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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


standen, sind mir weniger günstige Gerüchte zu Ohren gekommen. Einem meiner Reisegefährten, welcher sich ohne Reisegeld befand und um Unterstützung nachsuchte, wurde, nach dessen Versicherung, die Thür gewiesen, und es gelang ihm nur durch Verpfändung seiner Effecten das nöthige Geld zur Reise bis an die Schweizer Grenze zusammenzubringen. Durch die Schweiz und Süddeutschland hatte der erwähnte, wie alle hülfsbedürftigen Deutschen, die Reise frei.


Die unblutige Eroberung einer Stadt durch vier braunschweigische Husaren, ein Reiterstückchen, das wir in unserer letzten Nummer schon kurz erwähnten und zu welchem wir heute die versprochene, an Ort und Stelle aufgenommene Illustration bringen, schildert uns unser Specialcorrespondent, Herr Georg Horn, noch in folgender ausführlicherer Weise:
Lieutenant v. König, von Bliescastel aus zur Recognoscirung über die französische Grenze ausgeschickt, war mit seinen drei Mann Husaren unbeanstandet durch die ersten französischen Dörfer gekommen; dieselben schienen ausgestorben, Niemand zeigte sich – Fenster und Thüren waren verschlossen. Er ritt auf der großen breiten Straße weiter; rechts und links und vorwärts war nichts vom Feinde zu sehen. In der Ferne trat quer ein Höhenzug hervor, an dessen Abhängen, je näher die Patrouille kam, Gärten und Landhäuser bemerkbar wurden, weiter kamen die Schornsteine von Fabriken, die Spitzen von Kirchtürmen zum Vorschein. Die Patrouille war jetzt an einer Stelle der Straße angekommen, von welcher dieselbe abwärts führte; die Höhen jenseits und diesseits stiegen von der Thalsohle eines Flusses aus, welchen sie sich entlang zogen; es war ein ziemlich breiter Fluß, über den eine Brücke führte, und drüben lag eine Stadt mit stattlichen Häusern. Der Fluß mußte die Saar, die Stadt Saargemünd sein. Das stimmte mit der Sectionskarte der großen Generalstabskarte von Frankreich, die der Officier mit sich führte. Er ritt mit seinen Leuten thalwärts bis in die Nähe der Brücke. Der Zugang derselben war nicht frei; gefällte Bäume waren vor dieselbe gelegt. Ein Ort, zu welchem der Zugang, wie hier, verbarricadiert ist, wird nicht mehr als offener behandelt, sondern als befestigter, und ist allen Consequenzen eines solchen ausgesetzt, z. B. kann er bombardiert werden. Jenseit der Brücke zeigte sich feindliche Reiterei; sie gab auf die Husaren Feuer, welches von diesen erwidert wurde, worauf sich jene zurückzogen. An der Seite der Brücke aus einem Hause kam ein Mann in bürgerlicher Kleidung zum Vorschein. Er wurde von dem Officier angerufen.

„Wie heißt der Maire der Stadt?“

„Baron de Geiger.“

„Gut – bringen Sie ihm diese Karte; wir warten hier auf Antwort.“

Auf ein Blatt Papier hatte der Officier seinen Namen geschrieben – nur „von König“ – die Charge war weggelassen, absichtlich, um der Sache dem Maire gegenüber einen größeren Rückhalt zu geben; hinter einem Lieutenant kann ja höchstens nur ein Zug Mannschaften in Sicht sein, hinter einem Namen ohne Angabe der Charge eine Schwadron, ein Regiment. Auf der Karte war der Maire der Stadt aufgefordert, an der Brücke zu erscheinen. Der Bote stieg mühsam über den Verhau und verschwand jenseits der Brücke.

Es dauerte eine halbe Stunde. Nach dieser kam drüben der Bote in Begleitung eines älteren Herrn zum Vorschein; Beide gingen über die Brücke der Patrouille entgegen, und über den Verhau hinweg entspann sich folgendes Zwiegespräch:

„Monsieur, êtes vous le maire de cette ville?“

„Zu Diensten, mein Herr, aber sprechen wir lieber Deutsch – ich bin ein Deutscher, ein Altbaier, und seit langen Jahren als Industrieller hier angesessen. Mein Name ist Baron von Geiger, ich bin Ehrenmaire dieser Stadt – Senateur de l'empire.

„Gut, Herr Baron, ich danke Ihnen. Meine Karte haben Sie bereits erhalten, mein Name ist von König. Sind noch französische Truppen in der Stadt?“

„Nein, mein Herr, seit heute Morgen nicht mehr.“

„Aber es ist auf uns von feindlicher Cavallerie geschossen worden –“

„Das waren Nachzügler der Cavallerieregimenter, welche die Stadt bereits bei Ihrer Annäherung geräumt haben.“

„Gut, so bitte ich Sie wenn Sie nicht wollen, daß diese Stadt als ein fester Platz betrachtet werden soll, diese Aufwürfe entfernen zu lassen.“

„In einer halben Stunde, mein Herr, sollen Sie den Zugang zur Stadt frei finden. Ich selbst werde an der Spitze der Einwohner Hand anlegen, diese Hindernisse fortzuschaffen.“

So geschah es auch, und nach etwa drei Viertelstunden ritt der Lieutenant mit gespanntem Revolver, die Husaren mit aufgesetztem Karabiner in die feindliche Stadt ein, umringt von einer dichten, drohend und finster dreinschauenden Bevölkerung, an welche der Maire die eindringlich mahnenden Worte richtete, sich den Verhältnissen zu fügen und sich ruhig zu verhalten. Die Stadt würde geschont werden und den Einwohnern kein Leides geschehen.

Und so gelangte denn der preußische Officier mit seinen Leuten unangefochten bis auf den Markt, bis in die Mitte der Stadt, recognoscirte mit aller Gemüthsruhe von hier aus durch die Seitenstraßen und sprengte dann wieder, an der Spitze seiner Patrouille, in Galopp von dannen und zum Thore hinaus, um dem Prinzen Friedrich Karl zu melden, wie er mit drei Mann Husaren, wie bereits Seite 558 erzählt, die Stadt Saargemünd trotz ihrer Verbarrikadirung eingenommen und besetzt gehalten haben.


Erich Mosen. Die Gartenlaube hat dem Andenken unseres allverehrten Julius Mosen so manchen Artikel gewidmet; es wird ihr auch nachstehende Mittheilung über dessen Sohn Erich, in dem des Dichters echt deutscher, vaterlandsbegeisterter Geist so herrlich fortlebte, willkommen sein.

Am 24. August traf die in Oldenburg lebende Mutter die Trauerbotschaft von dem Tode des geliebten Sohnes. Er starb am 16. August in der Schlacht bei Mars la Tour den Heldentod für das Vaterland – durch einen Schuß in den Unterleib erfolgte der sofortige Tod. Ein lieber Freund, der Vicefeldwebel Brunsmann aus Oldenburg, drückte ihm auf dem Schlachtfelde die Augen zu und schickte an die schwergeprüfte Mutter seine Hinterlassenschaft: eine Brieftasche, welche unter Anderm seine beiden Medaillen aus dem Mainfeldzuge enthielt, eine Rettungsmedaille, die dem fünfzehnjährigen Gymnasiasten E. Mosen vom Großherzoge von Oldenburg wegen Rettung zweier ertrinkender Kinder aus dem Wasser verliehen wurde, ein Lorbeerblatt aus einem Kranze des dahingeschiedenen geliebten Vaters, und einen Zettel, auf welchem der Abschiedsgruß stand, den die Eltern im Jahre 1866 ihrem als Freiwilligen in’s Feld rückenden Sohne mitgegeben:

„Junger Soldat, mit Herz und Hand
Eile zu retten das Vaterland!
Doch kehre auch mit altem Glück
In das Vaterland zurück!

Oldenburg, 15. Juli 1866.  Julius Mosen.“

„Du weißt Alles, wie mein Herz dich umschließt.
 Deine treue Mutter.“

In dem Begleitschreiben des Freundes heißt es: „Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß ein jeder, der Ihren Sohn gekannt hat, von vornherein dessen gewiß ist, daß Erich Mosen, wenn er fallen mußte, tapfer in den ersten Reihen, seinem Zuge vorangehend, fallen würde. Sie nicht allein, sondern ganz Deutschland verliert einen Sohn, der beiden Theilen schon viel genützt hat, viel mehr aber noch in Zukunft genützt haben würde.“

Die letzten Zeilen sprechen leider nur allzuwahr. Mosen’s ehrliche und unermüdliche Bestrebungen, namentlich auf volkswirthschaftlichem und socialem Gebiete, sind in breiten Kreisen bekannt; sein tapferes, todesmuthiges Herz hieß ihn sogleich wieder als Freiwilliger in den heiligen, deutschen Krieg ziehen. Er fand darin den frühen Heldentod – „Treu bis zum Tode der deutschen Nation!“ – Ehre seinem Andenken!

A. Schwartz.


Ein Unterstützungstag. Sollte es noch Menschen unter uns geben, die nur dadurch an ihre Opferpflicht gemahnt werden können, daß sie mit Augen sehen, wie weit die Noth sich erstreckt, welche der Krieg mit Frankreich über unser Volk verhängt hat, so ist Solchen die traurige Gelegenheit dazu geboten; sie brauchen nur an einem Tage, an welchem die Unterstützungen für die Frauen und Kinder unserer Landwehrleute und Soldaten ausgehändigt werden, sich an den Vertheilungsort zu verfügen. Im Leipzig haben wir einen derselben vor der Expedition der Gartenlaube, und dort zählten wir an einem Unterstützungstage über sechshundert Frauen. Die meisten haben ihre Kinderchen auf den Armen; aber auch alte Mütterchen sind unter ihnen, die in ihren Söhnen und Schwiegersöhnen ihre jetzigen Ernährer nach Frankreich marschiren sehen mußten. Es sind darunter Erfahrene in solchem Leid. Eines der Mütterchen sagte zu dem Herausgeber dieses Blattes mit sichtlichem Stolze: „Meine Söhne haben mich immer gut behandelt und unterstützt und alle Zwei sind schon Anno Sechsundsechzig mit im Kriege gewesen; jetzt werden auch Sie, lieber Herr, mich nicht verlassen.“ Auch unverehelichte Mütter mit Kindern, deren Väter jetzt vor dem Erbfeind kämpfen, begehren die öffentliche Unterstützung, und sie wird ihnen zu Theil, den Vätern zu Liebe, die mit für ein großes Deutschland bluten. Wie viele Thränen fließen auf das Geld in den zitternden Händen, und wie viele von diesen Frauen werden seit der Schlacht von Rézonville, wo ihre Gatten und Söhne im stärksten Feuer gestanden, schon zum nächsten Unterstützungstage im schwarzen Trauergewande als arme Wittwen und Mütter jammernder Waisen erscheinen!

Wer diesen Anblick einmal vor sich gehabt, der kann sich des bittern Gedankens nicht erwehren, wie wohlfeil die Mehrzahl der Wohlhabenden sich die Opfer dieser großen Zeit macht! So lange die Hinterbliebenen unserer Helden im Kampfe für uns noch auf Nothgroschen angewiesen sind, die sie wie Bettler erst erbitten und abholen müssen, so lange ist der Dank für die Männer, die ihr Blut und Leben für uns hingeben, noch ein recht erbärmlicher. Die Nation muß sich wenigstens in ihrer Opferfähigkeit größer zeigen, wenn ihr Siegbejubeln, Illuminiren und Fahnenaufstecken nicht als verschwenderische Spielerei betrachtet werden soll.




Der große Schweiger. Wir ergänzen heute die Portraitreihe jener hohen oder berühmten Persönlichkeiten, auf welche im Augenblick die allgemeine Aufmerksamkeit gerichtet ist, durch das Bild eines Mannes, dem wir mit am meisten die glänzenden, unvergleichbaren Waffenthaten unserer Armeen verdanken – es ist der General Hellmuth von Moltke, der Chef des großen Generalstabs der deutschen Armee. Moltke – fast jedes Kind in Deutschland weiß das schon – ist die Seele des gegenwärtigen siegreichen Kampfes, wie er bereits im Jahre 1864 den Feldzugsplan gegen Dänemark feststellen half und wie er auch den vom glänzendsten Erfolg begleiteten Operationsplan des siebentägigen Feldzuges vom Jahre 1866 in der Hauptsache ersann. Ein umfassendes militärisches Wissen, ein schöpferischer, gewandter Geist und ein durchdringender, ruhiger Blick bildeten ihn zu dem großen Feldherrn, als welchen wir ihn heute bewundern und als welchem ihm erst unsere Enkel die Frucht dieser blut- und ehrenreichen Tage in vollen Umfang danken werden.

Die Biographie Moltke’s, der in wenigen Wochen das siebenzigste Lebensjahr zurücklegt, ist unseren Lesern aus allen den Zeitungen bekannt, die sie schon gebracht; wir können sie deshalb hier übergehen. Auch dem gegenwärtigen Chef des großen Generalstabs der deutschen Armee ist, wie den meisten Rittern vom Geiste, die herbe Schule der Entsagung in seiner Jugend nicht erspart geblieben; aus ihr hat er sich zu der glänzenden Höhe emporgeschwungen, auf welcher er nun steht, und auf welcher er

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 583. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_583.jpg&oldid=- (Version vom 3.9.2019)