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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

man kann sie mit oder ohne Bahre beim Ein- und Ausladen und mit der Bahre beim Transporte der schwerst Verletzten in’s Spital benutzen, und man kann mit ihnen ein Spital sofort und überall improvisiren.

Wir trafen in regnerischer Nacht in Remilly ein, und es war Glück, daß wir in Villa Roland, in welcher Johanniter mit ihrem Personal eingezogen waren, ein Obdach fanden. Die Herren halfen uns auch bestens, daß wir vom Bahnhofe etwas Stroh geliehen bekamen. Uebrigens konnten wir auch hier leicht merken, daß man uns für überflüssig ansah und als Concurrenten um die wenigen Bequemlichkeiten betrachtete, welche das überfüllte und ausgesogene Oertchen noch bot. Klarer wurde das in der Frühe am Bahnhofe; es wimmelte jetzt so von männlichen und weiblichen Hülfsleuten aller Art, daß mir auf jeden Verwundeten mindestens eine solche Person zu kommen schien. Ich ließ also noch einige Zeit beim Verbinden und Einladen helfen, gab das Meiste von Arzneien und Verband, was wir noch hatten, ab und benutzte dann die freundlichst von Generallieutenant von Tiedemann gewährte Erlaubniß, in einem Extrazug nach Saarbrücken mitzufahren. Wir speisten dort an einem gedeckten Tisch, sahen die Zerstörungen durch Brand und Geschützkugeln, kamen Abends bis Neunkirchen und anderen Tages, genau eine Woche nach unserer Abfahrt, nach Heidelberg zurück.


Meine nun gesammelten Erfahrungen konnten die Vorstellungen, die ich mir nach fremden Berichten gebildet hatte, im Wesentlichen nur bestätigen. Es sind alle nöthigen Hülfsmittel vorhanden, welche im freiwilligen Sanitätsdienst die militärärztliche Thätigkeit und die militärische Pflege ergänzen können; aber die Art ihrer Verwendung hat sehr zu wünschen übrig gelassen und wird das stets thun, wenn nicht eine bestimmte Ordnung herrscht. Diese ist nicht denkbar ohne ein Sanitäts-Etappenwesen, welches zwar an kleinen Orten von dem gewöhnlichen militärischen Commando mit besorgt werden kann, an den wichtigeren aber besondere eifrige und einsichtige Personen verlangt, in deren Thätigkeit nicht eine Concurrenz der Pflichten eintritt. Die Johanniter und Malteserritter würden die betreffenden Stellen in den meisten Punkten ausfüllen können; aber auf unserem Zuge habe ich nirgends gesehen, daß sie das eingerichtet hätten, was dazu zunächst nothwendig ist, Sanitätsbehörden an Bahnhöfen und an den Plätzen, wohin nach der Schlacht die Verwundeten zunächst kommen, in welcher Jeder die nöthige Auskunft und Anweisung erhalten kann. Ich weiß nicht, ob es nur im Gebiete der dritten Armee geschah, daß die Hülfscolonnen so ganz auf eigene Hand ihren Weg gehen mußten und so an allen möglichen Hindernissen scheiterten, um, wenn es ihnen selbst, zum Theil durch persönliche Beziehungen, besonders glücklich ging, doch das Gefühl mitzunehmen, das, was sie hatten thun können, entspreche nicht den eigenen Opfern, vielleicht nicht einmal der Mühe und den Kosten, die dem Staate und der Armee durch ihre Beförderung und Verproviantirung erwachsen waren.

Anderen ging es ganz schlecht; ein ausgerüsteter Zug von Karlsruhe und Heidelberg fuhr, um Verwundete zu holen, nach Remilly und Courcelles, wo man ihm ungern ein paar Mann abgab, und kam unverrichteter Sache mit allem Material zurück, während zugleich Tausende von Sedan gegen Nancy gingen und dort die Hülfe, die Matratzen, die Erfrischungen, das Verbandzeug dringend begehrten. Wie leicht wäre eine Depesche gewesen: „Alle Hülfsmannschaften sind über Nancy zu leiten,“ wenn nur Jemand dagewesen wäre, der sich mit dem Hinterlande darüber in Beziehung zu setzen die tägliche Pflicht gehabt hätte. Und das fast zwei Monate nach der Kriegserklärung!

Außer dem Mangel an genügender oberer Leitung hat sich im Kleinen eine Art von Concurrenz zwischen dem von den Rittern beigeführten Personal und anderen freiwilligen Hülfsmannschaften ausgebildet, welche zum Theil eine Fortsetzung von dem Kriege ist, welcher mehr oder weniger versteckt überall da entsteht, wo specifische Genossenschaften die Krankenpflege übernehmen. Hier trat sie noch etwas stärker auf, wo es sich nicht allein darum handelte, die mühsame Pflege einander streitig zu machen, mit dem zum großen Theile idealen, darin liegenden Gewinn, sondern auch häufig um reale Dinge, entweder sehr nothwendige Erfordernisse der Existenz, als ein Bett, ein Stück Brod und selbst Wasser, oder gewisse außerordentliche Genüsse aus Liebesgaben, deren Werth bei sonstigen Entbehrungen sehr steigt, als eine Flasche Portwein, ein Glas Cognac, eine Tafel Chocolade, eine feine Cigarre. Indem die Herren Ritter häufig mehr im Besitz dieser Vortheile erachtet werden mögen, als sie es sind, jedenfalls aber stets am besten daran sind und ihr Personal einen gewissen Egoismus ausgebildet, allen Besitz hartnäckig zu vertheidigen sich gewöhnt hat, sind sie nicht allein in Kriegszustand mit den „Schlachtenbummlern“ gerathen, die sie selbst durch den Mangel an geordneter Verwendung groß gezogen, sondern noch viel mehr mit den Militärärzten, namentlich den niederen, als deren Gehülfen und Lieferanten sie sich zu betrachten gehabt hätten, und deren bittere Klagen kein Ende finden. Das könnte nicht so allgemein sein, wenn nicht viel Wahres daran wäre, und kann nicht ausgeglichen erscheinen, wenn an einzelnen Stellen, so von mir selbst und mehr vom Professor Billroth, das beste Zeugniß gegeben werden kann.

Die wichtigsten Personen sind auch im freiwilligen Sanitätsdienste die Aerzte, sie müssen den Mittelpunkt der Thätigkeit bilden. Sollen sie in ihrem Thun abhängen von Gunst und Gnade, so gehen sie davon. Die freiwilligen Aerzte haben sich, so lange Militärärzte an der Stelle sind, diesen anzuschließen und durch sie ihre Verwendung zu finden. Es ist sehr nützlich, wenn sie die nöthigen Hülfsmannschaften mit sich bringen, sonst sind ihnen solche zuzuweisen, sei es von den Leuten der Johanniter, sei es aus anderen freiwilligen Corps. Hülfsmannschaften ohne verantwortliche Führer sind nirgends zuzulassen. Geht die Truppe mit ihren Aerzten ab, so sind die freiwilligen Aerzte und ihre Hülfsleute, soweit nöthig, ohne militärärztliche Leitung an den Nothspitälern und den Einladeorten zurückzuhalten, im Nothfalle zu ersetzen und je nachdem zu Hause oder vorwärts zu dirigiren. Man muß ihnen stets das Gefühl wach halten, daß sie ein nützliches Glied sind, und sie unterstützen und für sie sorgen. Das Alles muß in scharfem Dienste geschäftsmäßig von bestimmt dazu eingesetzten, findbaren Personen betrieben werden, nicht von solchen, die das Schlachtfeld bereiten oder überall gute Freunde haben, nach denen sie sich persönlich umsehen müssen.

Nur wenn eine ebenso geordnete Thätigkeit sich rückwärts gegen die Reservespitäler entfaltet, in welchen so viel Hingebung und so große finanzielle Opfer der Nation niedergelegt sind, wird es nicht vorkommen, daß eine Stadt jammert, weil man ihr keine Verwundeten sendet, während eine andere rathlos die Anzeige empfängt, daß sie in einer Stunde zweihundert erhalten werde, während sie kein Bett frei hat; daß wir wohl einen fünftägigen, einen zehntägigen und einen fünfzehntägigen Rapport über die Bestände machen müssen, aber nie erfahren, ob wir unsere Betten noch vermehren sollen, ob wir sie verringern dürfen.

In einer Zeit, in welcher der Patriotismus die Empfindung abstumpft gegen die Noth, die aus so vielen Quellen fließt, sind ferner nicht allein die Mittel des Staates, sondern auch die der freiwilligen Gabe auf das Gewissenhafteste zu verwenden. Was aus Unordnung unnütz daliegt, schadet noch mehr durch den schlechten Eindruck als durch den directen Verlust.

Das Sanitätsetappenwesen muß im Centrum des Staates und bei den Hauptquartieren durch Personen vertreten sein, denen man einen bedeutenden Einfluß einräumt. Sie müssen auf den Zwischenstationen über bestimmt instruirte Personen gebieten, welche an den Orten selbst gewählt werden können und in Verbindung mit den Militär- und Civilbehörden stehen. Es darf nicht Princip sein, diese Stellen ausschließlich einem Orden zu übertragen oder alle Mitglieder des Ordens als von vornherein nach Herz und Kopf dafür geeignet zu achten. Die wirklich tüchtigen Mitglieder dieses Ordens leiden in der That dadurch am meisten. Solche mögen gern ihre Stelle finden, sie werden sich am wenigsten gegen andere Helfer abschließen und das, was ihnen ihr persönlicher Einfluß und der Glanz ihres Namens möglich macht, für das heilige Werk ausnutzen, welches auch nur ein weiteres Band für das gesammte Deutschland und für Arm und Reich sein soll!




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 676. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_676.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)