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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Spuren des heftigsten Kampfes, die Wände waren mit Kugeln gepflastert, theilweise eingestürzt, die Fenster zerbrochen, die Hausthüren standen auf; kein Einwohner war zu erblicken. Hier lagen fortgeworfene Gewehre und Tornister der Franzosen, dort Zeltstücke, Mützen, kurz der Boden war bedeckt mit Ausrüstungsstücken jeder Art. Zu Seiten der Chaussee lagen todte Pferde. Die Pappeln am Wege trugen Kugelspuren und herabgeschossene Zweige bedeckten den Boden. Ueberall, wohin man blickte, Verwüstung und Zerstörung. Besonders viel Sachen lagen in den verlassenen französischen Lagern, welche sich von unseren Plätzen auf den ersten Blick unterschieden. So bauen die Franzosen z. B. ihre Kochlöcher ganz anders. Sie nehmen nämlich einfach sechs bis acht Steine, legen diese in zwei Reihen neben einander auf die hohe Kante, so daß sich zwei Wände, jede zu drei bis vier Steinen, bilden. Nach zwei Seiten sind diese Kochlöcher offen, so daß der Zug durchstreichen kann und ein leichteres Hantiren an denselben möglich ist.

In recht schlechtem Wetter – Regen und Wind – marschirten wir zwei Tagemärsche in la belle France hinein. Die nächsten Ortschaften, in denen wir einquartiert wurden und auch je einen Ruhetag hatten, waren wohlhabende Bauerndörfer mit einer nicht deutsch sprechenden und auch nicht entgegenkommenden Bevölkerung. Die Verpflegung wurde durch Requisitionen beschafft; um zwölf Uhr wurde ein Ochse geschlachtet, und in wenig Stunden war er verspeist.

Am 18. kamen wir nach St. Epore, einem kleinen Dorfe von hundertsechszig Einwohnern, wo vier Batterien untergebracht wurden. Hier treibt man augenscheinlich viel Pferde- und Rindviehzucht. Anfangs konnten sich die Leute gar nicht darein finden, daß ihre Pferde und Kühe die Nacht im Freien zubringen und unsere Pferde in den Ställen bleiben sollten. Als ich aber aus einem großen Stalle einige vierzig Pferde hatte auf den Hof führen lassen, wo die Thiere ihre Freiheit benutzten und umherjagten, leerten die Bauern auf das Schnellste ihre Ställe selbst. Hier war es auch, wo in einem großen alten Gebäude, in welchem die Officiere der vier Batterien sich einquartiert hatten, ein überraschender Weinfund geschah. Nachdem man die Anwesenheit der lieben Gottesgabe lange verleugnet, entdeckten wir im leeren Keller eine schwere eichene mit Eisen beschlagene Thür. Der Batterieschlosser öffnete sie, und wir waren im Privatkeller des Herrn Marquis von Epore. Champagner, Burgunder mit den Jahreszahlen 1828 und 1857, Rothwein in Flaschen und Fässern blickten uns gar einladend an. Sofort wurden Kanoniere mit Eimern zum Weinempfang für die Batterie beordert.

Unser Diner, welches auch zugleich Souper war, wurde in dem Eßsaale servirt. Die schönsten geschnitzten Möbel stauben hier, alle von der kunstfertigen Hand des Herrn dieses Stammschlosses geschnitzt. Daß uns unser Mittag mit dem köstlichen Weine mundete, und daß wir am anderen Morgen unsere Feldflaschen sehr sorgfältig füllten, kann man sich wohl denken.

In dem Schlosse waren in einem Saale zwölf Betten – vielleicht zu Lazarethzwecken – aufgeschlagen. Unsere Leute ließen es sich in denselben Betten wohl sein, und ich denke, das wird auch deren ursprünglicher Bestimmung keinen Eintrag gethan haben.

Unsere Marscherlebnisse waren nun die längst vielfach geschilderten, wie sie eben ein vom Kriege verwüstetes Land bietet, und mit deren Wiederholung ich Niemanden behelligen will. Für mich bleibt natürlich jedes einzelne Erlebniß ein Schatz für das ganze Leben, aber in diesem Augenblick hat Niemand Zeit, sich ruhig an der Theilung und Mittheilung solcher Schätze zu erfreuen.




Im Lager unserer Heere.
Von A. v. Corvin.
Vierter Brief. Als Spion.[1]


Frankfurt a. M., 13. September 1870.


Es ist keineswegs erfreulich, wenn Einen jeder Begegnende anranzt: „Mein Gott, was thun Sie denn hier?“ Da ich solch Ausrufungszeichen auch auf Ihrem Gesicht in Keilschrift sehe, so will ich Sie schnell mit der Versicherung beruhigen, daß ich morgen wieder fortgehe, nämlich nach einer Schwenkung durch das Elsaß nach Paris, oder so weit ich kommen kann. Uebrigens war mir, wie Sie aus dem Verlauf dieses Briefes sehen werden, ein Tag Ruhe zur Stärkung meiner Nerven durchaus nöthig. Es ist kein Spaß, unter die Obotriten zu gerathen. Außerdem mußte ich mich auch wieder neu equipiren – in sechs Wochen zum dritten Male, und mir die Johanniterei und die Lazarethe in Frankfurt ansehen, von denen mir viel Gutes und auch Wunderbares berichtet war.

Als ich meinen letzten Brief an Sie in Briey der Feldpost anvertraut hatte, kam die Nachricht, daß das zweite Armeecorps nach der Umgegend von Metz abmarschiren solle. Da das Hôtel de la croix blanche kein zureichender Grund für mein Bleiben in Briey war, so sah ich mich in der Frühe eines Morgens nach einem Fortbewegungsmittel um. Ein dicker Franzose, der eigentlich ein Luxemburger war, deutsch maltraitirte und hinkte, hatte von siebenzehn Pferden und vielen Wagen noch ein einziges und ein offenes zweirädriges Wägelchen übrig, wofür er dreißig Franken täglich verlangte. Da das Wetter sehr hübsch war, so schlug ich ein, und der Herr, der selbst mich fahren wollte, versprach um acht Uhr fertig zu sein und hielt Wort. Wir fuhren über das Schlachtfeld bei St. Marie aux Chênes und sahen noch überall Spuren der Schlacht, besonders in den Gräben, wo der Wind und der Regen Haufen von Uniformlappen, Hosen etc. zusammengefegt und geschwemmt hatte, bei denen hin und wieder ein gespensterhaftes Helmskelet Wache stand.

Mir gruselte es, als ich nach Gravelotte kam, weniger im Andenken an die dort stattgehabte Metzelei als in der Erinnerung an die Hungersnoth, die da rings umher herrscht, und aus Mitleid mit unseren braven Soldaten, die aus dem blutgetränkten und von Regen durchweichten Boden nun schon so lange unter freiem Himmel campirten.

Auf unergründlichen Wegen fuhren wir nach Ars sur Moselle. Ueberall grinsten uns an der Straße todte Pferde an, die sich in ihrem letzten Augenblicke darüber gefreut zu haben schienen, daß sie all dem Elend durch den Tod entgingen.

In friedlichen Zeiten muß die Gegend da sehr hübsch sein; allein überall gen Himmel gestreckte Pferdebeine, die von Körpern ausgehen, die zu Elephantendicke angeschwollen sind und die Luft ringsum verpesten, – sind eben nicht geeignet, die zum „Naturkneipen“ durchaus erforderliche Behaglichkeit zu erzeugen.

Bei Ars sur Moselle sind Eisenwerke, in denen Eisenbahnschienen und dergleichen gemacht werden. Jetzt sieht Alles öde und todt aus. Wovon werden die armen Leute im Winter hier leben? – Die Schlachten sind schrecklich, allein noch schrecklicher ihre Folgen, wenn auch der stille Jammer verhungernder Familien nicht solchen Lärm macht. Menschenfreunde – gleichviel ob Deutsche oder Franzosen oder Engländer oder Amerikaner – sollten schon jetzt daran denken, diesem entsetzlichen Elend vorzubeugen. Der Privatwohlthätigkeit ist hier ein sehr weites und sehr segensreiches Feld geöffnet, und Hülfe ist möglich, da die Bezirke, welche besonders gelitten haben, nicht so sehr ausgedehnt sind. Besondere Berücksichtigung verdienten wohl die um Metz herumliegenden Dörfer, deren Bewohner fast gänzlich ruinirt sind. Es thut Einem das Herz weh, wenn man in den schmutzigen Straßen arme alte kranke Männer und Frauen umherkriechen sieht, aus deren abgenagten Zügen der Hunger schreit.

Es war zwei Uhr, als wir nach einem erträglichen Mittagessen über die Moselbrücke fuhren. An der Seite rechts und links

  1. Die „Kölnische Zeitung“ enthält folgende Notiz: „Alzei, 6. September. Seit etwa drei Wochen wird der bekannte Schriftsteller und Berichterstatter Herr von Corvin vermißt. Man vermuthet, daß derselbe in der Gegend von Hagenau entweder feindlichen Marodeurs oder, was noch schlimmer wäre, fanatisirten Bauern in die Hände gefallen sei und in letzterem Falle wohl kaum mehr unter die Lebenden gezählt werden dürfte. Etwaige Nachrichten über das Verbleiben des Vermißten wolle man doch schleunigst der Oeffentlichkeit übergeben.“ Obiger Brief des Herrn von Corvin ist wohl die beste Antwort auf vorstehende Anfrage.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 639. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_639.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)