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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


ihm von Neuem geschenkte Leben mit den bittersten Klagen, denn die erste Frage, die das wiedererlangte Bewußtsein ihm gestattete: „Wo ist mein Horn?“ – erhielt die für ihn trostlose Antwort: „Mit fort!“ Wer konnte es dem Armen verargen, daß der Ausdruck seiner Dankbarkeit gegen seine ihm übrigens völlig unbekannten Lebensretter ein total verfehlter genannt werden mußte? Das Horn kam dem Mann nicht aus dem Kopf, auch nachdem er, aus der Gefangenschaft entlassen und heimgekehrt, in dem erzgebirgischen Städtchen Schneeberg seiner völligen Genesung entgegenharrte.

Damals war bekanntlich das Königreich Sachsen von den Preußen völlig besetzt, und auch von den aus Böhmen und Oesterreich heimkehrenden Truppen kamen viele als Besatzung in das eroberte Land. In Zwickau marschirte eine Abtheilung des zwölften westphälischen Jägerbataillons ein, und zwei Mann davon erhielt ein Maurermeister F. als Einquartierung. Es gab damals schon verständige Menschen genug in Sachsen, welche in der Förderung des Preußenhasses keine politische Weisheit erkannten, am wenigsten aber siegreich heimkehrenden Soldaten gegenüber. Auch unser Gesellchäftchen saß bald in guter Unterhaltung, wenn auch nur beim Gläschen Bier und den vorschriftsmäßigen Cigarren beisammen. Dabei kramten die Jäger ihre Tornister aus, um das Waffen- und Kleiderputzzeug in Bewegung zu setzen, und eben dabei kam auch ein Signalistenhorn zum Vorschein, das des Meisters regste Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Und als nun gar die mittheilsamen Westphalen umständlich und mit genauester Personalbeschreibung erzählt hatten, auf welche Weise das Horn an sie gekommen, da rannte der Mann strahlenden Auges davon und ließ Weib, Kinder und Einquartierung in kopfschüttelndem, aber freudigem Erstaunen zurück.

Es dauerte eine gute Weile, bis die Thür sich wieder öffnete und unser Meister wohlbepackt hereintrat. Nicht blos ganz einladende Schinken- und Wurstpakete erstanden aus den Tiefen seiner Rocktaschen, sondern auch einige Flaschen Wein und ein Bund viel feinerer Cigarren, als vorher der „Einquartierung“ geboten worden waren. Und nun ging ein Fest an, das eigentlich Niemand verstand, als der Mann allein, der aber jeder Erklärung auswich und nur seine Gäste in die Einzelheiten des Gefechts bei Nechanitz und die Schicksale dieses sächsischen Signalistenhorns immer eifriger hineinführte.

Längst hatte unser freudevoller Maurermeister mit augenscheinlich wachsender Ungeduld zur Thür hingelauscht. Da ging sie endlich auf – und drei große Schreie, zwei der Verwunderung und einer der Freude, erfüllten die kleine Stube. Die Westphalen erkannten den sächsischen Signalisten von Nechanitz und dieser sah sein Horn wieder, und was nun für ein Händedrücken und Erzählen, Danken und Weinen und Brüderschaftmachen losging, und wie die Westphalen ihrem alten Feind und neuen Freund das Horn wieder förmlich aufdrängen mußten, das Alles braucht nicht erzählt zu werden. Nur die Erklärung über die schier wunderbare „Wirkung in die Ferne“, d. h. von Zwickau nach Schneeberg, sind wir unseren Lesern noch schuldig: der Maurermeister F. ist der Bruder des Signalisten und hatte diesen mittelst des Telegraphen herbeigerufen. Es ist das wohl eine ganz einfache Geschichte, aber doch hat sie ein paar Menschen für ein paar der kurzen Erdenstunden sehr glücklich gemacht, – und darum darf sie hier stehen.

H.


Wachteln in der Wüste. Gegenüber den in letzter Zeit viel genannten Bocche di Cattaro liegt auf einem kleinen Felseneiland das österreichische Fort Punto d’Ostro. In Folge des Aufstandes der Bocchesen gegenwärtig stärker besetzt, als in früheren Jahren, enthält es zur Zeit eine Besatzung von hundertfünfzig Mann deutsch-österreichischer Soldaten, größtentheils Steirer. Diese Besatzung wird monatlich abgelöst und von acht zu acht Tagen mit allem Nöthigen versorgt. Beides geschieht von Cattaro aus, vermittelst kleiner Boote, weil das von den Wogen wild umbrauste Felsenriff – denn ein solches ist, streng genommen, gedachtes Eiland – für größere Schiffe gänzlich unnahbar ist. Bei heftigem Winde vermögen auf Punto d’Ostro auch kleine Boote nicht zu landen, und die Verbindung mit dem Festlande wird dann einzig und allein durch ein Telegraphenkabel vermittelt.

Ende April dieses Jahres lagen unter dem Befehle des Hauptmann Kaufmann etwa hundertvierzig Mann auf Punto d’Ostro. Das auch im adriatischen Meere überaus ungünstige Frühlingswetter wandte sich zum Bessern, und die halb eingekerkerten Krieger erhofften mit Sehnsucht den Letzten des Monats, welcher bestimmt war, sie nach dem Festlande zurückzuführen. Ihre entsagungsvolle Ausdauer sollte jedoch noch für einige Zeit auf die Probe gestellt werden. Der 29. April war festgesetzt, Ersatzmannschaften und neue Vorräthe zu bringen; zwei Tage vorher aber hatte sich Sirocco eingestellt, war im Laufe der Zeit zum Sturme angewachsen und wüthete ungeschwächt weiter.

Auf Punto d’Ostro sah es übel aus. Die Wellen umschäumten Eiland und Fort, bäumten sich zu immer größerer Höhe vor demselben auf, schlugen bis zur Laterne des Leuchtthurms empor und sandten ihre Sprühregen bis in das Innere des Forts. Die Besatzung machte sich auf längeres Verweilen gefaßt, willig zwar, jedoch keineswegs ohne Besorgniß, denn der Sturm schien noch immer im vollsten Wachsen zu sein, und die Nahrungsvorräthe waren fast gänzlich erschöpft. Drüben in Cattaro theilte man die Besorgniß.

„Wie geht es Euch, Cameraden?“ blitzte der Draht herüber, „habt Ihr noch Nahrung? Es ist unmöglich, Euch zu helfen.“

Die Antwort lautete, daß außer zwei mit Reis gefüllten Säcken noch ein wenig Brod vorhanden, alles Uebrige dagegen aufgezehrt sei; doch habe man glücklicher Weise wenigstens noch Wein und auch Tabak. Sobald eine Landung möglich erscheine, wolle man Kunde geben; zur Zeit sehe man ein, daß man in das Unvermeidliche sich fügen müsse, da kein Boot dem Felsen sich nähern könne.

Sehr unruhig wurde man in Cattaro, als auch am folgenden Tage der Sturm noch ebenso heftig tobte wie gestern und die Tage vorher, als von drüben immer noch keine Kunde kam, als man sich ausrechnete, wieviel wohl noch vorhanden sein könnte von den wenigen Nahrungsmitteln, mit denen das Volk in der Wüste gespeist werden solle, und die Besorgniß wuchs, als der nächste Tag noch stürmischer wurde als sein Vorgänger.

„Wie geht’s Euch, Cameraden?“ frug man hinüber wie Tags zuvor, obgleich man im Voraus überzeugt war, daß die Antwort nur ungünstig lauten könnte. Man bezweckte auch nichts Anderes, als den Kriegsgenossen wärmste Theilnahme auszudrücken. „Wie geht’s Euch, Cameraden?“

„Wir leben herrlich und in Freuden,“ lautete die Antwort, „der Tabak ist zu Ende und der Wein auf die Neige gegangen; aber an Nahrung fehlt es uns nicht mehr. Wir haben Fleisch in Hülle und Fülle schon seit gestern und sparen den Reis, so viel als immer möglich. Sie sind zu uns gekommen, die Wachteln in die Wüste. In allen Zimmern, auf allen Gängen sitzen die Leute, um die uns gewordenen Vögel zu rupfen, zu sieden, zu braten und mit Reis vermischt zu köstlichem Pilau zu verwenden.“

Und noch drei Tage lang blieb die Antwort dieselbe, drei Tage lang hatte man Lebensmittel genug; und als endlich am vierten Tage das Meer sich beruhigt und die Erlösten glücklich in Cattaro gelandet waren, da brachte jeder Einzelne noch reiche Beute mit sich. Und Hauptmann Kaufmann erzählte: Am Abend des 30. April vernahm die Mannschaft plötzlich, trotz des Sturmes, ein eigenthümliches, klappendes Geräusch vor den Fenstern, und als man nachsah, was es gäbe, bemerkte man auf allen Gesimsen ermattete, halbtodte und durch Anprallen an das Glas getödtete Wachteln. Und immer von Neuem brauste es heran, und als man die Fenster geöffnet, schwärmte es zu Dutzenden und zu Hunderte in die Zimmer herein, wahrscheinlich angezogen durch den hinausstrahlenden Lichtschimmer. Die Züge wiederholten sich im Laufe der Nacht noch mehrere Male, und die Menge der glücklich erbeutete Thiere war schon bei Anbruch des Morgens so groß, daß sie zur Nahrung der gesammten Mannschaft für mindestens zwei Tage ausreichen konnte. Als man am anderen Morgen die Runde machte auf dem Felsenriff, fand man es buchstäblich bedeckt von Wachteln In jeder Felsenritze, an jedem Stein saßen sie einzeln, paarweise, zu Dutzenden, in so hohem Grade ermattet von ihrem Kampfe mit Sturm und Wellen, daß sie sich ruhig greifen ließen oder höchstens laufend zu entkommen suchten. Es begann nunmehr eine allgemeine eifrige Jagd oder richtiger ein sorgfältiges Absuchen des Eilandes, dessen Ergebniß war, daß man die willkommene Beute scheffelweise nach Hause schleppen konnte. Die Wachteln in der Wüste hatten das Volk, wenn auch nicht vom Hungertode gerettet, so doch vor schwerer Entbehrung bewahrt.

Brehm.


 „Du Adler im Tann!“

Ein Eichbaum grenzt an den Tann im Süd
Und streckt hinein einen Zweig –
Der Eichenzweig, der im Tannwald blüht,
Er heißt „Deutsch-Oesterreich“.

Und auf dem Zweige horstet ein Aar,
Der Herrscher im weiten Tann,
Indeß sein Bruder und Grenznachbar
Den Wipfel der Eiche gewann.

Da, siehe, erspäht sich ein Geier die Zeit,
Zu nisten im Eichenlaub,
Längst weiß er die mächtigen Brüder entzweit
Und hofft auf leichten Raub.

Und Kriegsruf schallt durch den Eichenwald
Und zündet weit und breit –
Nur Einer, der Adler im Tann, bleibt kalt,
Ihm kämpft im Herzen ein Streit.

Du Adler im Tann, was blickst du so stier?
Zückst du im Stillen den Fang,
Weil der Bruder in blutigem Kampfe mit dir
Sich auf den Eichbaum schwang?

Gedenkst du im Herzen: „Er kränkte mich,
Es brennen die Wunden mir noch!“
O denke: Zwei Brüder schlagen sich
Und bleiben Brüder doch!

Und schlugt ihr euch auch die Flügel wund,
Thut’s nicht dem Geier zu Nutz,
Schließt lieber zusamm’ einen Bruderbund,
Einen Bund zu Schutz und Trutz!

Du Adler im Tann, entschließe dich recht,
Befrage dein edeles Blut,
Denn Adler, sie sind vom Königsgeschlecht,
Doch Geier sind Räuberbrut.

Und nisten sie sich, was Gott verhüt’,
Im deutschen Eichenwald ein,
So wird, o Adler, dein Tann im Süd
Ihr nächstes Opfer sein!

 G. v. Meyern.



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