Seite:Die Gartenlaube (1870) 572.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


„Sie haben es gehört,“ sagte sie; „der Graf ist unschuldig – o bitte, gehen Sie zu dem besten Zeugen dafür, den Sie draußen finden werden – sprechen sie mit ihm, lassen Sie sich Alles sagen, was er Ihnen über die Anwesenheit des Grafen in Düsseldorf, während hier das Verbrechen verübt wurde, sagen kann – überzeugen Sie sich, wie verblendet Alle waren – gehen Sie, gehen Sie!“

Der Richter, der sehr erstaunt bei dem Allen aufgehorcht hatte, ging, und auch sein Schreiber, und was noch das Zimmer füllte, folgte ihm neugierig hinaus.

„Graf Ulrich,“ sagte Melusine jetzt, als sie allein sich gegenüberstanden, „habe ich wirklich eine so große Schuld gegen Sie begangen, daß Sie noch immer starr und hart mir gegenüberstehen?“

„Ich bin nicht starr und hart,“ antwortete er. „Wenn ich es wäre, würde ich die Schuld, welche Sie gegen mich begangen haben, nicht so tief empfinden.“

„Wohl denn, so sprechen Sie aus, wie groß meine Schuld ist – ich will mich demüthigen und einräumen, daß es an mir sei, sie zu sühnen.“

„Was bedarf es der Worte? Sie wissen Alles!“

„Wohl! Ich will glauben, daß ich Alles weiß! Aber wissen Sie Alles?“ rief sie aus.

Er sah sie fragend an.

„Wissen Sie, was Alles mich geschmerzt und empört hat in diesen Tagen? Was mein Herz bluten machte, wenn Ihr Uebermuth mir zeigte, daß Sie glaubten, mit mir spielen zu können? Wissen Sie, weshalb mir das Alles sich so tief in die Seele einbohrte? Nein, Sie wissen nicht, wie wehe Sie mir gethan haben – und ich kann es Ihnen auch nicht sagen!“

Graf Ulrich sah eine Weile stumm vor sich nieder; dann flammte plötzlich sein Auge auf und er rief: „Auch nicht, wenn ich rede und Ihnen sage, was mein Wesen bestimmte, was in meinem Herzen und Gemüth war, wenn ich redete und handelte, wie ich es that? Haben Sie denn nie daran gedacht, Melusine, daß es vielleicht nur die innere Unruhe, die Unzufriedenheit mit sich selbst und die zornige Seelenstimmung eines wilden und auf seine Unabhängigkeit trotzigen Menschen sei, der sich zum ersten Male in seinem Leben unterjocht fühlte, die Empörung darüber, so gefesselt zu sein, der Drang, mich mit meinen Worten, meinem Betragen gegen Sie an mir selber zu rächen?“

„Nein, das habe ich nicht gedacht,“ versetzte sie leise. „Sie ließen mich das in der That nicht ahnen!“

„Sie mögen Recht haben,“ entgegnete er lächelnd. „Ich zeigte Ihnen wenig von den Rücksichten, den Beflissenheiten, der Ergebenheit, woraus Sie es hätten schließen können, welchen Eindruck Sie mir gemacht! Sie müssen mir das verzeihen. Ich verstehe schlecht, einem Mädchen Neigung zu verstehen zu geben. Mit Worten kann ich’s nicht, mit Worten um eine Hand zu werben, bin ich ungeschickt. Ich kann’s nur – durch eine Dummheit allenfalls wie den Ritt dieser Nacht – und was ich mir dadurch erkaufe, ist – diese Beschämung!“

Melusine sah ihn beinahe flehentlich an.

„Beschämung! Noch immer diese Worte. Ist es Ihnen so entsetzlich drückend und demüthigend, daß ich weiß, wie, was Sie mir sagten, die ernsthafte Meinung Ihres Herzens war?“

„Ja,“ versetzte Ulrich; „so lange ich nicht vergessen kann, daß Sie, Sie gerade so wie alle die thörichten Menschen hier, nicht einen Augenblick anstanden, mich für einen Verbrecher zu halten ...“

„So lange Sie das nicht vergessen können – Wenn ich Ihnen aber wiederhole, daß Sie gründlich irren, Graf Ulrich, daß ich nicht an Ihre Schuld glaubte, nicht einen Augenblick daran glaubte, daß ich Ihnen nichts schuld gegeben als den furchtbaren Hochmuth, womit Sie mir zeigten, daß mein Glauben oder Nichtglauben, mein Urtheilen und Meinen Sie so gleichgültig lassen wie die Meinung eines Kindes über Sie – o mein Gott, sehen Sie denn nicht, daß wir uns Beide nur vorwerfen, uns nicht verstanden zu haben, und daß aller Groll zwischen uns schwinden könnte, jetzt, wo wir uns offnen Herzens einander gestanden, daß Jeder geglaubt, um den Andern Besseres verdient zu haben als seinen Hochmuth und Trotz?“

(Fortsetzung folgt.)




Ein Dutzend vor einer Million.

Zu dem großen Glück der Einmüthigkeit, in welchem das gesammte deutsche Volk sich im Verlaufe des Siegeszuges unserer Heere in Frankreich so sicher fühlt, trägt nicht wenig bei die nun auf das Glänzendste erprobte Tüchtigkeit der obersten Leitung und jeder einzelnen Führung der Unseren. Das Gefühl des Rechts, obwohl es auf der deutschen Seite Volk und Heer zu einem großen Ganzen verschmolz und von der Scheidewand, welche im Frieden zwischen „Civil“ und „Militär“ künstlich aufgebaut ward, kaum einen Stein übrig ließ, würde trotz alledem nicht vermocht haben, dem Rechte durch die That auch den Sieg zu erringen, hätten wir nichts Besseres, als noch das alte Bundestagsheer mit seinen sechsunddreißig Contingenten mit verschiedenem Commando und Kaliber der einheitlichen Macht des Feindes entgegenzustellen gehabt.

Wie viel tausend Herzen auch unter den Erfahrungen des Jahres Sechsundsechszig bluteten: selbst die, welche der tiefste Jammer damals zu Boden schlug, heute müssen sie sich wieder aufrichten an den Siegesfahnen, geschwungen von dem neuen frischen starken Geist, welcher in der Wahrheit seitdem das Heer zum „Volk in Waffen“ erhoben hat. Und vor Allem anerkannt muß die Strenge und Gerechtigkeit werden, mit welcher jene Erfahrungen in der obersten Leitung des deutschen Heerwesens zur Geltung gebracht worden sind. Nepotismus und Anciennetät, zwei Fremdwörter, deren Einbürgerung und Ausnutzung den deutschen Staaten ehedem so unsägliches Elend bereitet im Krieg wie im Frieden, beide haben zuerst im Heere Norddeutschlands den Laufpaß erhalten und unsere Südstaaten folgten dem guten Beispiel.

Am deutlichsten spricht für diesen neuesten Sieg über alte Vorurtheile die Wahl der Befehlshaber der zwölf norddeutschen Armeecorps, deren Bildnisse wir unseren Lesern in gelungenster Aehnlichkeit vorlegen. Nicht wenige von ihnen sind über viele Vorgänger hinweg auf ihren hohen Posten gestellt worden, und wenn unsere biographische Skizze über Manche derselben nicht mehr zu sagen weiß, als das amtliche Armee-Verzeichniß berichtet, so ist das nur ein Beweis, daß dieselben bisher in untergeordneteren Stellungen ihre Tüchtigkeit dargethan haben.

An der Spitze des ersten Armeecorps steht General Edwin Freiherr von Manteuffel, dessen Name zuerst populär wurde, als er von 1865 an den Oberbefehl über die preußischen Truppen in Schleswig führte. Den Krieg von Sechsundsechszig hat er eigentlich eröffnet, als er, die Eider und Elbe überschreitend, die Oesterreicher aus Holstein hinausschob. Später führte er die Mainarmee in deren Gefechten bei Hausen, Helmstadt, Utting, Roßbrunn und Würzburg. Im gegenwärtigen Kriege zeichnete er sich in der ersten Schlacht bei Metz, am vierzehnten August, aus. Als hier das Corps L’Admirault’s die rechte Flanke des ersten Armeecorps zu erfassen versuchte, griff Manteuffel es mit seinen „tambour battant“ vorgehenden Reserven an und warf es, nachdem er eine Reihe von Abschnitten erstürmt hatte, in die Festung zurück. Er steht jetzt im einundsechszigsten Jahre.

Eduard Friedrich von Fransecky commandirt das zweite Armeecorps. Im Jahre 1807 in dem hessen-darmstädtischen Flecken Gedern geboren, dient er seit 1825 in der preußischen Armee. Als Hauptmann machte er 1848 in Wrangel’s Generalstab den Feldzug gegen Dänemark mit, war von 1855 bis 1857 Chef des Generalstabs des vierten Armeecorps und führte von 1860 bis 1864 das Commando der Truppen des Großherzogthums Oldenburg. In den preußischen Dienst als Generalmajor zurückgekehrt, erhielt er im folgenden Jahre als Generallieutenant das Commando der siebenten Infanteriedivision, mit welcher er so hervorragenden Antheil an dem Kriege in Oesterreich nahm. Zuerst bei Münchengrätz im Feuer, hielt er bei Königsgrätz im Walde von Sadowa die vereinten Angriffe mehrerer österreichischer Armeecorps aus. Es war ein entscheidender Augenblick, als er den Seinen zurief: „Hier wollen wir siegen oder sterben!“ – Sein erneuter siegreicher Angriff trug wesentlich zur Wendung des Tages bei. Ihm gebührt auch der Ruhm des Gefechtes von Blumenau.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 572. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_572.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)