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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Die ganze Besatzung zog dicht bei mir vorüber. An der Spitze marschirten die Gensd’armen, eine ganz besonders spitzbübisch aussehende Bande. Dann folgte das zehnte Chasseur-Regiment; dann das sechszehnte, dann das achtzehnte und das siebenundachtzigste Linienregiment und viertausend Mann Artillerie! Die Zahl der Zuaven und Turcos war nur gering; es schienen Ueberreste von allen möglichen versprengten Truppentheilen in Straßburg anwesend gewesen zu sein, wenigstens sah ich eine große Verschiedenheit von Uniformen. Die Stabsofficiere waren zu Pferde und alle Officiere trugen ihre Degen.

Die Capitulation war in der Nacht um zwei abgeschlossen worden. Am Abend vorher hatte man der ganzen Garnison neue Uniform gegeben, und fast jeder hatte sich mit einer großen Last unnützen Krams beladen. Viele schleppten Säcke, unter denen sie fast erlagen, und Alle hatten ein oder mehrere sehr gute Brode bei sich, da sich Alle vor dem deutschen Schwarzbrod fürchteten.

General Uhrich war natürlich mit bei der Gefangennahme, allein er zog nicht mit den Truppen vorüber, und ich habe ihn nicht gesehen. Als General von Werder erschien, wurde er von den deutschen Regimentern mit Hurrah empfangen.

Ein großer Theil der Gefangenen war betrunken. Die meisten schienen das Demüthigende ihrer Lage gar nicht zu empfinden; sie lachten, scherzten und lärmten. Einige waren sehr aufgeregt; sie riefen, daß sie wiederkommen würden, Andere, daß sie verkauft, aber nicht besiegt wären. Im Allgemeinen ging die ganze Scene übrigens ruhiger vorüber, als ich erwartet hätte, wenn auch nicht mit großer Ordnung. Die Preußen waren sehr nachsichtig. Artilleristen theilten unter den Gefangenen Cigarren aus und gaben ihnen aus ihren Feldflaschen zu trinken. Die grünen Felder schienen für die so lange in der Stadt Eingesperrten einen großen Reiz zu haben; Viele beluden sich mit Gemüsen, und ein Zwiebelfeld, über welches sie zu gehen hatten, wurde mit Jubel geplündert. Einzelne hatten Waffen behalten, die ihnen abgenommen wurden, sobald man sie entdeckte. Ein Artillerist hatte ein Gewehr unter seinem Mantel, und kaum hatte der lange Zug sich in Bewegung gesetzt, so legte er plötzlich auf einen Mann der Escorte an. Das Gewehr wurde ihm niedergeschlagen, so daß der Schuß keinen Schaden that, und als ich nach der Richtung, wo er gefallen war, hinsah, bemerkte ich, daß ein Stabsgensd’arm einen Hieb von oben herunterführte. Ich höre, daß der Artillerist verwundet in einem Lazarethe liegt. Ich war neugierig, wie sich die Turcos benehmen würden, von denen eine Anzahl mit gefangen waren, unter ihnen Burschen mit grauem Haar. Sie sahen lange nicht so häßlich aus, wie ich dachte, und manche waren sogar recht hübsch. Die meisten betrugen sich sehr ruhig, bis auf Einen, der höchst sonderbar aussah. Ein Haarbüschel, den er mitten auf dem Kopf hatte, stand wunderlich steif in die Höhe und wackelte bei den seltsamen Bewegungen des Menschen hin und her, der entweder betrunken oder in einer Art von Ekstase sein mußte.

Die Gefangenen, hieß es, sollten die Nacht bei einem Dorfe in der Nähe bivouakiren und dann vorläufig nach Rastatt gebracht werden. Eine Menge hatten sich in der Stadt versteckt und wurden später gefunden; Andern hatten sich auf Wagen davongemacht, wurden aber am Abend eingeholt und zurückgebracht.

Der neue Commissair der Republik, Herr Valentin, ein in Straßburg wohlbekannter Mann, hatte sich auf sehr pfiffige Weise in die Festung zu schmuggeln gewußt. Er lebte, als Bauer verkleidet, in Bischheim, und entkam, nachdem er die Gelegenheit studirt hatte, die Gräben durchschwimmend, in die Festung. Als er gefangen vor General Uhrich geführt wurde, präsentirte er seine Anstellung, die in seinem Aermel eingenäht war. Vor der Uebergabe verschwand er in ebenso geheimnißvoller Weise. Man sagt, daß er über Lünette 53 entkommen sei, was kaum zu glauben ist.

Die Tage vor der Uebergabe waren in Straßburg sehr stürmisch, und es war nahe daran, daß die ärmere Classe über die reichere herfiel und sie plünderte und mordete. Man schreibt diese Erbitterung dem Einfluß der katholischen Geistlichen zu. Die geringen Leute hier sind nämlich fast durchweg katholisch, während die wohlhabenderen überwiegend protestantisch sind. Die Letzteren betrachteten daher die Eroberer gewissermaßen als Erlöser.

Auf dem Rückwege nach Oberhausbergen besuchte ich die erste Parallele und die große Mörserbatterie.

Wenn man auch eine Festung ganz cernirt, so richten sich doch, wie Ihre Leser wissen werden, die Angriffsarbeiten nur gegen einen Punkt oder vielmehr eine Front, welche man für die geeignetste hält. Dies zu beurtheilen ist Sache der Ingenieure. Sind sie über diesen Punkt einig, so wird die erste Parallele tracirt, das heißt die der Angriffsfront ungefähr parallel laufende Linie bestimmt, in welcher man die ersten Batterieen errichten will, um die Werke der Festung zu beschießen. Ist das geschehen, dann beginnen die Pionniere ihre mühsame und gefährliche Arbeit; gefährlich, weil sie stets im Bereich des feindlichen Feuers geschehen muß; denn wollte man außer Schußbereich anfangen, so würde eine Belagerung unendlich viel Zeit und Geld kosten. Man arbeitet soviel wie möglich bei Nacht aus augenscheinlichen Gründen, und sorgt zunächst dafür, Deckung gegen das feindliche Feuer zu gewinnen. Zu diesem Ende gräbt man Gräben, welche tief genug sind, darin befindliche Menschen dem Feinde zu verbergen, respective sie gegen die Kugeln zu schützen, mit welchen derselbe die Punkte überschüttet, wo er arbeiten sieht. Die Natur dieser Arbeiten bringt es mit sich, daß sie nicht gerade auf das Ziel losgehen können, sondern im Zickzack von einer Parallele zur andern vorgehen müssen. Es wird nämlich in einer bestimmten Entfernung eine zweite und am nächsten der Festung eine dritte Parallele eingerichtet, deren Regeln und Bestimmungen man in jedem Conversationslexikon unter „gewaltsamer Angriff“ oder „Festungs-Fortification“ finden wird.

Wenn man, wie hier in Straßburg, einen so geeigneten Ausguckpunkt wie das Münster hat, den man aus Rücksichten schonen muß, welche sich mit militärischen Zwecken schlecht vertragen, so muß man die Laufgräben ganz außerordentlich tief machen, damit sie nicht so leicht eingesehen werden können. Das ist aber in dem Lehmboden bei trockenem wie bei nassem Wetter eine schauderhafte Arbeit. In diesen Gräben nun müssen wieder allerlei Extrabauten vorgenommen werden; erstlich die Batterien, das heißt Stände für die Geschütze, und verschiedene andere Räumlichkeiten, die große Sorgfalt erfordern, wie zum Beispiel Pulvermagazine, zu welchen Bauten man Schanzkörbe und Faschinen verwendet. Die Laufgräben in der ersten Parallele vor Straßburg sind gewiß sechs Fuß tief ohne die Brustwehr und so breit, daß drei bis vier Mann darin bequem nebeneinander gehen können. Wenn man nun bedenkt, wie viele tausend Fuß solche Gräben unter dem Feuer des Feindes gemacht werden mußten, die Batteriebauten etc. gar nicht einmal gerechnet, dann wird man eine ungefähre Idee von den Schwierigkeiten einer Belagerung bekommen. Da es gar nicht leicht ist, sich in diesem Grabengewirr zurecht zu finden, so sind überall Wegweiser angebracht.

Die Tiefe der Gräben und die Brustwehr schützen nun wohl gegen die geradeaus geschossenen Kugeln, allein keinesweges gegen die in hohen Bogen geworfenen Bomben und Granaten, da die Gräben oben kein Dach haben, und mit diesen Geschossen ist man daher sehr freigebig. Ueberall in den Gräben und noch mehr an den dahinter und seitwärts liegenden Gebäuden konnte man die zerstörenden Wirkungen der Bomben beobachten.

Die Mörserbatterie in der ersten Parallele sah so frisch und stattlich aus, als sei sie eben erst aufgestellt worden, und außerdem hatten sie auch die Artilleristen zur Ehre des Tages geschmückt. Sie hatten aus all’ den gesammelten feindlichen Kugeln eine Pyramide gebildet und diese mit Blumen geziert. Diese Riesenmörser schießen lange Bomben, welche von der Spitze an beinahe zwei Fuß lang sind und deren Cylinder acht bis zehn Zoll im Durchmesser haben mag. Die Bomben des Panzerschiffes Merrimac, die ich in Amerika sah, waren ungefähr von derselben Größe. –

Ich begreife nicht, wo die Photographen stecken. In Amerika waren sie auf jedem Schlachtfelde bei der Hand und ihnen verdanken wir die interessantesten Ansichten. Die deutschen Photographen werden angetrottelt kommen, wenn das Charakteristische der Schlachtenbilder längst verwischt ist.

Eine Menge Officiere waren nach Straßburg hineingeritten; allein es wurde mir gesagt, daß Civilisten noch nicht Zutritt hätten. Das war nicht der Fall, wie ich am Abend zu meinem Aerger erfuhr, und so beschloß ich wenigstens, mich am 29. September Morgens dahin aufzumachen. Ich verabschiedete mich von meinen freundlichen Pionier-Unterofficieren, die wüthend darüber waren, daß ihr Major es den Pionieren bei fünf Tage Mittelarrest verboten hatte in die Festung zu gehen.

Auf dem Leiterwagen des Bauern fuhr ich stolz die Straße entlang. Unterwegs hatte ich nochmals das zerfetzte Galgendorf

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 698. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_698.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)