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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Besitz dieser Herrschaft, und wenn auch das nicht der Fall wäre, so könnte doch die Justiz Sie noch nicht autorisiren, so ohne weiteres zu einer Besitzergreifung und Ausübung der Patrimonialgerichtsbarkeitsrechte zu schreiten, die …“

„Nun, so schreite ich ohne Autorisation der Justiz dazu, mein Herr Richter,“ rief das aufgeregte junge Mädchen aus und schritt an dem Richter und seinem Schreiber und den sie mit allen Zeichen der Ueberraschung anstarrenden übrigen Anwesenden vorüber auf Ulrich’s Zimmer zu, öffnete die Thür, trat ein und schloß sie wieder hinter sich zu.

Der Richter wagte nicht, oder fand keine Gründe, dies tête-à-tête zu stören; er blickte ihr nur so verdutzt wie die Anderen nach; blos der Pastor Demeritus rief aus:

„Aber ich bitte Sie, Herr Richter, schicken Sie doch dies französische Frauenzimmer zum Henker! Die Herrin von Maurach ist Niemand Anderes als meine Nichte, die Thurmschwalbe! Und sie wird ihr Recht schon zu wahren kommen!“




15.

Graf Ulrich Maurach saß in seinem Schlafzimmer; er saß, wie wir ihn verlassen haben, auf seinem Bette, starr zu Boden blickend. Joseph war vorher dagewesen; er hatte ihm sein Frühstück gebracht, das unangerührt auf einem Nebentische stand; er hatte die Blendläden vor den Fenstern aufgeworfen, so daß jetzt das helle Tageslicht eindrang. Dies Licht fiel auf die Züge des Grafen und zeigte sie bleich. Der Reflex der grünen Bettvorhänge machte sie doppelt bleich, sie sahen aus wie zu Stein erstarrt. Als Melusine so rasch und plötzlich eintrat, erhob er den Kopf; die Versteinerung wich, die Brauen zogen sich zornig zusammen, sein Auge flammte auf, dabei zuckte und gewitterte es um seine sich öffnenden Lippen. Aber die Lippen schlossen sich wieder, und als sie nun so plötzlich wie drohend vor ihn trat, sagte er nur: „Sie?! Was wollen Sie bei – einem Mörder?“

„Mit ihm reden,“ antwortete sie; „noch einmal mit ihm reden, offen, geradeaus, vom Herzen weg!“

„So haben Sie noch nicht Geständnisse genug von mir? Fehlt noch etwas dran? Ach ja! Wohl noch, wohin ich die Leiche der von mir gemordeten Thurmschwalbe geschafft?“

Melusine fixirte ihn eine Weile, ohne zu antworten. Mit hochwogender Brust stand sie vor ihm; dann, als ob plötzlich ihr Muth wieder zusammenbreche, die Hoffnung, mit diesem starren Menschen je fertig zu werden, ihr schwinde, wandte sie sich ab und ließ sich auf einen ihm gegenüberstehenden Stuhl an der Wand sinken.

„Das möchte ich in der That von Ihnen hören,“ sagte sie bleich, die Lippen beißend. „Sie haben also auch das junge Mädchen ermordet? Sie … wirklich … Sie?“

„Wenn es eine Befriedigung für Sie sein kann, dies zu glauben – weshalb nicht?“

„Und bei dieser Weise, sich auszusprechen, wollen Sie bleiben? Sie wollen wirklich sich durch diesen höhnischen Trotz verderben, Sie wollen uns empören dadurch, Sie wollen nichts, gar nichts thun, den Verdacht zurückzuweisen, der auf Ihnen lastet …“

„Nein!“ sagte Graf Ulrich scharf „Entweder bin ich unschuldig, dann bin ich zu stotz, mich zu vertheidigen; oder ich bin schuldig, dann bin ich zu stolz, zu leugnen. Was wollen Sie noch?“

„Ich will aber, daß Sie sich vertheidigen! Hören Sie, ich will es!“ rief Melusine, wieder heftig werdend, aus. „Ich will Ihnen Alles verzeihen, was Sie im Uebermuth Verletzendes, Beleidigendes gesagt haben, was Sie gethan, um mich zu kränken; alle die Geringschätzung, die ich von Ihnen erfahren, will ich vergessen. Aber ich will nicht, daß Sie mir in’s Gesicht sagen: es liegt mir nicht das Mindeste daran, was Du von mir denkst, ich fühle eine Erniedrigung in jedem Worte, das ich sprechen könnte, um in Deinen Augen gerechtfertigt zu sein. Kurz, ich will, daß Sie reden, Graf Ulrich, hören Sie, ich will es!“

„Und wenn ich es nicht thue?“

„Nun dann, dann,“ rief Melusine außer sich vor Zorn auffahrend, „dann werde ich als Zeugin wider Sie auftreten, ich werde Allem die gehässigste Deutung geben …“

„Thun Sie das nicht ohnehin?“

„Ich werde,“ fuhr sie fort, „erzählen, wie Sie gedroht haben, einen etwaigen Prätendenten, der zwischen Sie und ihren Besitz träte, tödten zu wollen. Haben Sie das nicht ausgesprochen? Ja, und ich werde Alles thun ...“

„Um mich hinrichten, hängen, guillotiniren, rädern zu lassen!“ rief Ulrich sarkastisch dazwischen.

„Ja, ja, dreimal ja, ich werde es; ich werde es, wenn Sie mir nicht offen Rechenschaft geben, was Sie in der verflossenen Nacht gethan, wo Sie gewesen, wie Ihre Abwesenheit in den Stunden, wo der unselige Mord geschah, zu erklären ist!“

„Ich werde Ihnen das nicht erklären, und wenn ich auch zehntausend Tode darum sterben müßte. Und wenn ich auch gefoltert würde bis auf’s Blut, ich würde es Ihnen nicht sagen. Eher würde ich die Zunge mir abbeißen, als einen Laut darüber Ihnen zu verrathen!“

„Nun dann, bei Gott, ist’s nicht meine Schuld, wenn Sie verderben, denn Ihr Blut kommt über Sie selbst!“

„Ihre Schuld? Wer spricht von Ihrer Schuld? Sie halten mich für einen Mörder wie alle Anderen es thun. Was für eine Schuld fiele dabei auf Sie? Nein, nein, Sie können jetzt mit sehr ruhigem Gewissen Schloß Maurach, das mir nicht mehr gehört, in Besitz nehmen und …“

„Sie wußten also sehr wohl, daß wir, daß mein Vater und ich die nächsten Erben seien? …“ fuhr Melusine ihm in’s Wort.

„Ich wußte es. Frau Wehrangel hat es gestern mir gesagt; als sie mir mittheilte, daß sie die Anverwandte Walram’s von Maurach sei, die man für todt gehalten … Sie hat mir gesagt, daß nach ihrem Rechte das Ihrige komme …“

„Und dann, noch in derselben Stunde, boten Sie mir Ihre Hand an!“ rief Melusine mit dem Tone bitterer Verachtung aus.

„Ich that es. Sie sehen, wir haben uns einander in einer Weise beleidigt, daß kein Friede mehr zwischen uns möglich ist! Haben Sie mir sonst noch etwas offen und geradeheraus zu sagen?“

„Nein! Nichts mehr!“ antwortete Melusine, außer sich vor Empörung und Zorn.

Sie stand auf und ging.

Mit einem bösen Zucken um die festgeschlossenen Lippen sah Graf Ulrich ihr nach.

„Wahrhaftig,“ sagte er dann, auffahrend und mit dem Fuße auf den Boden stampfend, „ich habe dies nicht um dies Geschöpf verdient! Und das, das ist’s, was mich bei dieser entsetzlichen Geschichte um den Verstand bringt, was mich toll macht, was mich in Versuchung bringt, mich todt zu schießen!“




16.

Es war seltsam, nicht blos die Thurmschwalbe war spurlos verschwunden, auch der junge Caplan war es. Er war nicht zum Morgengottesdienst in die Kirche gekommen; als der Pfarrer aus diesem heimkehrte, fand er des jungen Mannes Zimmer leer. Niemand im Hause wußte, wo er war; Niemand hatte eine Ahnung, wann und wie er so unbemerkt fortgegangen sein könne, wenn er nicht etwa in der Nacht oder frühesten Frühe durch sein offenstehendes Fenster gesprungen. Der Pastor Lohoff, der eben aus dem Schlosse zurückkam, half mit einem ganz auffallenden Eifer und wie erschrocken über diesen Zwischenfall ihn suchen; er durchstöberte auch sein Zimmer, und endlich, da keine Spur zu entdecken war, wollte der Pfarrer zum Schlosse eilen, um dem dort beschäftigten Richter diese Thatsache mitzutheilen, aber der Pastor Lohoff stemmte sich aus allen Kräften dawider.

„Mein Gott, sehen Sie denn Nicht ein,“ rief er aus, „daß daraus nichts Anderes folgen wird, als daß man sagt, Ihr Caplan sei mit dem Mädchen durchgegangen? Mischen Sie doch nicht zwei Sachen durcheinander, die nicht zusammengehören! Denken Sie an das Aergerniß, welches daraus für die Kirche …“

„Ich habe Sie sonst nicht so ängstlich gefunden, Aergerniß auf die Kirche zu bringen!“ sagte der Pfarrer bitter. „Ich glaube, daß es meine Pflicht ist, sogleich die Anzeige zu machen, nach dem, was diese Nacht drüben im Schlosse geschehen! Ohnehin wird es bald genug dem Richter zugetragen werden, und es würde zu dem Aergerniß, welches Sie befürchten, nur noch ein zweites kommen, wenn wir die Sache verheimlichen wollten!“

„Nun dann,“ versetzte der Pastor Demeritus erregt, „dann will ich Ihnen den Weg ersparen und selbst gehen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 550. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_550.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)