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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

und seine komischen, überraschenden Einfälle unterhalten uns sehr angenehm. Er hängt vorzüglich an der Mutter, und er kann nicht reiner sein, als er ist. Ich habe ihn sehr lieb, und spreche oft mit ihm davon, wie er sein wird, wenn er einmal König ist. Unser Sohn Wilhelm (der regierende König von Preußen) wird, wenn mich nicht Alles trügt, wie sein Vater, einfach, bieder und verständig. Auch in seinem Aeußern hat er die meiste Ähnlichkeit mit ihm; nur wird er, glaube ich, nicht so schön. Sie sehen, lieber Vater, ich bin noch in meinen Mann verliebt.“

Welche schwere Duldungen der Königin noch harrten, ist bekannt; nach dem Frieden von Tilsit, welcher mit fast unerschwinglichen Opfern erkauft wurde, lebte sie in den beschränktesten Verhältnissen, nur mit dem Gedanken an das Vaterland und ihre Familie beschäftigt. Ihr Geist richtete sich immer mehr zum Himmel, sie hoffte Nichts mehr von der Gegenwart, Alles von der Zukunft. Die vielen Leiden hatten ihre Gesundheit erschüttert. Die Blüthen auf ihrem holden Angesicht waren verbleicht und man sah es ihren eingesunkenen Augen an, daß sie viel geweint.

Eine letzte Freude ward ihr noch: nach langer Abwesenheit kehrte sie an der Seite ihres königlichen Gemahls in das von den Franzosen geräumte Berlin unter dem Jubel des treuen Volkes zurück. Aber schon auch neigte sich ihr Leben zu seinem Ende. Auf einem Besuche in Strelitz erkrankte sie, ohne daß ihr gebrochener Körper im Stande gewesen wäre, diese neue Prüfung zu ertragen. Fern ihrem Volke, aber im Arme des Königs, der aus Berlin herbeigeeilt war, und umgeben von ihren Söhnen, hauchte sie ihre edle, große Seele aus.

Das ganze Volk trauerte um den Verlust der Königin, am meisten der unglückliche König und die königliche Familie. Ihr Andenken aber lebte in dem Herzen Aller und umschwebte die tapferen Krieger in dem bald darauf folgenden Befreiungskampfe. In Wort und Lied der besten Dichter wurde Louise gefeiert als der Genius und Schutzgeist ihres Landes, auf ihren Sarg legte Friedrich Wilhelm den Siegerkranz nieder, den er sich mit seinem ruhmreichen Heere auf dem Leipziger Schlachtfelde erkämpft hatte, und gewiß blickte der selige Geist Louisens auch in jener schweren und bedeutungsvollen Stunde der jüngsten Tage, da ihr Sohn um Segen flehend sich ihrem Grabe genaht hatte, auf diesen und auf das deutsche Volk herab, wieder stärkte sie ihn und all’ die Seinigen im schweren Kampfe gegen den alten Feind, und wieder sprach ihre Geisterstimme wie schon früher, da sie ihre Umgebung um Ausdauer in der schweren Zeit der Noth beschworen: „Es kann nur gut werden auf der Welt durch die Guten.“




Carl Wilhelm vor zwanzig Jahren.

Es war in den Jahren 1844 und 45, als ich nach Tages Last und Mühen jede freie Stunde dazu benutzte, in einer angenehmeren, ruhig gelegenen Straße Crefelds die Fenster eines recht stattlichen Hauses zu belauschen. Obwohl ich dem Alter angehörte, in welchem die „Flegeljahre“ in ihre sentimentale Kehrseite umzuschlagen pflegen, war es doch keine holde Schöne, der meine abendlichen Spaziergänge galten: die in stiller Luft weithin und deutlich erschallenden Töne eines herrlichen Flügels waren es vielmehr, welche ihren unwiderstehlichen Zauber auf mich ausübten. An diesem Flügel, das wußte ich, saß der bedeutendste Künstler Crefelds, der Musikdirektor Carl Wilhelm, derselbe, dessen Name jetzt in Aller Munde lebt. Ein trefflicher Pianist, war ihm, wie in ganz Crefeld bekannt, ein hervorragendes Talent für freies Phantasiren auf seinem Instrument eigen. Ich entsinne mich noch gar wohl, wie sehr mich damals an einem schönen Abende die Klänge einer musikalischen Paraphrase und Variirung des Beethoven-Schubert’schen Sehnsuchtswalzers entzückten. Die Jahre 48 und 49 führten nebst so manchen großen Veränderungen auch in meinem Leben einen Umschwung herbei, welcher mich auf einige Zeit mit Wilhelm in häufigen persönlichen Verkehr brachte. Ich trat nun ein in jene Räume, vor deren Fenstern ich so manches Mal gelauscht, und fand dort eine in ihrer künstlerischen Unordnung mich ganz sympathisch berührende Garçonwohnung, die, obwohl bescheiden, doch nicht ohne Eleganz und vielfach mit jenen zierlich schmückenden Luxusgegenständen ausgestattet war, an denen es in den Heimstätten beliebter ausübender Künstler ebensowenig zu mangeln pflegt, als es den Letzteren selbst an verehrenden Damenkreisen fehlt. Das Flügelzimmer war durch dichten an den Wänden hinrankenden Epheu in eine Laube verwandelt. Unter den Musikalien, welche auf dem Instrumente herumlagen, fand mein spähendes Auge bald einige mit zierlicher Hand geschriebene Manuscripte heraus, Compositionen des damals noch jugendlichen Tonsetzers, dessen Persönlichkeit selbst einen gewinnenden Eindruck hervorbrachte.

Wilhelm war von nicht großem, bei aller Kraft eher zierlich zu nennendem Körperbau von schönem Ebenmaß; seine eng anschließende Kleidung sorgfältig und sauber gehalten, sein Gang, seine Bewegungen knapp und bestimmt. Außerhalb seines Berufes sprach er wenig, war meist verschlossen und zurückhaltend, wenn nicht fröhliche Gesellschaft und trauliche Stunde die Zunge lösten. Im ganzen Auftreten lag etwas Feines, Aristokratisches, und so wenig man ihm Pedanterie vorwerfen konnte, so wurden doch – wie es mir schien – seine zartbesaiteten Nerven, ohnehin durch häufige körperliche Leiden noch empfindlicher gemacht, von dem wenn auch meist gut gemeinten, aber häufig bis zur Derbheit entschiedenen Auftreten der Rheinländer nicht immer sympathisch berührt, wobei ich nicht verschweigen will, daß viele seiner Bekannten auf ihn die zarteste Rücksicht nahmen. Als Dirigent der Crefelder Liedertafel und des (gemischten) Singvereins betonte er stets eine musikalisch edlere Geschmacksrichtung und hatte damals manchen Kampf zu bestehen, wenn er auf die in so vielen Männergesangvereinen beliebten sogenannten „Schmachtlappen“ und ähnliche Werke sich durchaus nicht einlassen wollte. Viele Mitglieder seines wohlbesetzten, gesellschaftlich angesehenen und stimmlich ganz vortrefflich ausgestatteten Männerchores standen ihm bei diesen Bestrebungen „fest und treu“ zur Seite. Daß er aber bei seinem künstlerisch feinfühligen Wesen manchen Aerger zu erleben hatte, war kein Wunder. War er doch überhaupt eine „Künstlernatur“. Sein Directionstalent war sehr bedeutend, er verstand es ganz außerordentlich, genau und fein musikalisch einzustudiren, die Sänger zu fesseln und durch seine bei großer Bestimmtheit außerordentlich zierliche und elegante Direction zu beleben und zu begeistern. Die Crefelder Liedertafel war, wo sie auf den damals häufig stattfindenden rheinischen Männergesangsfesten auftrat, eine sehr geachtete Erscheinung und konnte sich unter Wilhelm’s Leitung mancher schönen Erfolge rühmen.

Wie man mir erzählt, hat Mendelssohn nach einer derartigen hervortretenden künstlerischen Leistung auf einem Kölner Feste Wilhelm vor dem ganzen Publicum entzückt in die Arme geschlossen. Auch größere Chormassen und das Orchester wußte er sicher zu beherrschen. Viele gelungene Oratorienaufführungen in Crefeld legen dafür Zeugniß ab. Es ist sehr zu bedauern, daß diese hervorragende Dirigentkraft nicht in einem größeren Wirkungskreise dauernde Stellung gefunden hat. –

Aus der soliden Schule des verstorbenen berühmten Aloys Schmitt in Frankfurt am Main hervorgegangen, zeichnete Wilhelm sich als Pianist vortheilhaft aus. Wie schon bemerkt, besaß er in seltener Weise die Gabe musikalischer Improvisation. Dabei fiel es ihm nicht schwer, geschlossene Formen auf das Leichteste zu beherrschen, und ich entsinne mich, wie er eines Abends, besonders gut gelaunt, eine Sonate ganz formgerecht von Anfang bis zu Ende improvisirte. Er war aber nicht etwa jenen Künstlern beizuzählen, die sich selbst nicht genug hören und bewundern lassen können, im Gegentheil mußte man seine Gaben ihm oft genug abnöthigen. Andererseits, wenn nach der officiellen Uebungszeit die meisten Herren, als echte Rheinländer, noch lange traulich zusammenblieben, um beim goldenen Naß der Geselligkeit zu pflegen, munterte Wilhelm die begabten Solokräfte seines Vereins in liebenswürdigster Weise zur Darlegung ihrer Talente auf. Wer von den Genossen jenes Kreises sollte sich nicht der herzgewinnenden Baritonstimme des durch und durch musikalischen, leider so früh dahingeschiedenen Julius Kremling erinnern, ein Dilettant, dessen Compositionstalent so manches reizende Lied schuf; wer wird nicht des überaus gewandten Clavierspiels Amel’s gedenken? Und diese jungen Leute waren es, die in jener Zeit schon im Verein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 579. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_579.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)