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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Zauberschlag in Paris verbreitete Placate die Bevölkerung aufforderten, nicht zu dulden, daß der edelste Bürger Frankreichs ermordet werde. So auch hier. Wie auf ein gegebenes Zeichen schlossen sich alle Läden, dreitausend Studenten der Rechte und der Medicin zogen entblößten Hauptes auf die Place de Concorde, um Gnade für den Verurtheilten zu erbitten; Victor Hugo, die Gelegenheit einer Geburt und eines Todesfalles in der königlichen Familie ergreifend, sandte noch um Mitternacht dem Könige die herrlichen Verse:

„Par votre ange envolée ainsi qu’ une colombe!
Par ce royal enfant doux et faible roseau!
Grâce encore une fois! Grâce au nom de la tombe!
     Grâce au nom du berceau!“


(„Wie eine Taube floh Dein Engel Gott entgegen,
Ein Fürstenkind ruht zart und schwach im Arme Dir –
Ueb’ Gnade Du darum, Gnade! des Grabes wegen
 Und um der Wiege willen hier!“)


Der König, gerührt, ließ dem Dichter sagen: „Von mir hat er Gnade, ich muß sie nur noch von meinen Ministern bekommen.“ Es war dies freilich keine Kleinigkeit, denn diese, vor Allem der Marschall Soult, verlangten die Hinrichtung von Barbès; aber er setzte seinen Willen durch; Barbès wurde begnadigt zu – lebenslänglichem Gefängniß!

Es ist bekannt, daß Madame Roland, vom Revolutionstribunal zum Tode verurtheilt, um die Gunst bat, ihre letzten Gedanken am Fuße des Schaffotes niederschreiben zu dürfen. Man hat ihr diese Gunst versagt; aber Barbès sagt uns so beredt und schön, wie kein Anderer, was er in den Tagen gefühlt und empfunden, welche zwischen dem Urtheilsspruch und der unverhofften Begnadigung verflossen. Diese Schrift hat den Titel: „Zwei Tage zum Tode verurtheilt“; in einfacher, ungekünstelter, aber gerade deshalb den Stempel der Wahrheit an sich tragender Sprache berichtet er uns über die letzten nach seiner Berechnung ihm noch vergönnten Stunden. Wir können uns nicht versagen, unseren Lesern Einiges daraus mitzutheilen. Der edle Charakter Barbès’ erscheint in einem um so strahlenderen Lichte.

Am 12. Juli 1839 war das Urteil gefällt worden und den grausamen Bestimmungen des französischen Strafgesetzbuches gemäß wurde der Verurtheilte sofort in die Zwangsjacke gesteckt, Hosenträger, Halsbinde, Alles, womit man etwa einen Selbstmord begehen könnte, wurde ihm weggenommen: Barbès raucht ruhig seine Pfeife. „Ich empfand kein anderes Gefühl, als das einer leisen Erregung der Energie und eines gewissen Stolzes, daß ich dazu berufen war, für meine Sache zu sterben.“ Er denkt nach über das gewichtige ‚Vielleicht‘, er beginnt sich Vorstellungen zu machen über den Himmel, er steigt mit seinen Gedanken wieder zur Erde herab, und sie befinden sich wieder in ihrem heimischen Elemente, in der solidarischen Einheit und Gleichheit des menschlichen Geschlechtes. „Indessen lag ich ruhig in meinem Bette; noch wenige Augenblicke trennten mich vom Aufgang der Sonne, ein matter Schimmer zog sich an dem Stückchen Himmel, das ich vom Fenster meines Gefängnisses aus sah, hin; einer meiner Wächter, der vielleicht glaubte, daß ich schlafe, seufzte tief auf: ‚der Unglückliche,‘ sagte er zu seinem Cameraden, ‚er schläft! Hätte ihn doch die Kugel, die ihn verwundete, getödtet!‘

Ich ließ in meiner Erinnerung gerade die einzige Hinrichtung, der ich in meinem Leben beigewohnt, vorüberziehen, die blassen Züge des Verurtheilten, seine schlotternden Beine tauchten vor mir auf! Nein, tausendmal nein! Dieser Tod, dem ich jetzt entgegengehe, ist der Sache, der ich diene, viel nützlicher! – – Der Tag bricht an. Jeden Augenblick gewärtig, vom Henker abgeholt zu werden, denke ich an meine Schwester, an meinen Bruder, an Frankreich! Ich nehme Byron zur Hand, und mein Auge fällt auf die herrliche Stelle: ‚die, welche für eine heilige Sache sterben, gehen nicht unter; sie vermehren nur die erhabenen Ideen, die endlich triumphiren und die Welt zur Freiheit führen.‘ Wunderbare Fügung des Schicksals! Der Tag, an dem ich sterben soll, ist der 14. Juli; am 14. Juli vor fünfzig Jahren wurde die Bastille eingenommen! … Der Gefängnißdirector besucht mich: ‚Erhalten Sie sich Ihrer Sache und Ihrer Partei!‘ sagt er zu mir. Ich erwidere ihm: ‚Das einzige Mittel, um in diesem Augenblicke meiner Sache zu dienen, ist dies, daß man mir den Kopf abschlägt; bin ich todt, dann bin ich eine Macht, und dann erst werde ich meinen Feinden zu schaffen machen, und diese Gefahr will ich ihnen nicht ersparen; was diese fünf Fuß Fleisch betrifft, die Sie vor sich sehen, so wissen Sie, daß Gott nicht mit den Feigen ist!‘.“

Die Nachricht seiner Begnadigung ließ ihn kalt; seine Schwester besuchte ihn, und als ihr der Gefängnißdirector sagte: „Ihr Bruder hatte nicht die mindeste Furcht,“ da antwortete das heldenmüthige Weib: „Das war es auch nicht, was mich beunruhigte; ich wußte wohl, daß er ebenso ruhig das Schaffot bestiegen hätte, als wenn er nach Fourtou gereist wäre!“

Vom 12. Mai 1839 bis zum 25. Februar 1848 saß er im Gefängnisse von Nimes; die Februar-Revolution öffnete die Thür seines Kerkers und erhob ihn zum Range eines Obersten der Nationalgarde.

Wieder war es der Monat Mai, der für ihn verhängnißvoll werden sollte. Enttäuscht durch den Verlauf, den die Revolution genommen, appellirte er wieder an die Waffen und an die Gewalt, unternahm einen bewaffneten Angriff auf die constituirende Versammlung und proclamirte für sich mit wenigen Anhängern auf dem Stadthause die wahre und echte Republick. Am 16. Mai wurde er verhaftet und zur Deportation, was mit lebenslänglichem Gefängniß gleichbedeutend war, verurtheilt. In der Anklageacte fand sich eine Reihe der unwahrsten und lächerlichsten Beschuldigungen: er habe Paris in Brand stecken und der Plünderung preisgeben wollen; er hätte die Rolle Robespierre’s gespielt und den Befehl zur Anfertigung von fünfzig Guillotinen schon ausgefertigt etc. Barbès fand es auch diesmal unter seiner Würde, auf die albernen Fragen, die ihm vorgelegt wurden, zu antworten.

Bis zum 9. October 1854 – also sechs Jahre und drei Monate – saß er im Gefängnisse von Belle-Isle, und hier war es, wo er seine Schrift „Zwei Tage lang zum Tode verurtheilt“ schrieb. Seine Freiheit erhielt er diesmal durch Napoleon den Dritten! Als man ihm die Nachricht davon brachte, sagte er wie aus einem Traume erwachend: „So, man hat also in Frankreich einen Kaiser? Ich habe nichts von ihm verlangt!“

Er weigerte sich auf das Entschiedenste, die kaiserliche Gnade anzunehmen, und als sich trotz seines wiederholten Verlangens die Thüren seines Kerkers für ihn nicht mehr öffneten, reiste er nach Paris. An den Director des damals officiellen „Moniteur universel“ richtete er sofort nach seiner Ankunft folgenden Brief:

„Mein Herr! Ich komme soeben in Paris an, und ich ergreife die Feder mit der Bitte, die folgenden Zeilen in Ihr Journal aufzunehmen. Der Director des Gefängnisses von Belle-Isle hat am 5. d. M. einen kaiserlichen Befehl erhalten, dessen Motive ich nicht untersuchen will, da es nicht meine Gewohnheit ist, die Handlungsweise meiner Feinde zu verdächtigen. Als ich die Nachricht vernahm, da übermannte mich der unnennbare Schmerz des Besiegten, und so lange es mir möglich war, weigerte ich mich, mein Gefängniß zu verlassen. Ich wende mich deshalb an Sie, mein Herr, um desto lauter und deutlicher verstanden zu werden. Was geht es denn denjenigen, der gar kein Recht auf mich hat, überhaupt an, wenn ich mein Vaterland liebe oder nicht? Steht nicht immer der zweite December zwischen mir und ihm? Da er meiner persönlichen Würde zu nahe getreten ist, so halte ich es als loyaler Feind für meine Pflicht, der Welt gegenüber offen zu erklären, daß ich aus allen meinen Kräften gegen die soeben mit mir in Scene gesetzte Maßregel protestire. Ich werde daher noch zwei Tage in Paris bleiben, damit man mich in’s Gefängniß zurückbringen kann; verstreicht dieser Termin, dann werde ich nächsten Freitag Abend freiwillig in’s Exil gehen.

Paris, 11. October 1854, zehn Uhr Morgens.

A. Barbès.“ 


Man ließ ihn in Ruhe. Er wandte sich zuerst nach Spanien, später nach Brüssel und, von hier ausgewiesen, nach dem Haag, das er seit dieser Zeit nicht mehr verlassen hat. Seine Gesinnungsgenossen, Victor Hugo und seine beiden Söhne, Louis Blanc, Bernard, Rochefort besuchten ihn hier öfters; angesehen und geachtet von der Bevölkerung, unter welcher er lebte – denn das Unglück hat immer etwas Ehrfurchtgebietendes – wohlthätig gegen Arme und Hülflose, denen er mit vollen Händen gab, lebte er seinen Studien und der Pflege seiner durch die langen Gefängnißjahre zerrütteten und geschwächten Gesundheit. Der Zufall wollte es, daß er der sogenannten „Gevangenpoort“ gegenüber wohnte; jenem Gefängnisse der beiden Brüder Jan und Cornelius de Witt, jener unbeugsamen und eifersüchtigen Wächter der republikanischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 507. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_507.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)