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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

so recht geeignet, die Brust vollzusaugen an der würzigfeuchten Luft, die die prachtvollen Promenaden, mit denen Hamburg umgürtet ist, aushauchen, wenn man sich nicht jeden Augenblick hätte daran erinnern müssen, daß man ausgezogen, um einem Schauplatze nahe zu sein, auf dem die Furien eines blutigen, brutal vom Zaune gebrochenen Krieges jeden Augenblick ihren gräßlichen, markerschütternden Tanz beginnen mußten. Demnach weiter, weiter, nothdürftig gesäubert und erquickt durch eine Bowle des superben Kaffee, süß wie die Liebe, heiß wie die Hölle, schwarz wie der Teufel und stark wie hundertjähriger Malvasier – wie man ihn dort zu trinken gewohnt ist, und das feurige Roß schleppte mich gleich nach sechs Uhr Morgens keuchend vorwärts nach dem idyllischen Blankenese, in dessen weißen, zierlich gebauten Bahnhof wir gleich nach siebeneinhalb Uhr einfuhren. Die Journalistenmappe unter dem Arm, den Waggonquetscher möglichst bequem in’s Gesicht gerückt und in Hemdärmeln, denn die Sonne sandte bereits ihre glühenden Strahlen über die baumlosen, noch zum Theil mit reicher Ernte bestandenen Aecker, die ich querfeldein passiren mußte, trabte ich dem mir wohlbekannten Schleichweg, am Baur’schen Garten entlang, zu, um zu dem in üppigem Grün halb versteckten traulichen Sommerhäuschen meines alten Freundes Jens Hinrichs P-n, am Fuße des Süllberges, zu gelangen; ich hatte ihm von Leipzig aus Avis geschickt und er konnte mich daher stündlich erwarten.

Die hellklingende Strandglocke hob gerade zum Achtuhrschlag aus, als ich vor dem grünangestrichenen Gitter stand; ich öffnete die Thür (an der Niederelbe kennt man das Verschließen der Gatter etc. nicht!) und ließ mit wohlgestärkter Lunge den Ruf erklingen, der einen schon im Sterbe liegenden echten Seemann wieder in’s Leben zurückruft: „Ship ahoi! Alle Hände auf Deck!“ Keine drei Secunden und ein gellender Pfiff aus der mir wohlbekannten silbernen Hochbootsmannspfeife war mir die Quittung, daß meine phonische Depesche richtig an ihre Adresse gelangt war. Zugleich beschnoberte mich Lady Eugenie, die riesige Newfoundländerin, die mich in ihrer Erkennungsfreude beinahe umgerissen hätte, während ihr fast noch größerer Herr Gemahl, Mylord Lulu, sich möglichst graziös auf den Rasen hingelümmelt hatte und jedenfalls das Aeußerste der gastlichen Höflichkeit erfüllt zu haben vermeinte, daß er langsam mit der buschigen schwarzen Ruthe wedelte.

Jetzt trat mir Jens Hinrich entgegen, wie immer in weiten leinenen Pantalons und dito kurzem Rock, ein wahrhaftes Ungeheuer von Panamahut auf dem wollkrausen, rabenschwarzen Haupte. Seine brennenden Augen blitzten mir freundlich aus dem dunkelbraunen Mulattenantlitz entgegen.

„Na, ohle Lannradde, büst Du endlich ankamen?! Gott verd… mi, ück war güstern all up’n Bahnhof buten in Hamburg, hewwt das ohle Pierd anspannt, aber we nich kam, dat was mien ohle Fründ, de Tintenklexer! Na, segg bi, smeet af, mien Jong!“

„Konnte beim besten Willen nicht früher kommen, Jens Hinrich, hatte mit Hrn. Keil noch so allerlei zu klönen, bis uns die Ankunft des Königs Wilhelm in seinem Hauptquartiere an die übernommenen Verpflichtungen gemahnte und mich aus dem gemüthlichen Leipzig forttrieb.“

„Töw ’mal, Leipzig, dat is ja wohl die grote sächsische Seestadt, wo sie die schoinen zweiundzwanzig Verse drup gedichtet haben. Se leggt ja wohl an de Kräg’ oder Elster, oder wie de Vagel heet?!“

„Du hast Recht, doch laß jetzt Deine Späße, die Du mir Abends bei Sagebiel im Fährhause zum Besten geben kannst. Kommen wir gleich zur Sache! Wie steht’s mit Deinem eisernen Renner, ‚the Outrigger‘, ist er seeklar? Maschine, Raum und Deck in Ordnung?“

„All right, mien Jong, neu gewaschen und geputzt, wie eine smucke Pige“ (dänisch, Jungfrau).

„Das ist mir lieb, denn ich hab’s zuerst ziemlich eilig, muß Sonnabend Abend spätestens dem Postkasten etwas in den Schlund schieben.“

„Hm! Dann mööt wir um sieben Uhr hüüt Abend anheizen und gliek nach neun Uhr in See stechen; ick glöw aber kaum, daß wir viel zu sehen krägen, de gottv… Franzos scheint keine rechte Courage zu haben.“

„Bist Du bereits vor mir die Watten hinunter bis hinter Glückstadt gewesen und hast Dich etwas umgethan?“

„Bis Glückstadt? No, mien Jong, aber bis hinter Cuxhaven, bis beinahe an Insel Neuwerk heran.“

„Und hast von der vielbeschrienen Franzenflotte nichts gesehen? Ihre Kanonenboote, so erzählt man sich im Binnenlande, sollen ja in einer förmlich geschlossenen Reihe unsere Elbe schließen.“

Jens Hinrich schlug ein helles Gelächter auf.

„Was man Euch Landratten nicht Alles aufbinden kann! Ich glaube, wenn man Euch erzählte, in der letzten Nacht ist der große Michaelisthurm in Hamburg gestohlen worden – es giebt Leute, welche, wenn auch verstohlen, auslugen, ob’s wahr ist. – Mien Jong, um unsere Elbe zu sperren, dazu gehört mehr als die paar eisernen Rumpelkasten, die die wälschen Hallunken hier sich herumtreiben lassen, damit sie in dem ihnen gänzlich unbekannten Wasser sich gelegentlich gründlich festlaufen können. Habe ja in voriger Woche selbst ein Ding, so ungeschickt gebaut, daß der Werftmeister hundert Ellen Tauende auf den Rücken verdiente, auflaufen sehen und drei andere von seinem Caliber quälten sich ab, den plumpen Gesellen wieder flott zu kriegen, was ihnen denn auch am zweiten Tage gelang. Du mußt nicht vergessen, mien Jong, daß von Cuxhaven nach Brunsbüttel hinüber ein banniges Stück Wasser ist, dem hier und da ein ganz ansehnliches Sandgebirge angeschoppt ist.“

„Wenn es den Franzosen aber gelänge, tüchtige Elblootsen zu ködern? So viel ich weiß, bezahlen sie in schönem, blankem Golde!“

„Lootsen, hm! Nun ja, wenn! … Sieh, mien Jong, unsere Leute hier an der Ebe hinunter sind durchweg ein Schlag aus dem gröbsten Holze, kurz angebunden, aber keiner Hundsfötterei fähig. Dazu sind sie nicht geldgierig genug und haben unseren Herrgott im Leibe. Geh Du durch ganz Süderdithmarschen und sprich mit ihnen, Du wirst Wunderdinge hören über ihre Gesinnungen, hören, daß einem dösköppigen Franzosen, wenn er dabei stünde, die falschen Katzenaugen übergehen würden, so wahnsinnig beliebt ist er dort. Der Einzige, der ihm vielleicht helfen könnte, die Elbe zu forciren, wäre de gammel Hannemann, der Däne, zu dem er auch am besten paßt, denn bis heute ist es noch nicht festgestellt, wer von Beiden der größere schurkische Lump ist.“

„Wie kommen aber gerade die Dänen dazu, hier auf der Elbe, die ihnen doch seit fast sechs Jahren so fern liegt …“

„Will ich Dir auseinanderkalfatern, mien Jong, aber mi ward die Kehle trocken.“

Er zog die silberne Pfeife hervor und ließ einen dreifachen Pfiff gellen. Katrin, die dicke Wirthschafterin mit der schneeweißen Schürze, erschien in der Thür.

„Watt giwwt et; Herr Kaptein?“

„Dummen Snack en lütten Fröhstück, dat heet, nich tau lütt, es künnt jümmers een paar Tons Oeberfracht dabi sien.“

„Weet all, Herr Kaptein!“

In wenigen Minuten stand ein Imbiß auf dem Tisch, wie ihn die „smarteste“ Capitainskajüte nicht besser aufzuweisen vermag. Ein mächtiger rosenrother holsteinischer Schinken, dazu die köstliche Butter aus den Marschen, eine Schüssel mit kalten Beefsteaks, ein fast drei Fuß langer Viertellachs, Chesterkäse von der tadellosesten Isabellfarbe, Spintbrod und frische Rundstücke, und hinter dem Cognacflacon mit silbernem Stöpsel die unvermeidlichen vier Rothspohnflaschen mit der achtbaren Etikette „Chateau Léoville“

„So, mien Jong, alle Hände up Deck.“

Während ich des Leibes pflegte, denn im Norden hat man, namentlich nach flotter Bewegung, stets doppelt so viel Appetit, als im Binnenlande, fuhr, nachdem er sich die Kehle mit einem Römer fränkischen Rebenblutes gereinigt, Jens Hinrich fort: „Sieh, mien Jong, mit den dänischen Lootsen ist das so! Du wirst Dich erinnern, daß von langer Hand her, nachdem sie von Kopenhagen aus die Glückstädter Festungswerke hatten schleifen müssen, bis sie endlich 1864 für immer von der Elbe Abschied zu nehmen gezwungen waren, sie drei Zoll-Wachtschiffe, Lootsenkutter eigentlich, vor Altona, Glückstadt und weiter unten hinter Brunsbüttel aufgestellt hatten, um den Schmuggel von drüben, von der hannoverschen Küste her nach dem holsteinischen Ufer zu hintertreiben, was ihnen übrigens nur zur Hälfte gelang. Hätten sie sich damals ohne Weiteres dem Zoll- oder dem Steuerverein angeschlossen, hätten sie Millionen sparen können, die eine wahre Armee von Zollbeamten verschlang, und wären besser d’ran gewesen. So aber mußte Tag und Nacht zu Wasser und zu Lande patrouillirt und gekreuzt werden. Dabei haben sich denn die Kerle, die poveren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 554. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_554.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)