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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

nothwendig es ist, daß Du mit mir kommen, daß wir zurückkehren müssen, daß Du gestehen mußt, was Du erlebt und wessen Zeuge Du geworden! Du kannst, Du darfst nicht einen Verdacht auf einem Unschuldigen ruhen lassen –“

Der Pastor aber sprang jetzt auf, er stieß den jungen Geistlichen bei Seite, und sich zwischen ihn und Annette werfend, rief er aus:

„Sind Sie toll? – Keinen Schritt geht sie von hier, keinen Schritt – und auch Sie gehen keinen, auch Sie nicht, oder …“

Der junge Geistliche trat, betroffen von diesem plötzlichen Ausbruch des älteren Mannes, aus dem die Aufregung ein ganz anderes Wesen geschaffen zu haben schien, zurück; dann aber sagte er, ruhig den Arm des Pastors ergreifend und diesen mit seiner zehnfach überlegenen Kraft umspannend:

„Sie sind außer sich, Pastor! Ich achte Ihren Schmerz, aber nur so lange Sie nicht den Wahnsinn haben, uns hier Befehle geben zu wollen!“

„Sie wird nicht gehen, um ihren Vater als Mörder anzuklagen, und auch Sie, Sie werden es nicht,“ schrie der Pastor dagegen, „oder ich mache Sie unglücklich für ewig! Trotzen Sie mir nicht, oder ich mache Sie zu dem, was ich selbst bin, zu einem verachteten ausgestoßenen Menschen, zu einem schlechten, sittenlosen Pfaffen, zu dem verachtetsten Geschöpf auf dem Erdenrund! Sie mögen ein Heiliger sein in Ihrem Herzen, jeder Tropfen Blutes in Ihren Adern mag so goldrein, jeder Gedanke Ihres Gehirns mag so edel und groß sein wie die Gedanken des Erlösers, jeder Pulsschlag in Ihrer Brust so warm für die Menschheit glühen wie das Herz Christi – was wird es Ihnen helfen, wenn ich wider Sie auftrete und sage: ‚Sie haben dies Weib hier geliebt! Sie haben gesündigt, Sie haben den Befehl eines Pfaffen, der vor tausend Jahren lebte und die Menschennatur zu verkrüppeln unternahm, übertreten!‘ Jedermanns Hand wird wider Sie sein, man wird Sie ausstoßen aus dem Kreise derer, die sich ehrliche Leute nennen und die, welche gläubige Christen heißen, werden Ihnen ihre Thore schließen, bis Sie, vertrieben und vogelfrei, elend verhungern. Gottlob, diese elende erbärmliche Welt ist so eingerichtet, daß auch unser Eins einmal einen Vortheil davon hat! Sehen Sie nun, daß ich Ihnen befehlen, daß ich Sie zwingen kann, daß ich Ihr Schicksal in meiner Hand habe wie das einer Fliege, die ich zerdrücken kann? Und wenn Sie, Sie selbst sich nicht beugen wollten unter das, was ich Ihnen befehle, Sie müßten es um dieses Mädchens willen! Oder soll die Welt ihr nachsagen, sie sei die Geliebte eines Pfaffen gewesen?“

Der junge Geistliche fiel wie gebrochen auf einen an der Wand stehenden Schemel.

„Sie sind ein böser, schlechter Mensch!“ sagte er mit bleicher zitternder Lippe.

„Böse? Nun ja! Ich vertheidige meinen Bruder. Das ist böse und schlecht, freilich! Wenn ich den Gerichten beistände, ihn zu fangen, ihn zu überführen, wenn mein Zeugniß ihm an den Galgen hülfe, dann wäre ich ein redlicher, gesetzmäßiger Staatsbürger! Aber ich kümmere mich nun einmal den Henker darum, ob man mich so nennt! Ich steh’ diesem elenden Hunde von Mörder bei, der mein Bruder ist, den die Welt und die Menschen zu dem gemacht haben, was er ist, wie sie mich dazu gemacht haben. Mir haben sie die Platte geschoren und mir gesagt: ‚Nun sei ein Heiliger, hab’ kein Blut mehr in Deinen Adern, kein Herz mehr in Deiner Brust, bleibe allein und einsam Dein Lebenlang, und vertreibe Dir den öden Tag damit, der Menschen Dummheit durch Aberglauben zu mehren; finde Dein Glück im Apostolat des Blödsinns!‘ Und ihn, ihn, den Mörder, hat die Welt gehetzt und umhergeworfen, sein Weib hat ihn verlassen, sie hat ihn verleugnet und von sich gewiesen; sie hat sich in den Schutz der Macht und des Reichthums wider ihn, den Darbenden, geflüchtet; und als die Stunde gekommen, wo ihr selber Macht und Reichthum in den Schooß gefallen, da hat sie in ihrer Tücke wider ihn sich und ihr Kind dem Allen entzogen, es von sich gewiesen und es lieber einem wüsten Gesellen, einem fremden Abenteurer in die Hände fallen lassen, als an sich zu nehmen, was ihr gehörte – nur um nicht mit meinem Bruder zu theilen, nur um ihn nicht das Glück erfassen zu sehen, nach dem er schon die Hand ausstreckte, nur um in ihrer Rachsucht wider ihn zu schwelgen, in ihrer unversöhnlichen tückischen Rachsucht, wie nur ein Weib sie hegen kann! Und wenn er nun im Kampfe mit ihr von dem bittern Gefühl dessen, was er durch sie gelitten, von der Leidenschaft übermannt, dies Weib erschlagen, erwürgt, erstochen hat – ist etwas daran, was mich von meinem Bruder reißen kann? Ein Verbrechen ist’s, eine Dummheit, eine schändliche That meinethalb – aber hebt es die Natur auf? Nein, nein, zehn mal nein – mag er einen Mord begangen haben, er bleibt mein Bruder und er bleibt Dein Vater, Mädchen, und eher erdrossele ich Dich, ehe ich zugebe, daß Du die Hand hebst zum Zeugniß wider ihn!“

(Fortsetzung folgt.)




Das Füsilier-Regiment Nr. 39.
Ein Briefauszug mit Abbildung.

„Sie werden,“ schreibt uns am 11. August der geniale Schlachtenmaler Chr. Sell in Düsseldorf, der Schöpfer des bekannten, vom König von Preußen angekauften, großen Bildes ‚die Schlacht von Königgrätz‘, „Sie werden meine letzte Zeichnung empfangen haben. Es stellt den Ausmarsch des Niederrheinischen Füsilier-Regiments Nr. 39 aus Düsseldorf vor, und ich habe den Augenblick gewählt, wo dasselbe, die Musik an der Spitze, das jenseitige Ufer des Rheins betritt, empfangen vom Stabe der vierzehnten Division. Das Regiment stand hier in Garnison und war äußerst beliebt, vor Allem das Officiercorps, das mit den Einwohnern, und namentlich mit uns Künstlern, auf dem besten Fuße stand. Ganz Düsseldorf war deshalb auf den Beinen, als die braven Leute abrückten und jubelnd die Abschiedsgrüße der Menge erwiderten, die ihnen immer und immer wieder ein ‚Frohes Wiedersehn nach dem Siege‘ zujubelte.

Der Sieg ist nun errungen, aber das Wiedersehen dürfte weniger froh ausfallen. Das Regiment hat sich bei Saarbrücken mit unvergänglichem Ruhme bedeckt, doch es hat auch furchtbar gelitten, und wenn die Nachrichten wahr sind, die uns soeben zugehen, sind die Verluste sehr bedeutend. Fast die Hälfte der Officiere ist todt oder verwundet. Der Spicherer Berg, durch viele Klüftungen und steile Abhänge kaum ersteigbar, durch Chassepots und Mitrailleusen zu einer wahren Festung umgewandelt, wurde drei Mal von diesen Wackeren gestürmt. Drei Mal von der Uebermacht zurückgedrängt, stürmten sie trotzdem wieder und behaupteten die Höhen. Ein einziges Bataillon soll bei dieser Gelegenheit zwölf Officiere verloren haben. Unser Vaterland wird mit Stolz auf diese Helden schauen! –

Nächsten Sonntag werde ich endlich zur Armee abreisen und zuerst in Saarbrücken Halt machen. Von dort aus werde ich mich der Armee des General Steinmetz anschließen und Ihnen dann regelmäßig Zeichnungen einsenden. Der Fürst von Hohenzollern hat mir in der liebenswürdigsten Weise die besten Legitimationen und Empfehlungen mitgegeben, so daß ich überall zugelassen werde. Es wird mir eine große Freude sein, für Ihre Gartenlaube die interessantesten und malerischesten Motive und Scenen ausführen zu können.“ –

Wir dürfen also unseren Freunden etwas Ausgezeichnetes versprechen und bitten wiederholt nur um ein wenig Geduld.





Eine Recognoscirung auf der Unter-Elbe.
Von unserem Special-Correspondenten A. Dk.

Von zwei bis sieben Uhr Nachmittags, beinahe zweiundzwanzig Meilen weit, bei der angenehmen Temperatur von circa neunundzwanzig Grad Réaumur im Eisenbahncoupé gebraten, denn dasselbe glich einer Backstube, dann mit dem nämlichen Zuge achtunddreißig weitere Meilen durchflogen, als ob der Gottseibeiuns selber die Locomotive geheizt hätte, traf ich, achtzehn Stunden später, als ich von Ihnen Abschied genommen, in der alten Hansestadt ein. Es war ein wonniger, stiller Sommermorgen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 552. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_552.jpg&oldid=- (Version vom 28.1.2019)