Seite:Die Gartenlaube (1870) 642.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Endlich kamen wir gegen Abend nach dem ersehnten Courcelles, bei dessen Anblick unsere Hoffnungen aber auf Null sanken. Ringsum in den triefenden Feldern bivouacirten Truppen, und jeder Winkel des gottverlassenen Nestes schien besetzt. Der Posten am Eingange zwang uns, über eine nasse Wiese um das Dorf herumzufahren und nach vieler Mühe gelangten wir endlich in die Straße. An ein Unterkommen für ein Pferd schien gar nicht zu denken, denn es befand sich in Courcelles das Hauptquartier des Großherzogs von Mecklenburg-Schwerin mit vielen Pferden und außerdem eine Menge von Gensd’armen. Ich verzweifelte indessen nicht sogleich, ließ meinen Franzosen in der Straße halten und ging aus zu recognosciren. An einer Scheune sah ich mecklenburgische Jäger stehen. Ich gab einem von ihnen einen Thaler und bat ihn, mir behülflich zu sein ein Obdach für ein Pferd zu finden. Der Mann war sehr bereitwillig. In der Scheune lag die Wache, zu der er gehörte, und es fand sich Platz für das Pferd.

Als die freundlichen Leute sahen, daß ich so durchaus naß war, schlugen sie mir vor, mich an ihrem Ofen im Quartier nebenan zu wärmen. Sie hätten eben ihr Essen fertig gekocht und das Feuer brenne noch. Man kann sich wohl denken, wie gerne ich das Anerbieten annahm.

Das Haus, in welches ich geführt wurde, war durch eine gräuliche That berüchtigt. Eine achtzigjährige Frau in demselben hatte einem darin verwundet liegenden Officier die Augen ausgestochen und war dafür von den Soldaten gelyncht worden. Im Hause selbst hatte man Alles vernichtet und nichts als die leeren Räume gelassen, in denen nun eine Menge Soldaten Schutz vor dem Regen fanden. In dem Zimmer, in welches ich geführt wurde, lagen einige zwanzig Jäger, brave Leute, die sich sehr anständig und gastfreundlich betrugen. Da sie selbst naß und kalt waren, so ließ ich vom Marketender einige Flaschen Rum und Zucker holen, wovon genug Grog gebraut wurde, so daß jeder ein Glas bekam. Mein dicker Kutscher fand auch einen Platz am Ofen.

Bald darauf traten zwei Officiere ein. Der eine fragte mich in sehr knapper Weise nach meinem Namen und „Gewerbe“. Ich zeigte ihm meine mir vom Commandanten von Saarlouis ausgestellte Legitimation, in welcher „der Vorzeiger Oberst von Corvin-Wiersbitzki allen Militär- und Civilbehörden empfohlen wird etc.“ Am Schlusse war bemerkt, daß ich außerdem durch einen amerikanischen Paß legitimirt sei. Der Officier gab mir die Papiere zurück und verließ mit seinem Cameraden das Zimmer ohne Gruß und ohne ein einziges Wort. Ich war etwas erstaunt darüber, denn ich hatte einige Wochen nur mit preußischen Officieren gelebt, deren Höflichkeit mich verwöhnt hatte. Die Herren Mecklenburger scheinen noch auf dem Standpunkt zu stehen, auf welchem die preußischen Officiere vor einem halben Jahrhundert standen.

Da in einer an das Haus stoßenden Scheune Stroh genug war, so beschloß ich, die Nacht in derselben zuzubringen. Am Morgen wollte ich zum Etappencommandeur gehen und ihn um Weiterbeförderung bitten. Es war in der Scheune stockdunkel, und ich war eben im Begriff mein Lager zu arrangiren, so gut es gehen wollte, als ich plötzlich die Stimme des einen der Officiere vernahm, die mich eben erst mit ihrem Besuche beehrt hatten. Der Officier befahl mir, aufzustehen und ihm zu folgen. Als ich in der Finsterniß meinen Hut nicht finden konnte, rief er barsch, ich solle das Suchen bleiben lassen und ohne Hut kommen. Ich besann mich nicht lange und gehorchte.

Die ganze Art und Weise amüsirte mich mehr, als sie mich ärgerte, denn ich hatte schon so viel von der Bildung mancher mecklenburgischen Edelleute gehört – der Officier war ein Graf oder Herr von Rantzau – daß ich mich nur freuen konnte, diese obotritische Abart blauen Blutes endlich aus eigener Anschauung kennen zu lernen. Ernstliche Besorgnisse konnte ich nicht haben, da etwaige Mißverständnisse leicht aufgeklärt werden mußten, wenn mir auch vielleicht momentan einige Unannehmlichkeiten bereitet werden konnten.

Das Bureau des Etappencommandos war an der Eisenbahn und etwa zehn Minuten von der Scheune entfernt. Es regnete, obwohl nicht stark, aber da ich barhäuptig hinschritt, wurde mein Haar vom Winde zerzaust. Als ich zögerte in eine tiefe Pfütze zu treten und dadurch etwa drei Schritt von dem Vollblutlieutenant abkam, packte mich der ihn begleitende Gensd’armerie Wachtmeister mit ungezogenen Worten rauh am Arm und stieß mich vorwärts. In die Nähe des Etappenbureaus gekommen, verlangte der Officier meine Papiere, welche ich in meiner Geldtasche hatte. Noch hatte es kaum eine Minute gedauert, bis ich dieselbe aufschließen konnte, als sie mir der Wachtmeister auch schon mit rohen Worten von der Schulter riß. Ich bitte nur zu bemerken, daß dies Alles geschah, nachdem der Officier meine Papiere gesehen hatte, in denen ich bei meinem vollen Namen genannt und als alter Officier legitimirt war. Außerdem ist Courcelles nicht in den Vorposten, sondern eine Eisenbahnstation. Nach einigen Minuten wurde ich in das Bureau gerufen. Ich traf hier außer einigen Schreibern einen preußischen Major, dessen Namen ich leider nicht vernahm.

Die Armee ist reich an Obersten und Oberstlieutenants, die nicht im Stande sind, im Felde Bataillone oder Regimenter zu befehligen, die man aber doch wegen ihres im Dienst ruinirten Gesundheitszustandes nicht gerade durch Entlassung kränken will. Für diese alten Officiere sucht man weniger beschwerliche Stellen aus und macht sie unter anderm gern zu Etappencommandanten. Die Pflichten eines solchen sind indessen nicht nur sehr wichtig, sondern erfordern auch ganz besondere Umsicht, Ruhe, Geschäftskenntniß, Thätigkeit und savoir faire . – Um den Obersten etc. diese Pflichten zu erleichtern, giebt man ihnen gewöhnlich einen Major oder Capitain als Assistenten, und ich habe mehrmals Gelegenheit gehabt, das richtige Auge der Vorgesetzten bei Besetzung dieser wichtigen Stellen zu bewundern. Die Assistenten in Bingerbrück, Pont à Mousson, Remilly etc. waren äußerst gewandte Officiere. –

Der Major sah meine Papiere. Er fragte, ob ich der aus Baden (48–49) her bekannte Corvin sei, was ich natürlich bejahte, worauf er mir höflich sagte, daß nichts gegen mich vorliege und ich frei passiren könne.

Die beiden wackern Mecklenburger Officiere waren verschwunden, und ich ging nach meiner Scheune zurück. Unterwegs fiel ich abermals einem Gensd’arm auf, der seine Stammesverwandtschaft mit den beiden Officieren, die mich schon in so einfältiger Weise chicanirt hatten, nicht verleugnen sollte. Er hielt mich fest und befragte mich, wie es komme, daß ich im Regen ohne Hut umherlaufe. Ich setzte ihm den Grund meiner Hutlosigkeit auseinander, bedeutete ihm, daß ich eben vom Etappencommandanten komme, und gab ihm die Versicherung, daß er, wenn er sonst etwas wünsche, mich in der Scheune bei der Wache finden könne. Er blieb indessen dabei, mich für höchst verdächtig anzusehen und verpflichtete einen erstaunten Jäger, mich scharf im Auge zu behalten, bis er zurückkomme.

Nach dem Ausspruche des Etappencommandanten glaubte ich über alle Schwierigkeit hinaus zu sein und bereitete mich nun ernstlich zum Schlafen vor. Ich hatte eben meine nassen Stiefel ausgezogen und mich in meine wollene Decke gehüllt, als abermals ein Officier erschien – diesmal ein anderer, glaub’ ich; man nannte einen Herrn von Weltzien – der von dem ungehobelten Wachtmeister begleitet war und mir befahl aufzustehen und alle meine Sachen nebst Schlüssel abzuliefern.

Etwas verwundert folgte ich dieser Weisung und wurde in einen Stall geführt, in welchem eine Reihe von Gensd’armen an der Erde lagen. Einer derselben mußte aufstehen, und mir wurde sein Platz als Schlafstelle angewiesen. Ich ersuchte, da ich ganz naß war, um meine Decke, allein man meinte, ich müßte – mich ohne dieselbe behelfen. Glücklicherweise hatte man mir meinen Gummimantel gelassen; in diesen gehüllt, schlief ich – höchlich amüsirt – ein.

Es dauerte das aber nur einige Minuten. Ich ward abermals aufgefordert aufzustehen und in das Wachtzimmer der Gensd’armerie geführt. Hier untersuchte man meine Taschen, nahm deren Inhalt in Beschlag, befühlte mich sehr sorgfältig, und als ich die Hosen abziehen mußte, glaubte ich wirklich, daß eine specifisch mecklenburgische Operation mit mir vorgenommen werden sollte, welche meine sonst nicht so leicht zu erschütternde heitere Laune doch wohl auf eine gefährliche Probe gestellt haben würde. - „Es ist wunderbar!“ hörte ich jetzt einen der neugierig Umstehenden sagen, und auf Befragen wurde mir die Lüge aufgetischt, daß ich jemand außerordentlich ähnlich sehe, der wiederholt signalisirt worden sei. Ein Anderer gab mir indessen die Schlüssel zu der mir zu Theil gewordenen Behandlung, indem er

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 642. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_642.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)