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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Dorfe bei Leipzig, kündigte der Pastor (Dr. Schütz) eiligst noch für den Abend vor dem Ausmarschtag einen Gottesdienst mit Communion für die zur Fahne einberufenen Krieger, deren Frauen und Kinder Eltern und Geschwister an; es waren Dreihundert, die daran Theil nahmen, und auch hier schlossen noch mehrere Brautpaare den Ehebund vor der Trennung durch diesen Krieg.

Während all’ dieser Vorgänge und Arbeiten hatten in aller Eile die Vorbereitungen für den Durchmarsch bedeutender Truppenmassen vollendet werden müssen. Sie zerfielen von selbst in obrigkeitliche und freiwillig-bürgerliche. Erstere betrafen namentlich Bauten von Ställen für größere Pferdemassen, letztere die Bewirthung unserer in’s Feld ziehenden Soldaten des norddeutschen Bundes.

Die Mitrailleuse.

Die Aufregung des Augenblicks wie die Gleichgültigkeit der Gewohnheit lassen jetzt Manches übersehen, was der Beachtung werth ist. Ich führe den Leser zu den Baracken für dreihundertfünfzig Pferde auf dem Floßplatze. Sie nehmen eine Länge von dreihundertfünfzehn Ellen so ein, daß zwischen zwei großen Baracken für die Pferde eine kleinere für die Futtervorräthe isolirt steht, irgendwelcher Feuersgefahr wegen. Hier zeigt sich, was einer Stadt mit so trefflicher Wasser- und Gasleitung auch für solche Augenblicksbauten möglich ist, wenn es gilt, durch höchste Reinlichkeit für die Gesundheit von Mann und Roß zu sorgen. Die Wasserleitung versorgt sie nicht nur mit einem immerfrischen guten Trunk, sondern sie hilft auch den Abfluß der Jauche beschleunigen, die aus den Ställen in gebrannte Thonröhren abfließt und durch sie den Hauptschleußen des Platzes zugeführt wird. Und wie räumlich, blank und wohlversorgt stehen die einzelnen Abtheilungen bald für acht, bald für sechszehn Pferde da! Alles, bis zur scheinbaren Kleinigkeit, am rechten Ort, die Krippen und Raufen, dort der Futterkasten, die Siebe, die Schwingen zum Futtermischen, die Wassereimer und sogar die Futtermäßchen – Alles funkelneu und jedes an seinem Platz. In solchen Räumen mußten Roß und Mann, wenn noch so abgemattet angekommen, freudig aufathmen, und das war der Zweck, der damit erreicht werden sollte.

Derselben Aufmerksamkeit bis zu den anscheinlichen Kleinigkeiten herab begegneten wir auf den Bahnhöfen, wo der Verpflegungsverein für die durchmarschirenden Truppen eine wahrhaft großartige Thätigkeit entfaltete.

Mit militärischer Kürze hatte sein Aufruf gelautet: „Einwohner Leipzigs und der Umgegend! Unseren deutschen Truppen stehen schwere Tage bevor! Laßt diejenigen, welche unsere Stadt berühren, nicht ohne äußere Zeichen unserer Theilnahme von uns scheiden. Um den in’s Feld rückenden Soldaten, welche in unseren Mauern eine kurze Rast haben, Erfrischungen bieten zu können, richten wir an Euch die Bitte, uns schleunigst mit entsprechenden Beiträgen an Geld und Naturalien zu unterstützen. Oeffentliche Quittung wird später erfolgen.“ –

An vierundzwanzig Annahmestellen für Geldbeiträge und einer Stelle für Naturalien, namentlich Wein, Bier und Cigarren, sammelten sich in wenigen Tagen Vorräthe, mit welchen viele tausend Mann erquickt werden konnten.

Ein Bahnhof giebt uns das Bild der Einrichtung und Bewirthung für alle anderen. Wir eilen zum Thüringer, dessen Räumlichkeiten allezeit den unverwehrten Zutritt der begrüßenden Bevölkerung gestatten. Ein Verein von neunzig Bürgern leitete die Verpflegung und die Vertheilung der Gaben. Wir berichten noch über die Masse des Dargebotenen, wenn am Schluß der Durchmärsche die Zusammenstellung derselben geschieht.

Längs der Güterhalle stehen unabsehbare Wagenreihen auf dem Geleise, welches mit der sogenannten Verbindungsbahn zusammenhängt, einer Gürtelbahn, welche die vier Bahnhöfe im Norden der Stadt, den Berliner, Thüringer, Magdeburger und Dresdener, mit dem bairischen Bahnhofe im Süden verbindet. Zwischen den Wagenreihen und den Güterhallen sind Wasserbehälter angebracht. Die Güterhalle selbst ist zu einem riesigen Speisesaal umgewandelt, und jenseits der Halle dampft und kocht es in einer unter Bretterschutz improvisirten Küche mit zwei Kochheerden von je sechs Kesseln vom größten Kaliber. Vor der Küche die Bretterbude zur Reinigung des Speisegeschirrs für Bataillone von Tischgästen. Auch hier konnte nur durch Wasser- und Gasleitung früher Unglaubliches möglich gemacht werden.

Während wir noch bei frühem Morgenbesuch uns am Kaffeeduft der Küche labten, erscholl draußen zum Pfeifen und Donnern des herankommenden Zuges das Hoch der jubelnden Volksmenge. Bataillone des achtundfünfzigsten Linienregiments kamen von böser Nachtfahrt in den dichtgefüllten Wagen. Jetzt ward uns der Zweck der vielen Wasserbehälter klar. So viel der abgematteten Soldaten es nur vermochten, drängten sich um diese Behälter, um Gesicht und Hände durch eine Waschung zu erfrischen. Das Wonnige dieses Wohlgefühls strahlte von allen Gesichtern. Und nun in geordnetem Zuge zu den Tischen in der Halle. An aufwartenden Händen fehlte es nicht, die Bedienung war musterhaft, wie das Aufgetragene massenhaft. Und sobald der Tyrann Magen beruhigt war und jeder Mann sein Theil an Cigarren oder Tabak und, eine Zugabe des guten Geistes dieser Tage, ein Gratis-Liederbüchlein mit alten und neuen Gesängen für den Herzbedarf der Gegenwart in Empfang genommen, begann an allen Tischen und in allen Gängen die mittheilselige Lust; aber Musik und Gesang behielten die Oberhand. Die Regimentsmusik begann mit der rasch zum Nationallied emporgeschwungenen „Wacht am Rhein“, und alle Soldaten- und Volkskehlen stimmten mit ein. Die halbstündige Rast war wie in wenigen Minuten vorüber, wie zum Dank und zur Ermuthigung schmetterte die Musik den „Pariser Einzugsmarsch“ aus den Wagen heraus, mit der Minute war das Einsteigen vollendet, das Commando schrillte, die Locomotiven keuchten und pfiffen und fort ging’s wieder, von Hochruf und Tücher- und Hüteschwenken begleitet – fort in den furchtbarsten Kampf des Jahrhunderts. – Und so ging’s Tag und Nacht und ununterbrochen, auf die Minute genau, und Tag und Nacht blieben die Bahnhöfe die Wallfahrtstätten der Bevölkerung von Stadt und Land. Selbst der Kronprinz von Preußen, den als Feldherrn der Süddeutschen eine besondere Verehrung auszeichnete, gehorchte dem Commando des Militärzuges, mit dem er zu seinen Armeen fuhr. Dafür ließ er uns die ruhige Zuversichtlichkeit seines Ausspruchs zurück: „Einen moralischen Sieg haben wir bereits über Frankreich errungen, zu dem andern wollen wir unser Bestes aufbieten!“ –

Die Züge nach dem Rhein folgten theils der Thüringer, theils der bairischen Bahn; zu letzterer führte sie, wie bemerkt, die Verbindungsbahn, die u. A. auch das größte Dorf Sachsens, Reudnitz, durchschneidet. Hier hatte man für eine besondere allnächtliche Ueberraschung der durchfahrenden Soldaten gesorgt: jeder Zug wurde durch Raketen und andere Feuerwerksstücke begrüßt und dann auf ziemlich langer mit deutschen und norddeutschen Bundesfahnen geschmückten Strecke bengalisch beleuchtet und mit kräftigem Hoch ihm im selben Augenblick Willkommen und Lebewohl gebracht.

Die Armen unterstützen, die Klagenden trösten, die Verzagenden aufrecht halten, an den Muthigen sich stärken, mit den Hoffnungsfrohen sich freuen und für die gemeinsame Sache keine Arbeit und kein Opfer scheuen, Besseres kann der Daheimbleibende jetzt nicht leisten – und hat man Das in Leipzig redlich vollbracht, so gönne man uns draußen das Gefühl der Genugthuung, daß wir bis auf Weiteres unsre Schuldigkeit gethan haben.

Fr. Hfm. 
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 525. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_525.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)