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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

wohl erfüllter Pflicht geben, so mußte man mit um so größerem Bedenken und um so größerem Kummer die Nachrichten entgegennehmen, welche von den Schlachtfeldern und aus deren Umgebung kamen. Als der Schlacht von Weißenburg die von Wörth folgte, zogen fast täglich Züge von Hülfsmannschaften durch Heidelberg, und so gingen auch solche von Heidelberg, theils unter Theilnahme der ausgezeichnetsten Männer der Hochschule, in jene Gegend. Sie fanden die Verhältnisse in der Nähe des Schlachtfeldes recht ungünstig. Während die Armee mit ihren geordneten Hülfsmitteln weiterzog, blieb es übrig, Tausende von Verwundeten aus Dörfern und einzelnen Häusern eines weiten Kreises des hügeligen Landes in schlechten Leiterwagen auf wenigem Stroh zur Eisenbahnstation Sulz zu verbringen. Dort gab es nur für Wenige ein Unterkommen und bei der durch das einspurige Geleise nur langsamen Abfuhr lagen die unglücklichen hungernd, zerschossen, sterbend auf faulender Streu in strömendem Regen tagelang rings um den Bahnhof, ein Jammerbild, welches nicht vergessen kann, wer es sah.

Wer von dort wiederkehrte, brachte die Ueberzeugung mit, die Mitwirkung des freiwilligen Sanitätsdienstes bis zur fechtenden Armee hin sei unentbehrlich; die Arbeit in den Tagen nach der Schlacht übersteige bei den entsetzlich mörderischen Waffen die Kräfte eines militärärztlichen Personals; dieses, in der Regel mit der Truppe abziehend, hinterlasse die Verwundeten, wo sie denn im Augenblick des Abmarsches liegen, und in welchem Zustande es auch sei, ohne nur die Möglichkeit zu haben, weitere Sorge für Behandlung, Pflege und Beförderung zu tragen.

Wir haben uns damals bemüht, die Einsetzung eines „Sanitätsetappenwesens“ zu veranlassen. Die Spitzen hätten sich bei den Hauptquartieren zu befinden, die Etappen auf den Eisenbahnknotenpunkten und an den wichtigeren Hospitalplätzen. Die Aufgabe wäre einerseits die Entlastung der Militärärzte durch Anziehen freiwilliger Kräfte für den Fall der Schlacht, Marschroutennachweis, Vertheilung, Controle und Zurücksendung oder Ablösung für dieselben, andererseits Rücksendung der Verwundeten, Leitung der Einladung, Bestimmung der Anhalte zu Erfrischung und Verband, Stellung der Begleitmannschaften aus rückkehrenden Hülfsmännern. Telegraphischer Verkehr hätte die Stationen über die Bedürfnisse an der Spitze und die Kräfte an der Basis zu unterrichten.

Bei der großen Zahl von Personen, welche eifrig zu dienen wünschten, wäre es möglich gewesen, nach den ersten übeln Erfahrungen in wenigen Tagen diese Einrichtung herzustellen. Es scheint auch, als wenn die Anregung, welche an hoher Stelle vollstes Verständniß und hülfreiche Aufnahme fand, einigen Erfolg gehabt habe, wenn sie auch nicht die volle Einsetzung eines solchen Institutes bewirkte. Es war eben die Leitung der freiwilligen Krankenpflege den Händen der Johanniter- und Maltesergenossenschaft übertragen. Ich habe viel Gelegenheit gehabt zu sehen, daß diese Genossenschaft theils durch Beibringung von Wartepersonal und Hülfsmitteln, theils in den einzelnen Mitgliedern durch persönliche Hingebung unendlich viel Gutes stiftete; aber es war von Anfang an klar, daß dieselbe trotz der Erfahrungen von 1866 der Gesammtaufgabe der freiwilligen Krankenpflege beim Heere vollständig nicht gewachsen war. Wir werden darauf zurückkommen.

Es war zweckdienlich, sich selbst umzusehen, und als die Botschaft von der Schlacht vor Metz, von der von Mars la Tour ankam, eilte ich, eine Stunde nach Eingang der telegraphischen Ermächtigung des großherzoglichen Kriegsministeriums, mit einer starken Heidelberger Abtheilung zum Kampfplatze. Fünfzehn Mann standen unter Professor W., siebzehn unter mir selbst. Die Schicksale solcher Colonnen entscheiden über ihren Nutzen. So darf ich den Lesern eine Skizze unseres Zuges geben, kleine Erlebnisse inmitten der riesenhaften Ereignisse, deren die Geschichte in vielen Jahrhunderten nicht vergessen wird. –

Wir fuhren am 18. August Nachmittags ab. Jeder hatte den Ranzen voll von Binden, Tüchern, Compressen, Charpie, Heftpflaster, Oel und Carbolsäure zum Verbande; Gypsbinden und loser Gyps sorglich in Blechkapseln gepackt; die Feldflaschen, den Brodbeutel, welcher auch beim Verbinden sehr bequem ist, wohl gefüllt. Das Ganze meiner Abtheilung führte zwei Tragbahren, einige Laternen, eine Kiste mit Reserveverbandzeug; ich selbst noch ein compendiöses Amputationsbesteck, Kugelzange, mehrere Katheter, einige Arzneien und Chloroform. Wenn es sein mußte, konnten wir Alles selbst tragen. Wachstuchkappen mit Cocarde vom rothen Kreuz im weißen Felde gaben uns das Ansehen der Zusammengehörigkeit. Für gewöhnliche Verhältnisse bestritt der Einzelne seine Ausgaben, für außergewöhnliche und allgemeine Unkosten gab der Verein eine Summe mit. Wir waren gemischt aus vielen Völkern der Erde. Neben Deutschen verschiedener Provinzen hatte ich unter mir Schweizer, Nordamerikaner, Russen, einen Chilenen, den Japanesen Kinsai Akahossi, welcher bei uns Medicin studirte.

Unterwegs schon hatten wir Gelegenheit, uns bei drei begegnenden Zügen mit Verwundeten nützlich zu machen. Sie kamen von Metz und wir verbanden sie und erquickten sie mit Wein. In Remilly rieth man uns, die Richtung gegen das Schlachtfeld vom 16. August jenseits der Mosel zu nehmen und nach einigen Stunden rührigen Mitwirkens im Operiren, Verbinden und Tragen erhielten wir von dem sehr gefälligen Etappen-Commandanten zwei Leiterwagen nach Pont à Mousson und achtzehn Portionen Mundvorrath, den wir noch durch französischen Zwieback, der in ungeheuren Massen am Bahnhofe lag, verstärkten.

In Pont à Mousson traf uns die Nachricht von dem entscheidenden Sieg der deutschen Waffen bei Rézonville oder Gravelotte. Aber das Entsetzen über die schrecklichen Verluste, in zwei Tagen wohl über dreißigtausend Mann, hatte sich auch schon bis hierher verbreitet. „Sie werden sehr willkommen sein, eilen Sie,“ sagten die Officiere. Wir zählten jeden Verwundeten, der uns begegnete, für einen Gewinn; war er doch nicht todt, konnte man doch hoffen, ihn zu retten, zu versorgen, ihm zu vergelten, was er für uns gelitten.

Wir verließen am 20. August in der Frühe die Stadt, nachdem sich meine Leute militärisch pünktlich versammelt, und wir uns einen Feldkessel, einiges Geschirr, gute große Brode gekauft und Wein eingefüllt hatten. Heu erhielten wir nur mit Mühe, und Hafer erst unterwegs gegen Quittung von einem campirenden Divisionsmagazine. Wir fuhren, was die Pferde leisten konnten, die Mosel hinab nach Novéant und Ars sur Moselle. Viehtreiber, Munitionswagen, Dragoner und selbst die gestrengen Armeegensd’armen ließen das rothe Kreuz außer der Reihe vor. Sehr viele Verwundete, theils von Gorze her, theils von Ars, begegneten uns, oft zu Fuß. Einigen wurde mit Verband und Erfrischung geholfen. Wir näherten uns mehr dem Terrain vom 18. August, wo wohl noch am meisten Hülfe nöthig war.

In Ars traf ich gleich am Eingang des Ortes den mir befreundeten Stabsarzt Dr. S., der dort sein Lazareth eingerichtet hatte. An ihn gab ich Chloroform, Gypsbinden und anderes Verbandzeug ab. Seine Bitte, meine Leute möchten sich doch um die Erfrischung der zahlreich durchziehenden Verwundeten bemühen, scheiterte zunächst an grober Abweisung eines Johanniters, welcher meinte, daß der Arzt hier gar nichts zu befehlen habe. Es ist dies die eine Stelle, wo ich Mitglieder dieses Ordens herb tadeln muß. Sonst war nur die Klage, daß der Mangel eines geordneten Betriebes es meist unmöglich erscheinen ließ, von den Herren eine Auskunft zu erhalten, wo und mit was man nützen könne, während doch überall Elend herrschte, daß sie sich, während jeder, selbst der höchste Officier uns nach allen Kräften hülfreich war, ausweichend und ablehnend verhielten. Hier traf die Herren der Vorwurf, daß sie den Posten, in dem sie saßen, durchaus nicht ausfüllten. Die Verwundeten, die vom Ehrenfelde von Gravelotte herabfuhren, starben nahezu Hungers, während die Johanniter mit den höheren Officieren unbefangen plauderten. Und doch war im Gasthause Suppe, Braten, Gemüse, Wein noch in Menge fertig und zu mäßigen Preisen zu haben.

Gerade in solchen Augenblicken einer außeretatmäßigen Noth könnten Herren von hohem Namen, denen außer eigner Wohlhabenheit große Mittel der öffentlichen Freigebigkeit zur Verfügung stehen, und denen eine ganz unbeschränkte, controlelose Verwaltung nachgesehen wird, Ungemeines nützen, in die Lücken der Staatsverwaltung eintreten, und wenn sie das nicht thun, nachdem sie doch in die Ehren der Stellung eingetreten sind, trifft sie mit Recht schwere Verantwortung. Am Ausgange des Städtchens, wo unsere Wagen standen, improvisirte sich denn unsere Speisungsstätte auch ohne Johanniter. Mit größter Begierde wurden von den Verwundeten zwanzig bis dreißig Commißbrode, welche unsere Fuhrleute für die Pferde aufbewahrt hatten und die sehr gut waren, Schiffszwieback und Speck angenommen. Unsere Bohnensuppe wanderte in das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 674. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_674.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)