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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


„Ah! die Prinzessin muß also vor Ihrer Dirne, vor einer Landstreicherin zurückstehen!“ rief Lubina im höchsten Zorn.

„Sie vergessen sich,“ fiel Koltoff ein, während Fräulein von Narischkin, bis in die Lippen bleich, der Fürstin entgegentrat. „Ich verlange Genugthuung für diesen Schimpf, den ich nicht verdient habe,“ stammelte das brave, hochentrüstete Mädchen.

„Da haben Sie Ihre Genugthuung,“ rief die Fürstin und vergaß sich so weit, daß sie den Fächer erhob, um die Nebenbuhlerin zu schlagen. In demselben Augenblick trennten die Umstehenden, von der Handlungsweise Lubina’s empört, die Streitenden, aber der öffentliche Scandal war fertig; die Czarin befahl beiden Damen sofort den Saal zu verlassen.

Sie gehorchten. Die Fürstin wurde von dem Grafen Orloff zu ihrem Wagen gebracht, wo sie in convulsivisches Weinen ausbrach.

Fräulein von Narischkin hatte sich indeß, an dem Halse ihrer Mutter schluchzend, mit dem naiven Ausdruck zu Koltoff gewendet: „Ich kann Ihnen nicht helfen. Sie müssen mich jetzt heirathen.“

Koltoff, außer sich vor Entzücken, Ort und Umgebung vergessend, schloß das schöne beleidigte Mädchen an seine Brust, und Fräulein von Narischkin verließ den Winterpalast erst, nachdem sie den Capitain als ihren Bräutigam vorgestellt hatte.

Damit war aber die Sache nicht zu Ende.

Am nächsten Tage sendete Fräulein von Narischkin, ohne Wissen ihrer Eltern und ihres Bräutigams, Fräulein Hedwig von Niewelinski zu der Fürstin Lubina Mentschikoff mit einer Herausforderung zum Zweikampfe und die Fürstin nahm dieselbe „mit Vergnügen“ an. In der nächsten Stunde verhandelten die Secundanten der beiden Theile, Fräulein Hedwig von Niewelinski, Officier im Regimente Tobolsk, und Gräfin Saltikoff, Major im Regimente der finnischen Schützen, über die Bedingungen des Rencontres.

Es wurde festgesetzt, daß die Waffen Pistolen sein sollten, und die Gegner auf dreißig Schritt Entfernung auf Commando zu gleicher Zeit schießen, und zwar drei Mal. Wenn sich in diesen drei Gängen keine Verwundung ergäbe, so sei dadurch der Ehre Genüge geschehen und der Zweikampf als beendet anzusehen.


Den nächsten Morgen trafen sich die beiden Parteien in einem Wäldchen in der Nähe von Petersburg. Es war ein schöner, ruhiger, aber empfindlich kalter russischer Wintertag, weithin Nichts zu sehen als ein paar große Raben, welche mit ihren schwarzen Fittichen langsam über den weißen Himmel segelten.

Da der Schnee ziemlich hoch lag, so mußte für Duellanten und Zeugen erst die Bahn frei gemacht werden, wozu die Letzteren Bauern aus der Gegend requirirten. Als alle Vorbereitungen beendet waren, kam zuerst Fräulein von Narischkin in phantastisch prächtigem Schlitten, welcher einen großen weißen Schwan darstellte, und gleich nach ihr die Fürstin.

Beide Damen beeilten sich, die Bärenfelle, mit denen sie bedeckt waren, und die großen Pelze, in welche sie sich eingehüllt hatten, abzuwerfen, und standen sich nun, nachdem sie sich kalt, aber artig begrüßt, in der coquetten Amazonentracht jener Zeit gegenüber.

Die Fürstin Lubina Mentschikoff trug hohe schwarze Reitstiefel, über der reichfaltigen grünen Sammtrobe einen Ueberrock von gleichem Stoffe mit dem Aufschlage des Regimentes Simbirsk, reich mit Zobelpelz besetzt und mit Gold verschnürt.

Die Toilette des Fräuleins von Narischkin, der durch Katharinas Vorliebe sogar hoffähig gewordenen Kosakentracht nachgebildet, bestand in Halbstiefeln von rothem Saffian, einem kurzen rothen Sammtrock, welcher nicht weiter als bis zu dem Fußknöchel herabfiel, einer enganschließenden Jacke von demselben Stoffe mit breiter Hermelinverbrämung und einer hohen runden Mütze von Hermelin.

Die beiden Damen maßen sich mit Blicken, welche deutlich genug ihre Unversöhnlichkeit verriethen, dennoch versuchten die Secundanten, wie es ihre Pflicht war, dieselben zu einem Ausgleiche zu bewegen. Vergebens. Die Fürstin hatte erst auf der Fahrt zu dem Duellplatze erfahren, daß Fräulein von Narischkin die Braut Koltoff’s sei, und war entschlossen, ihre Nebenbuhlerin zu tödten.

So wurde denn die Entfernung abgeschritten, an den Stellen, wo sich die beiden duellirenden Damen aufstellen sollten, je ein Pflock eingeschlagen. Dann luden die Secundanten gemeinschaftlich die Pistolen und gaben endlich das Zeichen zur Aufstellung. Noch wenige Secunden und die Fürstin und Fräulein Narischkin standen sich gegenüber, die Pistole, den Hahn gespannt, in der Hand. Die Zeugen nahmen ihren Posten ein und gaben das Commando: „Fertig!“ Keine der beiden Amazonen verrieth eine Bangigkeit, im Gegentheil zeigten sich beide kaltblütig und unerschrocken wie alte geriebene Duellanten von Profession.

„Eins – zwei – drei –“

Zwei Schüsse blitzten.

Die Secundanten sprangen herzu. Niemand war verwundet. Man lud also die Waffen von Neuem und nahm von Neuem Stellung.

Noch einmal ertönte das Commando, noch einmal knallten die Pistolen; diesmal war die Mütze des Fräulein Narischkin von der Kugel der Fürstin durchlöchert. Fräulein Narischkin nahm sie ab, betrachtete sie lächelnd und stülpte sie wieder auf. Ehe jedoch die Pistolen zum dritten Male geladen werden konnten, kamen im Carrière zwei Reiter herbei, welche von Weitem schon mit einem weißen Tuche wehten, und zu gleicher Zeit wurde ein Schlitten sichtbar, welcher gleichfalls die Richtung nach dem Kampfplatze nahm.

Die beiden Reiter waren Koltoff und Lapinski. Sie sprangen von den schweißbedeckten schäumenden Pferden und der erstere eilte, die kämpfenden Damen zu trennen. Er bat, er beschwor, er drohte, Alles vergebens. Fräulein von Narischkin verlangte zornglühend, mit dem Fuße stampfend, Abbitte von Seite der Fürstin für die angethane Beleidigung; die schöne Wittwe wies dagegen jedes Ansinnen dieser Art mit stolzer höhnischer Heftigkeit zurück. Beide riefen endlich, man möge die Bahn frei geben, damit sie zum dritten Male die Kugeln wechseln könnten.

Während dieses Wortwechsels war der Schlitten, welcher, wie die Officiere, auch von Petersburg her kam, pfeilschnell herangeschossen, die dampfenden Rosse hielten unweit des Duellplatzes und zwei Damen, in kostbare Pelze gehüllt und dicht verschleiert, stiegen aus und nahten schnellen Schrittes. Die erste, im kaiserlichen Hermelin, majestätisch und gebieterisch, trat zwischen die Streitenden und gebot Einhalt, zugleich den Schleier zurückschlagend. Es war die Czarin Katharina die Zweite, ihre Begleiterin die Fürstin Daschkoff.

Die Czarin hatte von dem ungewöhnlichen Zweikampfe erfahren und war herbeigeeilt, um womöglich das Blutvergießen noch zu verhindern. Sie fragte die beiden Damen, welche in einiger Verlegenheit vor ihr standen, mit einem Blicke, welcher keinen Widerspruch aufkommen ließ, ob sie sich ihrem Schiedsspruche unterwerfen wollten.

Beide Duellantinnen verbeugten sich schweigend.

Die Monarchin ließ sich hierauf die Ursache des Zweikampfes mittheilen, aber sie begnügte sich nicht mit den Erklärungen der beiden Damen, sie forschte nach dem tieferen Grunde ihres Hasses, der sich so unzweideutig aussprach, und als sie Koltoff erblickte, wandte sie sich an ihn, und der junge Officier war ehrlich oder indiscret genug, Alles zu gestehen. Katharina die Zweite lächelte.

„Hören Sie also mein Urtheil in diesem seltsamen Streite,“ sprach die Dame. „Ich verbiete die Fortsetzung dieses Zweikampfes, der Ehre ist Genüge geschehen; was aber diesen jungen Officier betrifft, so befehle ich, daß er jener der beiden Damen seine Hand reichen soll, welche ihn mehr liebt.“

„Dann gehört er mir!“ rief die Fürstin.

„Nein, mir!“ fiel Fräulein Narischkin ein.

Beide schworen, daß sie nicht leben könnten ohne ihn.

Katharina die Zweite lächelte wieder.

„Sie machen mir die Sache recht schwer,“ sagte sie, die Achseln zuckend. „Indeß habe ich einen neuen Ausweg gefunden. Koltoff ist die Ursache dieses Streites, es ist daher gerecht, daß er seine Schuld büßt. Da Sie Beide gleich gerechte Ansprüche an seine Person zu haben glauben und es nicht möglich ist, ihn in zwei Theile zu theilen, so gebiete ich, daß er sich an jenen Baum dort stellt, und Sie, meine Damen, so lange auf ihn schießen, bis Ihr Blutdurst gesättigt ist.“

„Das ist ja nicht möglich!“ stammelte Fräulein von Narischkin.

„Was wäre unmöglich, wenn ich es befehle?!“ erwiderte die Kaiserin, die stolzen Brauen finster zusammenziehend „Vorwärts Koltoff, an jenen Baum dort!“

Der junge Officier war todtenbleich geworden, aber er gehorchte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 692. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_692.jpg&oldid=- (Version vom 10.6.2019)