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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Im Lager unserer Heere.
Von A. von Corvin.


Zweiter Brief.
Saarbrücken, den 9. August 1870.

Am 2. August Abends gegen zehn Uhr traf ich in Bingen ein und stieg im Victoria-Hôtel ab. Das Hôtel war mit Officieren und Aerzten angefüllt, die alle eifrig die Karte studirten, um die kleinen auf Seitenstraßen liegenden Dörfer aufzufinden, wohin sie am nächsten Morgen marschiren sollten. Ich ging zum Etappencommandanten, Hauptmann Lenz, welcher mir, nachdem er meine Papiere geprüft hatte, mit liebenswürdiger Bereitwilligkeit eine Fahrkarte auf meine eigene Visitenkarte schrieb, kraft welcher ich mit dem Militärzuge, welcher von Bingerbruck abgehen sollte, nach Birkenfeld reisen konnte.

Als ich das Hôtel verlassen wollte, sah ich einen Herrn in den Speisesaal treten, welcher mir ein Engländer zu sein schien, meine Vermuthung wurde vom Oberkellner bestätigt, ohne daß dieser mir indessen seinen Namen anzugeben wußte. Mir kam das Gesicht jedoch bekannt vor; ich sah genauer hin und erkannte William Howard Russell, den berühmten Correspondenten der London Times, mit dem ich manchen vergnügten Abend in Washington zugebracht hatte.

Herr Russell ist ein Mann von mittlerer Größe mit einem angenehmen, sorgfältig gepflegten Gesicht, welches durch einen etwas ergrauten militärischen Schnurrbart geschmückt ist. Er war ganz in helles Grau gekleidet und trug eine elegante Art von Blouse von demselben hellgrauen Wollenstoff und ein wollenes Hemd ohne Kragen und Halsbinde, was mit meinen Ansichten so vollkommen übereinstimmte, daß ich – wenn die schnellen Bewegungen der deutschen Armee dem Schneider Zeit lassen – mir einen ganz ähnlich zweckmäßigen Anzug machen lassen werde. Der berühmte College ist eine sehr gewinnende Erscheinung und hat die Manieren eines Mannes angenommen, der sich viel in der Gesellschaft hochgestellter Personen befindet. Er spricht sehr ruhig und mit fast weiblicher Zartheit und mild freundlichem Gesichtsausdruck. Für einen Deutschen liegt darin ein klein wenig Affection, allein sie macht keineswegs einen lächerlichen, sondern im Gegentheil einen sehr angenehmen Eindruck.

Herr Russell freute sich, mich wiederzusehen, und wir tauschten unsere Karten aus. Er war im Begriff, zum Hauptquartier des Kronprinzen abzugehen, und wartete nur auf seinen Wagen, an dem der Sattler noch etwas machen mußte. Er kam von Berlin oder Potsdam, wo er eine Audienz bei dem Könige gehabt hatte, der ihn sehr liebenswürdig empfing. Herr Russell hatte einen jungen Lord bei sich, der sich den Krieg ansehen wollte und den er unter seinen Schutz genommen hatte. Ich hatte leider keine Zeit mehr, mit Herrn Russell zu reden, und wir schieden mit der Hoffnung, später irgendwo auf einem Schlachtfelde zusammenzutreffen.

Ich hatte in Bingen Glück. Der Bahnhofsinspector, der geplagteste Mann in jener Zeit, war die Liebenswürdigkeit selbst, ich erhielt ein Coupé zweiter Classe ganz allein für mich. Der Zug beförderte ein Bataillon vom einundvierzigsten Regiment, welches zum ersten Armeecorps gehört und von Königsberg kam. Es bestand aus meinen Landsleuten, denn ich bin ein Gumbinner, und ich wurde bald populär mit Officieren und Soldaten. Die Reise bis Kreuznach ging sehr schnell, allein von da ab hielten wir an verschiedenen Stationen lange und häufig an. Diese Aufenthalte waren indessen keineswegs unangenehm, denn überall hatten sich große Volksmengen versammelt, welche die Soldaten mit jubelnden Zurufen nebst enthusiastischen Würsten und patriotischen Bierkrügen empfingen. Die Musik stieg gewöhnlich aus und ergötzte die Menge durch patriotische Lieder und Märsche und lustige Melodien aus „Pariser Leben“ und „schöne Helena“. Die Ostpreußen waren in der allerbesten Laune, denn ihre Reise durch ganz Deutschland glich einem Triumphzug. Sie brannten vor Begierde, sich mit den Franzosen zu messen.

Ich gab meinen Nachtsack einem jungen Manne, der mit dem Zuge gekommen war und der sich meldete, als ich fragte, wer etwas verdienen wolle. Er war ein Porcellanmalergehülfe von Andernach, dessen Geschäft durch den Krieg stockte, denn wer hätte jetzt Lust, sich etwas malen zu lassen. Er ging nach Birkenfeld, um den Versuch zu machen, als Krankenpfleger oder Träger auf dem Schlachtfelde anzukommen.

Bald hinter mir im vollen Regen kamen denn auch die Einundvierziger an, deren zwei andere Bataillone gleichfalls noch denselben Abend eintrafen. Obwohl die Birkenfelder auf eine Einquartierung von dreitausend Mann gar nicht vorbereitet waren (die Stadt hat noch nicht ganz dreitausend Einwohner) und die Soldaten ohne Verpflegung einquartiert waren, also kein Essen zu beanspruchen hatten, so gab es doch keinen Hauswirth, der, was er hatte, nicht mit den Soldaten getheilt hätte.

Im Gasthofe logirte auch eine junge Dame, die mit dem Militärzuge von Bingerbruck gekommen war, sich aber unterwegs nicht gezeigt hatte. Sie war eine ebenso liebenswürdige als verständige und entschlossene junge Frau, die ihrem Bruder nachreiste. Sie hatte ihn seit beinahe zwei Jahren nicht gesehen und war nun eben angekommen, als er gerade mit seiner Compagnie ausmarschirt war. Kein Mensch konnte ihr Auskunft geben, wo das Corps des Hauptmanns stand; allein sie verlor den Muth nicht und kam von Pommern bis Birkenfeld glücklich durch. Sie war eine Frau Ellen v. ***, eine junge Wittwe, und es versteht sich von selbst, daß Corvin augenblicklich bereit war, die Dame in ihrem Vorhaben nach Kräften zu unterstützen. Als ich sie jedoch am nächsten Morgen gar nicht zu sehen bekam, überwog correspondenzliches Pflichtgefühl die Galanterie, und ich fuhr mit dem Postomnibus nach Station Birkenfeld ab. Unterwegs begegnete mir „Excellenz Bentheim“, der Divisions-Commandeur mit seinem ganzen Stab, der in der Nacht der Gefahr, zerschmettert zu werden, glücklich entgangen war. In Bingerbruck rannte nämlich eine wildgewordene oder angekneipte einzelne Locomotive in den Militärzug, zertrümmerte ein paar Coupés und richtete einigen Schaden an, der aber hätte bei weitem noch größer sein können. Zwei Soldaten wurden beschädigt und ein Pferd getödtet.

Militärzüge gingen nur nach Türk’s Mühle, von wo die Post nach Trier am Nachmittag vier Uhr abfahren sollte. Ich beschloß daher, die paar Stunden zu Fuß zu gehen. Mit einem Manne aus der Gegend, der meinen Nachtsack trug, stiefelte ich wohlgemuth den reizenden Weg entlang. Dicht bei Türk’s Mühle, am letzten Hause, stürzte ein etwas angesäuselter Soldat heraus, dem mein Gesicht nicht gefiel, was offenbar schlechten Geschmack verräth. Er witterte etwas Spionartiges und wünschte meine nähere Bekanntschaft zu machen. Er wollte mich „irgendwo“ in Königsberg gesehen haben. Als der Mann unangenehm wurde, wurde ich ungeduldig und bat ihn, sich nicht unnütz wichtig zu machen. Er sei nicht im Dienst und habe mich gar nichts zu fragen. Sei er neugierig, so möge er an den Bahnhof gehn und seine Vorgesetzten fragen, wer ich sei; er brauche es nicht zu wissen. Er ging brummend ab.

Als wir in der Nähe des Bahnhofes bei Türk’s Mühle ankamen, fuhr eben ein Zug nach Birkenfeld ab, auf dem sich sieben französische Gefangene befanden, die nebst drei anderen, die nachkamen, gebührend von den Eingeborenen angestaunt wurden. An der Post sah ich zwei Herren, von denen der eine jüngere den durchaus englischen Typus hatte. Schönes Gesicht, etwas langen Hals und lange Beine und einen blousenartigen wollenen Rock, ähnlich dem Russell’s. Ich hielt die Herren für Correspondenten englischer Blätter und machte bald mit ihnen Bekanntschaft. Der ältere war ein Künstler, der die ganze Welt bereist hatte und acht Sprachen fließend sprach. Er redete deutsch wie ein Deutscher, während sein junger Gefährte, ein englischer Husarenofficier, unsere Sprache nicht verstand. Beide Herren kamen von Saarbrücken und hatten das dort am Zweiten stattgehabte Gefecht sehr nahe mit angesehn, was natürlich mein großes Interesse erregte.

Erst gestern Abend bekam ich den Bericht des Generals Frossard an Napoleon in dem „Temps“ zu sehen. Ich sah nie ein lustigeres Lügendocument, welches ich der Aufmerksamkeit aller Leser empfehle. Sie werden den wahren Hergang der Sache bereits kennen und ich kann mich kurz fassen. Hinter Saarbrücken erheben sich verschiedene Hügelketten und zunächst der Winterberg und der Exercirplatz. All’ diese Berge und die weiter dahinter liegenden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 539. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_539.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2019)