdings durch einen krankhaften Zug, durch die Vorliebe für psychologische Absonderlichkeiten und durch ein oft als Manier erscheinendes Streben nach attischer Grazie mehr befremdet, als erquickt.

Doch nicht von diesen Prosanovellen will ich Ihnen erzählen, Madame; noch weniger von den Dramen und Tragödien des Dichters, dessen dramatisches Talent bei weitem geringer ist, als sein episches, das mit seinen geistreichen Studien oft in’s Forcirte verfällt, während die bekannteren Dramen wieder an die Grenze des Trivialen streifen und nicht viel mehr sind, als dramatisirte Anekdoten; ich will Ihnen hier nur einige seiner „Novellen in Versen“ vorführen, die anfangs vereinzelt gedruckt wurden, später in einer Sammlung, die jetzt um das Doppelte vermehrt worden ist.

„Novellen in Versen“ sind poetische Erzählungen, ein Genre, das Byron in so herrlicher Weise gepflegt hat, mit soviel Gluth und Schwung und tonangebend für alle osteuropäischen Völker, für die Polen, die Russen, die Ungarn, in deren Gedichten die Steppenritte und Corsarenfahrten Byron’s sich wiederholen, während die Melancholie des britischen Dichters der schwermüthigen Stammeseigenthümlichkeit dieser Völker vielfach ein wehmuthsvolles Echo entlockt. Gluth und Schwung sind aber nicht die Eigenthümlichkeiten der Heyse’schen Versnovellen; sie haben im Gegentheil einen pikanten, spielerischen Zug: zwischen den Zeilen und oft in den Zeilen lächelt der Dichter über die Begebenheiten, die er schildert; er sagt uns fortwährend: es ist Alles nur Scherz, nur Spiel; seht hier den Schaum, aus dem ich meine buntschillernden Seifenblasen gestalte, seht hier das neckische Thonpfeifchen, das diese Wunder bildet! Die souveraine Ironie ist die Muse seiner Dichtung; ihre Ahnherren sind Ariost und Wieland; aber die heitere Phantastik dieser hervorragenden Dichter wird bei Heyse zersetzt durch eine allzu selbstbewußte Ueberlegenheit, welche mit geistiger Freiheit keineswegs zu verwechseln ist.

Ernster gemeint sind einige seiner ersten Erzählungen, wie „Urica“. Die Heldin dieser zur Zeit der ersten französischen Revolution spielenden Novelle ist ein Negermädchen, das einen Grafensohn liebt. Er verschmäht sie! Aus dem Schlosse, in welchem sie verweilte, entfliehend, wird sie von einem Fischerweib aufgenommen. Sie lernt den Nachen führen und ist bereit, den flüchtigen Grafen vor seinen Verfolgern über den Fluß hinüber zu retten. Ein Boot mit Jakobinern begegnet ihnen bei der Ueberfahrt; diese wittern anfangs den Emigranten, erkennen dann die schwarze Hexe und sind überzeugt, daß sie nicht Aristokraten schmuggelt. Sie fordern den Bürger auf, seine Frau zu küssen; der Graf zögert nicht; sie aber stößt ihn fort und ein wahnsinniger Schrei tönt von ihren Lippen:

„Zurück, du lügst! Hat dich die Todesangst
Geheilt vom Ekel vor der Negerin,
Daß ich nun gut genug zum Küssen bin,
Da du vorm Kusse der Verwesung bangst?
Hat Elend mich gebleicht? Sieh hin, sieh hin,
Um welch ein niedrig Liebchen du geworben.
Rühr’ sie nicht an! Sie ist von stolzem Sinn,
Ob auch zur Grafenbraut verdorben!“

Das ist psychologisch wahr und mit kräftiger Wildheit ausgedrückt. Der Aristokrat verfällt seinen Henkern; Urica aber überlebt die Revolution und sitzt als irrsinnige weißlockige Negerin auf den Boulevards zur Zeit des kaiserlichen Frankreichs, um ihr täglich Brod bettelnd.

Sie steht nicht auf. Ein plötzlich zuckend Weh
Belebt nur selten ihre starren Züge;
Zwei Worte spricht sie dann: Egalité!
Egalité! und: Lüge! Lüge!

In diesem Gedicht vibrirt ein Pathos der Menschenrechte, das man sonst vergeblich in den Heyse’schen Dichtungen suchen würde; es ist in seiner Haltung, in Styl und Ausdruck weniger fischblütig, als die meisten andern, die uns oft mit nixenhafter Kühle anfrösteln. Eine eigenthümliche Nixe ist „Margherita Spoletina“, ein weiblicher Leander. Verbotener Liebe schwimmt sie nach durch die Meeresfluth, doch den Geliebten tödten die Verwandten – und sie selbst wird durch eine trügerische Leuchte, die an den Mast eines hinausfahrenden Bootes befestigt ist, grausam hinaus gelockt in die offene See, wo die kühne Schwimmerin, von ihrer Kraft verlassen, in das Fluthengrab versinkt.

Auch diese Erzählung ist ernst gehalten und wird nicht von den störenden Glossen des Dichters begleitet; es ist ein Cabinetsstück eigener Art, düster beleuchtet, nicht ohne einen Schimmer von Lüsternheit, nicht ohne grausames Raffinement. Auch die beiden chinesischen Erzählungen „Die Brüder“ und „König und Magier“ sind frei von ironischen Arabesken und Randzeichnungen; aber das chinesische Costüm erscheint sehr willkürlich gewählt, die Trochäen tänzeln herum, wie Tänzer aus dem Reiche der Mitte, pagodenhaft nickend, mit den Fingerspitzen auf und nieder balancirend. Es war romantische Launenhaftigkeit, den Edelmuth eines Bruders, der sich für den andern geopfert, in dem bezopften chinesischen Costüm darzustellen, welches allenfalls eher für die etwas nüchternen Gespenster des zweiten Gedichts paßt, da diese Magie an die Zauberspiele der chinesischen Bühne erinnert.

Die größere Erzählung „die Braut von Cypern“ in ottave rime zeigt uns nun den Dichter, wie er fortwährend in den Rahmen der Handlung selbst mit geistreichen Scherzen und Bemerkungen hereintritt und mit poetischen Guirlanden, die er aus allerlei wildwachsenden Blumen gewunden hat, das klare Gepräge der vorgeführten Bilder verdunkelt. Wozu überhaupt eine Novelle des Boccaccio, die nur durch allerlei bunte Abenteuer ohne jeden tieferen Kern belustigt, in Verse bringen? Für eine Dichtung in sechs Gesängen verlangt man mehr als ein leichtes Spiel der Phantasie mit einigen aufgesetzten Lichtern der Laune. Mag man der meisterhaften Behandlung des Verses und der Sprache das beredteste Lob zollen – immer bleibt nach dem Genuß eines solchen gleichsam im Munde zergehenden Dichtwerkes eine innere Unbefriedigung zurück; denn Kopf und Herz gehn leer aus bei diesen Spielereien der Phantasie und bei den berückenden Künsten eines in allen Farben und Formen feuerwerkenden Sprachtalents.

Die Kunst, aus einem Nichts ein poetisches Etwas zu machen und die kleinste Anekdote zu mehreren Gesängen in plauderhaften Stanzen breitzuschlagen, bewährt das Gedicht „Die Hochzeitreise an den Walchensee“, in welchem nur das Schlußabenteuer einigermaßen für die geschwätzigen Reflexionen entschädigt, welche uns durch allerlei joviale, launig aufgeputzte Alltagsbegebenheiten zu demselben hinführen.

Und welch eine verzierte, amaranthenhaft süßliche Nordlandsmaid ist diese „Syritha“, welch eine überschwängliche Künstlernovelle dieser „Raphael“! Die letztere Novelle trieft gleichsam vom Cultus des Genius und verherrlicht die plötzlich sich hingebende Liebe eines überspannten Weibes. Die Plaudereien über „Frauenemancipation“ haben einen gewissen Theetischhumor, welcher den Witz vorsichtig mit der Zuckerzange angreift.

Dagegen athmen die „Idyllen von Sorrent“ dichterischen Geist; Naturbilder und Genrebilder aus dem Volksleben sind durchglüht von italienischem Colorit, und wenn auch die Distichen oft zu geschwätzig erscheinen und mancher bedeutungslose Zug in das Gemälde mit aufgenommen ist, so schwebt doch über diesen Liebesidyllen ein duftiger Reiz und die Welt ist geschildert, wie sie künstlerischem Aug’ erscheint.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 488. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_488.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)