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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Während die Serenade schwenkte und abmarschirte, wobei Lapinski noch tüchtig wirbeln ließ, stieg Koltoff langsam, bei jedem Treppenabsatz anhaltend und Athem schöpfend, die Stiege empor. Der Kammerdiener führte ihn durch eine Flucht herrlich eingerichteter Säle, schlug eine Portière zurück, und im nächsten Augenblicke stand der junge Officier der reizenden Frau gegenüber, mit ihr allein in einem Boudoir, wie es nur jene Zeit so coquett und sinneverwirrend einzurichten verstand.

Die Fürstin war so tactvoll, nicht nach seinem Freunde zu fragen, sondern lud Koltoff mit der anmuthigsten Handbewegung und dem liebenswürdigsten Lächeln, als verstehe sich ihr Tête à Tête von selbst, ein, neben ihr auf dem echt türkischen Divan Platz zu nehmen.

„Vergeben Sie,“ begann Koltoff, „Fürstin, die armselige Art und Weise, in der ich meiner Freude über Ihre Rettung aus einer so ernsten Gefahr Ausdruck gegeben habe, aber –“

„Weshalb vergeben?“ unterbrach ihn die Fürstin. „Es war eine echt militärische Serenade.“

„Sie sind zu gütig,“ erwiderte der Gardelieutenant; „aber ich bitte nochmals, nicht danach meine Gefühle für Sie zu beurtheilen.“

„Ich bin von Ihren guten Gesinnungen gegen mich überzeugt,“ sagte die schöne Frau, indem sie ihre dunkle Sammetmantille fallen ließ und die Büste einer olympischen Göttin zeigte.

„O, ich wäre glücklich, wenn ich mein Blut für Sie verspritzen, mein Leben für Sie geben könnte!“ rief Koltoff leidenschaftlich erregt.

„Illusionen der Jugend!“ sprach die Fürstin; „aber Sie wählen Worte, wie man sie nur einer Frau gegenüber gebraucht, welche man liebt.“

„Und Sie finden es recht traurig, daß ein armer Lieutenant die Fürstin Mentschikoff zu lieben wagt?“

„Traurig? Nein.“

„Also lächerlich!“ rief Koltoff.

„Noch weniger,“ erwiderte die schöne Frau, mit den Spitzen ihres Deshabillés spielend. Zugleich zuckte ein muthwilliges Lächeln um ihre Mundwinkel.

„Aber Sie lachen doch,“ rief Koltoff vorwurfsvoll.

„Ueber Ihre Zaghaftigkeit,“ entgegnete die coquette Rococoschöne, „sie steht dem Soldaten schlecht an.“

„Sie ermuthigen mich also?“

„Wozu?“

„Sie zu lieben.“

„Lieben Sie mich denn?“ rief die Fürstin und schlug ein helles Lachen an.

„Aber jetzt lachen Sie doch über den armen Lieutenant!“ sagte Koltoff bitter.

„Bei Gott, nein!“ entgegnete die Fürstin auf einmal sehr ernst.

„Lachen Sie nur,“ fuhr der junge Officier fort, „verspotten Sie mich auf das Unbarmherzigste, ich liebe Sie dennoch und werde Sie immer lieben; ich bin glückselig, daß ich Ihnen nun einmal sagen darf, wie sehr, wie unaussprechlich ich Sie liebe, wenn Sie mich auch auf der Stelle für immer aus Ihrer Nähe verbannen.“

„Wer sagt Ihnen, daß ich dies thue?“ entgegnete die Fürstin, welche sich offenbar an der jugendlichen Gluth des Lieutenants ergötzte.

„Sie verbannen mich nicht?“ schrie Koltoff aus.

Die schöne Lubina legte den Finger auf den Mund, um vorerst den Ausbruch seiner Freude ein wenig zu mäßigen, und als der hübsche Officier noch einmal noch dringender, aber leise fragte, schüttelte sie den Kopf. O, wie reizend, wie verheißend war dieses Kopfschütteln für Koltoff!

„Sie lieben mich also wieder?“ flüsterte er, von der Liebenswürdigkeit seines Vorgesetzten, des Majors vom Regimente Simbirsk, fortgerissen.

„Das habe ich nicht gesagt,“ beeilte sich Lubina, seine Hoffnungen coquett vernichtend, einzufallen, „aber –“ sie lächelte wieder mit ihrem bezaubernden Lächeln, „ich erlaube Ihnen, mich zu lieben.“

„Und Sie erlauben mir, um Ihre Gunst, um Ihre Hand zu werben?“ rief der von Neuem entflammte Lieutenant.

„Wie kühn auf einmal!“ sagte die Fürstin.

„Sie verbieten es mir wenigstens nicht?“ drängte Koltoff, ihre kleine Hand ergreifend, welche sich vergebens in die weißen Spitzenwellen zu retten suchte.

„Nein, nein,“ lachte Lubina.

In demselben Augenblicke lag Koltoff zu ihren Füßen und küßte ihre Hände, und die schöne Rococodame wurde auffallend roth, trotz der weißen und rothen Schminke, mit der ihr Gesicht bemalt war.




Einige Tage später, an einem warmen Sommernachmittage, gingen die Fürstin und Koltoff in einer schmalen Allee des Mentschikoff’schen Parkes, durch die dichte grüne Taxuswand vor der Sonne geschützt, auf und ab. Sie sprachen lange nicht, sondern schienen nur damit beschäftigt, mit ihren Blicken den Faltern zu folgen, welche paarweise über die Spaliere herein- und hinausflogen und, hier und da sich auf der Ecke niederlassend, ihre farbenprächtigen Flügel auseinanderspannten. Endlich schlug die schöne Lubina einen Seitenweg ein und sie kamen zu einem reizenden Plätzchen, einer massiven Steinbank, von den Zweigen einer alten Eiche beschattet, der gegenüber ein Springbrunnen plätscherte, und hinter der riesigen Marmormuschel, in welche derselbe sein helles schäumendes Wasser warf, stand eine von einem Italiener der Antike fein nachgebildete Gruppe, Venus und Adonis. Koltoff heftete seine Augen mit einem so seltsamen Ausdrucke auf diese Gruppe, daß Lubina, ihn leicht mit dem Fächer treffend, fragte, ob er die marmorne Dame schöner finde als sie.

Koltoff gab keine Antwort. Nach einer kleinen Weile seufzte er aber und sprach: „Glauben Sie nicht, daß die Menschen damals weit glücklicher waren als jetzt?“

„Sie meinen, weil die schönen Göttinnen des Olymps damals zu den Sterblichen herabstiegen?“

„Nein, weil sie lieben konnten,“ sprach Koltoff; „es ist, als hätten Corsett und Reifrock alle natürlichen Empfindungen erstickt.“

„Warum gerade Corsett und Reifrock?“ fiel die Fürstin ein. „Glauben Sie, daß das Jabot und der Zopf dem Herzen freieren Spielraum lassen?“

Der Lieutenant zuckte die Achseln, ihm schien es doch, daß er ordentlich liebe und darin den verliebten Heroen des Alterthums in Nichts nachgebe, aber die Fürstin war anderer Ansicht.

„Sie glauben mich zu lieben,“ sprach sie, „aber was ist das, was Sie da empfinden? Ein wenig Einbildung, ein wenig Eigensinn und sehr viel – Eitelkeit. Heut zu Tage liebt man nicht mehr, sondern hat Liaisons, und nicht das Herz, nicht die Leidenschaft sind es, welche diese zarten Bande knüpfen, nur die Langeweile.“

„Und was hätte diesen Umschwung in der menschlichen Natur hervorgebracht?“

„Die Philosophie,“ erwiderte die Rococodame, „wir denken zu viel über unsere Gefühle nach, als daß dieselben tiefe Wurzeln fassen könnten, und wir haben Ideale, welche uns die Freude an der Wirklichkeit verderben, und wäre die letztere noch so schön, noch so lachend. Bleiben wir gleich bei mir selbst stehen. Sie haben mir, gleich im ersten Augenblicke, als ich nach jenem Unfall zur Besinnung kam und Sie vor mir knieen sah, sehr wohl gefallen –“

Koltoff erröthete und blickte verschämt zu Boden.

„Sie gefielen mir an jenem Abende, wo Sie mir nach der originellen Serenade Ihre Liebe gestanden,“ fuhr Lubina fort, „beinahe noch besser, und jetzt –“

„Jetzt finden Sie mich bereits unausstehlich!“ rief Koltoff.

„Nein,“ erwiderte die Fürstin, mit ihrem Fächer und jedem einzelnen Worte tändelnd, „jetzt glaube ich sogar, daß ich Sie liebe.“

„Sie lieben mich!“ schrie der junge Officier auf, und so heftig zwar, daß ein kleines Rothkehlchen, das vom Rande des Bassins aus neugierig mit seinen Edelsteinaugen das Paar betrachtet hatte, erschreckt aufflog.

„Es scheint,“ sagte die Fürstin, „oder was soll es bedeuten, daß mein Herz so heftig klopft, wenn Sie eintreten, und auch dann, wenn Sie bei mir sind, lange noch. Entscheiden Sie selbst.“ Und die coquette Schöne nahm die Hand des jungen Officiers und legte sie auf ihr Herz.

„In der That,“ stammelte Koltoff.

„Nun denn, nehmen wir an, daß ich Sie liebe,“ fuhr Lubina fort. „Wie lange werde ich Sie lieben? Ich bin so

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 670. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_670.jpg&oldid=- (Version vom 28.5.2019)