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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Man sah Hülfe! Zwei Stunden nach meiner Verwundung war mir bereits ein Gipsverband angelegt, ein seltenes Glück!

Meine Krankenträger gingen nun zur Batterie zurück, bis auf einen, der bei mir blieb, bis mein Bursche kam. Kaum hatte letzterer gehört, daß ich getroffen sei, so machte er sich auf, mich zu finden, was ihm auch bald gelang. Glücklicherweise hatte er noch etwas Wein und Brod bei sich; in kurzer Zeit war der kleine Vorrath aufgezehrt, und mit welchem Appetit! Seit Morgens sechs Uhr hatten wir nichts genossen und wahrhaftig Anstrengungen jeglicher Art gehabt.

Mein Bursche erzählte mir, während er an meinem Bette saß, daß er in der Nähe des Dorfes mein Pferd gesehen hätte. Sofort schickte ich ihn ab, dasselbe zu suchen. Trotzdem er ziemlich lange blieb, hatte er es nicht gefunden, brachte aber dafür folgende Sachen mit: Cigarren, Brod, eine große Blechkanne voll Schmalz, eine blecherne Büchse, deren Inhalt – Straßburger Gänseleberpastete war! Seiner Erzählung nach war er, um mein Pferd zu suchen, über das Schlachtfeld gegangen und so in das verlassene französische Lager gekommen. Hier habe er einen offenen Koffer gefunden. Da wir in der That gar nichts hatten, so habe er die ihm brauchbar erscheinenden Sachen daraus mitgenommen. Einen Revolver habe er ebenfalls mitnehmen wollen, aber gerade wie er danach habe greifen wollen, sei von einem unbekannten Schützen eine Kugel einen halben Zoll von seiner Hand entfernt in die Erde gefahren; da habe er das Ding liegen lassen, schnell nach dem Brode gegriffen, und sei wieder in das Dorf zurückgekehrt. Auf meine Frage, woher er die Blechbüchse habe, erzählte er mir, daß dort eine Kiste mit fünfzig bis sechszig solcher Büchsen stände. – Ich hätte mir nicht träumen lassen, daß es Jemandem einfallen würde, Terrinen mit Straßburger Gänseleber in’s Feld mitzunehmen! Später, als ich noch einmal hinausschickte, war die Kiste leer. Unsere Truppen werden diese französische Delicatesse auch zu würdigen gewußt haben. – Natürlich waren wir über diese Vorräthe sehr erfreut, und haben noch lange von ihnen gezehrt. Die Frage des Essens und Trinkens wurde nachher eine so wichtige, daß ich noch oft darauf zurückkommen werde.

Am Abend ziemlich spät brachte mein Diener auch mein Pferd. Das arme Thier hatte vier Kugeln, und dennoch lebte es; das vorgesetzte Futter hat es jedoch stehen lassen und nur etwas Wasser gesoffen. Mein Sattelzeug nahm ich an mich; aber leider hatte man die Satteltaschen ihres Inhaltes entleert, so daß ich mich rein dem Nichts gegenüber sah. Eine nochmalige Razzia meines Burschen, der durch einen schriftlichen Befehl dazu legitimirt wurde, verschaffte uns Lichter und mir eine Decke aus dem französischen Lager. Gräßlich soll es nach seiner Erzählung auf dem französischen Theile des Schlachtfeldes ausgesehen haben; so sagte er, daß in der Nähe der Chaussee wohl fünfzig feindliche Schützen in einer Reihe gelegen hätten, die aufrechtstehenden Tornister, welche sie als Deckung gebraucht hätten, vor sich, fast alle seien durch den Kopf oder Hals geschossen und die Tornister vielfach durchlöchert. Wahrlich ein Beweis für das ruhige und kaltblütige Schießen unserer Infanterie.


Mit der Decke ausgerüstet, glaubte ich die Nacht ruhig erwarten zu können, aber sie wurde fürchterlich. Die Fenster der Stube standen offen, um frische Luft im Zimmer zu erhalten. Jedes Wort, welches auf der Dorfgasse gesprochen wurde, konnte man hören. Jetzt marschirten Truppen durch; nachher wurden Compagnien und Bataillone von ihren Führern gesammelt; dann kam Cavallerie oder Artillerie mit Pferden, um dieselben zu tränken. Kurz und gut, es war ein Höllenlärm, und dazu das Jammern der Verwundeten, das Herein- und Hinausgelauf leicht Verwundeter, welche nach Bekannten suchten, und das Unterbringen neuer Verwundeter. Wie gern hätte ich geschlafen!

(Schluß folgt.)




Aus eigener Kraft.
Von W. v. Hillern geb. Birch.
(Fortsetzung.)

Alfred zog, ohne daß er weiter zu beachten schien, wie Anna und Victor in Uebermuth und Ausgelassenheit neben ihm scherzten, ein Blatt Papier heraus.

„Joseph,“ sagte er zu seinem ehemaligen Patienten, „der Krankenwärter fand heute, nachdem Du fort warst, zwischen der Wand und dem Bette eingeklemmt, diese Zeichnung, die nur von Dir herstammen kann, da die Unterschrift ‚der Doctor-Baron‘ von Deiner Hand ist. Dieses Portrait ist aber so merkwürdig ähnlich, trotz der mangelhaften Ausführung, daß ich Dich ernstlich bitte, falls Du noch mehr Derartiges gemacht hast, es mir zu zeigen, denn solch’ ein Talent verdient Beachtung.“

Joseph wurde höchlich verlegen und blickte auf Alfred’s Begleiter und die übrigen Umstehenden. „Ich habe wohl noch mehr solche Bilder, aber ich möchte sie nur Ihnen zeigen, Herr Doctor-Baron,“ bat er leise, „die Anderen lachen mich aus oder werden böse.“

„Nun, so zeige sie mir zuerst allein,“ sagte Alfred und gab den Uebrigen einen Wink zurückzubleiben.

„Die Mutter weiß auch nichts davon,“ erzählte Joseph, während er Alfred eine kleine Hühnertreppe empor auf den Speicher führte. „Sie hat mich immer gescholten, wenn sie mich beim Zeichnen erwischte, und gemeint, es sei Zeitverderb und ich solle lieber arbeiten. Da habe ich nun Angst, sie wird böse werden, wenn sie hört, daß ich doch heimlich gezeichnet und gemalt habe.“

„Gemalt hast Du auch?“ fragte Alfred und kroch gebückt unter dem Gebälk des niedrigen Speichers Joseph nach, der einen Haufen dürrer Hanfbüschel bei Seite räumte und eine alte schmutzige Schulmappe hervorzog.

„Je nun, wenn man das malen nennen kann! Ich hatte eben keine Farben und keinen Pinsel. Die Farben machte ich mir aus dem Saft von Blumenblättern, Obst oder Rüben und die Pinsel von meinen eigenen Haaren!“

Alfred sah den Burschen lächelnd an. „Ich liebe solche Menschen,“ sagte er, „die sich selbst zu helfen wissen.“

Joseph reichte ihm die Mappe. Sie enthielt eine Menge loser Blätter und schmutziger Papierfetzen, aus alten Schul- und Notenheften gerissen, Stücke gebrauchter Kaffeetüten, leere Rückseiten von Briefen und dergleichen mehr, alle vollgezeichnet und gemalt. Alfred betrachtete die vielen Versuche mit großer Aufmerksamkeit, die, je mehr er sah, in Staunen überging. Da waren ganze Blätter voll Nasen, Copien alter Kalenderbilder, Carricaturen, endlich unverkennbare Portraits, mit der Brühe von rothen Rüben oder Kirschen geschminkt und mit blauen Augen von Malvensaft.

„Das sind merkwürdige Versuche,“ sagte Alfred. „In Dir liegt ein großes Talent, Joseph, denn nur das Talent tritt so ohne jede Anleitung und Unterstützung zu Tage. Aber unbegreiflich ist es doch, wie Du gerade auf diese Kunst verfielst, von welcher Du in Deinem Dorfe gewiß keinerlei Anregung empfingst!“

„Ja, sehen Sie,“ erklärte Joseph, „das kommt eben daher, weil ich keine Nase hatte. Ach, lieber Herr, Jemand, der sein Lebtag eine Nase hatte, kann sich gar nicht vorstellen, wie es dem ist, der so lange keine hatte, wie ich! Von Klein auf wurde ich verhöhnt und verspottet wegen meiner Mißgestalt. Ich konnte gar nichts wünschen und um nichts beten, als ‚wenn ich nur eine Nase hätte‘. Da fing ich an, mir Nasen von Lehm zu machen und sie mir in’s Gesicht zu kleben, aber sie hielten ja nicht. Alle Tage besah ich mich im Brunnentrog und verglich mich mit anderen Menschen und fand alle, die eine Nase hatten, so viel schöner als mich und hatte solchen Respect vor ihnen. Und dann fing ich an, unter ihren Nasen auszusuchen, was für eine ich wohl haben möchte, wenn mir der liebe Gott vielleicht doch eine schenken wollte, und da gefiel mir die des Pfarrers und die von Schulmeisters Regeli am besten, und ich schaute sie immer wieder drum an, bis

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 679. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_679.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)