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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Kutscher riß sie mit aller Kraft zurück, aber ein neuer Anlauf, den die Pferde nahmen, warf ihn vom Kutschbock herab und in den Straßenkoth. Die Pferde rasten mit dem schwerfälligen Wagen, welcher jeden Augenblick umzuwerfen drohte, davon, die Fürstin war in Gefahr – sie richtete sich vom Sitze auf und suchte das Fenster zu öffnen, vergebens. Der Pöbel schrie und lief dem Wagen nach, wodurch die Pferde nur noch scheuer wurden. Da, im entscheidenden Augenblick stürzte sich Lieutenant Koltoff dem Gespann entgegen, warf sich den Pferden in die Zügel und brachte sie zum Stehen. Lapinski war in der nächsten Secunde gleichfalls zur Stelle und faßte die Pferde, während Koltoff den zertrümmerten Wagenschlag öffnete und die Fürstin, welche, von Glassplittern verwundet, am Kopfe und an den Händen blutend, ohnmächtig geworden war, heraushob. Er trug sie auf seinen Armen in ihr Palais zurück und ließ sie auf einen Lehnstuhl, den die herbeigeeilte Dienerschaft im Thorwege aufstellte, nieder. Während ihre Kammermädchen ihr mit Wasser und Essenzen Hülfe leisteten, lag der junge Officier unbekümmert um die gaffende Umgebung vor ihr auf den Knieen und bedeckte ihre Hände mit Küssen. Endlich schlug die Fürstin die Augen auf, sah Koltoff lange und erstaunt an und fragte:

„Was ist geschehen? Wo bin ich?“

Der junge Officier erklärte ihr die Lage, in welcher sie sich befand, indeß kam sie selbst vollkommen zur Besinnung und dankte ihrem Retter mit einigen abgebrochenen Worten, dann erhob sie sich und zog sich, auf den Arm ihrer alten Amme gestützt, in ihre Gemächer zurück.

Koltoff suchte seinen Freund auf, welcher ihn mit einem selbstgefälligen Lächeln erwartete.

„Nun, Du dankst mir nicht einmal,“ begann er, „habe ich meine Sache nicht gut gemacht?“

Koltoff verstand seinen Cameraden nicht und sah ihn mit unzweideutigem Erstaunen an. „Du – wie soll ich das verstehen?“ stammelte er endlich.

„Hältst Du Dich für so einen Glückspilz,“ erwiderte Lapinski, „daß die fürstlich Mentschikoff’schen Pferde Dir zu lieb aus eigenem Antriebe durchgehen, damit Du die Ehre und das Vergnügen hast ihre Gebieterin zu retten?“

Koltoff war vollständig verblüfft. „Also Du hast – aber wie?“ stotterte er.

„Hast Du den alten Bettler bemerkt, welcher sich an den Pferden zu schaffen machte, während Deine Göttin einstieg?“ fragte Lapinski.

„Ja, nun?“

„Der geriebene Bursche hat dem einen Gaul, mit dem ich übrigens das lebhafteste Bedauern fühle, einen brennenden Feuerschwamm in die Nüster gesteckt.“

„In Deinem Auftrag?“ schrie Koltoff auf.

„Allerdings, damit Du Gelegenheit habest, der Fürstin das Leben zu retten,“ entgegnete sein Camerad mit vollkommener Seelenruhe.

„Du bist ja ein furchtbarer Mensch!“ rief Koltoff. „Bedenke, welches Unglück geschehen konnte!“

„Ich habe keinerlei Bedenklichkeit, wo es das Glück, das Leben eines Freundes gilt,“ erwiderte Lapinski. „Uebrigens ist Alles gut abgelaufen, wozu sich also jetzt über alle möglichen und unmöglichen Möglichkeiten den Kopf zerbrechen!“

„Aber wenn die Fürstin todt geblieben wäre?“

„Nun, so hätten wir sie beweint,“ entgegnete der leichtfertige Gardelieutenant, „und das Heirathslexikon von Neuem zu Rathe gezogen. Aber sie ist vor der Hand nicht gestorben und der Schreck, den der Herr Major trotz seiner schönen Uniform und seinem Degen ausgestanden, wird ihm hoffentlich nicht schaden. Du bist jetzt auf das Glänzendste bei der schönen Lubina eingeführt und ich kann es mir lebhaft vorstellen, wie sie jetzt aufgelöst auf ihrer Ottomane ruht und Du ihr im Traume erscheinst, schön wie Adonis, stark und muthig wie Hercules, von bengalischen Flammen effectvoll beleuchtet. Komm, mein Junge, trinken wir eine Flasche guten Weins –“

„Ja, das wollen wir,“ stimmte Koltoff bei, „auf das Wohl der Fürstin –“

„Was fällt Dir ein?“ lachte Lapinski; „auf jenen großen Unbekannten, der den Feuerschwamm entdeckt hat!“

(Fortsetzung folgt.)




Zu Straßburg auf der Schanz’.

Vom Maler R. Heck aus Stuttgart.

Bei Appenweiher die Melodie des alten Soldatenliedes im Eisenbahnwagen vor mich hinmurmelnd, begleitet von den Tactschlägen der Kanonade rings um die „wunderschöne Stadt“, hörte ich in meiner Nähe von einem muntern badischen Pionnier das Wort „Mundolsheim“ aussprechen; ich redete ihn an: „Wohin reisen Sie, Camerad?“ Antwort: „Ins Hauptquartier.“

„Ich auch.“

„Nu, da gehn wer mitenanner,“ rief er, streckte die Hand her, ich schlug ein und wir waren von da ab Reisecameraden. In Kork war scharfe Visitation; die gute Empfehlung des württembergischen Kriegsministeriums aber gestattete dem mürrischen badischen Gensdarmeriewachtmeister nicht, auch mich abzuweisen wie es den meisten Anderen, eben Angekommenen geschah, und so konnte ich mit Einbruch der Nacht, auf einer Munitionkiste sitzend, mitsammt meinem Pionnier und einem requirirten Elsässer Fuhrmann dem Rhein zufahren. Das von preußischen Landwehrleuten zum Zerplatzen volle Auendorf war bald passirt, und eben wollten wir durch einen dem Strome zuneigenden Landeinschnitt vollends zur Fähre kommen, als ein donnerndes „Halt!“ uns an den Fleck bannte. „Feldgeschrei?“

„Zündschnur!“

„Losung?“

„Heinrich!“

„Kann weiter!“

So klang’s vom Wagen zum Posten hinauf und herunter, und ein paar Augenblicke später standen wir am Ufer. Ein Zeichen über den Rhein hinübergegeben rief aus dem Dunkel der jenseitigen Büsche außer der allmählich zu uns heranschwimmenden Fähre das Blinken einer Reihe von Bajonneten hervor; drüben angekommen, fanden wir die ziemlich starke Wache, ebenfalls preußische Landwehr, noch in großer Aufregung über einen am Abend stattgehabten Vorfall. Noch bebend vor Zorn erzählte uns die Rheinwache, daß einer der Ihrigen, der dritte Mann einer Streifpatrouille, von etwa zwanzig in den Büschen versteckten Franzosen abgeschnitten und gefangen worden sei; das konnte der wackere Landwehrmann um keinen Preis hinunterwinden; lieber in Stücke hätte er sich reißen lassen, meinte er, als den Windbeuteln einen Cameraden zu lassen.

Weiter führte uns aber der Weg; den wallenden, wie dunkles Silber auch in der Nacht leuchtenden Strom verlassend, dagegen fortwährend begleitet von dem Wetterleuchten der fernen Geschützesblitze und dem rollenden Donner derselben, ging’s eine Stunde lang, oft auf Feldwegen, durch Busch und Wald. Der Pionnier hatte seinen Carabiner auf den Knieen, ich die Hand am Revolver, aber es kam uns kein offener Feind in den Weg, und so fuhren wir Nachts in Mundolsheim in einen jener mächtigen, mit stattlichem Steinthor gegen die Straße abgeschlossenen Höfe ein, um mit meinem Genossen in der Scheune ein ganz erträgliches Nachtquartier zu finden. Mein erster Besuch am nächsten Morgen galt dem Hause des Höchstcommandirenden, des Generallieutenants von Werder, und schon nach wenigen Minuten hatte ich einen vom Generalcommando unterzeichneten Paß in Händen, welcher mich berechtigte, überallhin, selbst zu den äußersten deutschen Vorposten zu gehen. Rittmeister von Lepell, preußischer Militärbevollmächtigter in Baden und hier Adjutant des Obergenerals, war der Aussteller, und in ihm lernte ich, wie auch am anderen Tage, in einer Reihe von anderen Trägern der verschiedensten Rangtitel des preußischen Officiercorps eine Reihe von Männern kennen, bei welchen ich nicht wußte, was in erster Linie mehr als rühmenswerth zu nennen wäre: ihre persönliche Liebenswürdigkeit und Gefälligkeit oder ihre in jeder Linie sich aussprechende ritterliche Soldatentüchtigkeit.

Früh am zweiten Morgen schritt ich rüstig fürbaß in schnurgerader Linie über die Felder auf die Straßburger Vorstadt

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 652. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_652.jpg&oldid=- (Version vom 23.5.2019)