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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


auf den Fersen seien, und daß die Unsicherheit der Umgegend zur Vorsicht mahne. So wurden denn die üblichen Vorsichtsmaßregeln getroffen, und mit geladenen Büchsen ging’s weiter in die Nacht hinein. Wir stießen auf einen zweiten Zug Württemberger, welche von einer nächtlichen Recognoscirung mit Laternen uns entgegenkamen, und kurz darauf begegnete uns eine recht unheimliche, aber stark bewachte Gesellschaft. Es waren gefesselte Bauern, denen ein Haufen Weiber, Mädchen und Kinder nachlief und die man sämmtlich aus einem Neste aufgestöbert hatte, wo sie sich ohne Zweifel für völlig sicher gehalten hatten – in einer unterirdischen Höhle.

Da wir der Stelle nahe waren, so begab ich mich sofort mit einigen Anderen in diese interessante Unterwelt.

Die Entdeckung derselben war an diesem Tage (den 20. September) in folgender Weise gelungen. Die in ihrer Sicherheit übermüthigen Bauern hatten es nicht lassen können, auf vorüberreitende Ulanen zu feuern, und dadurch ihren Schlupfwinkel selbst verrathen. Zur Untersuchung einer verdächtigen Ziegelscheune war von den Württembergern auch die zweite Compagnie unseres dreizehnten Jägerbataillons mit herangezogen worden. Nach langem Suchen und vielen Hindernissen stießen sie auf einen vermauerten Eingang. Nachdem man ein Loch durchgebrochen, groß genug, um einen Menschen durchzulassen, wurden erst einige Schüsse in die Oeffnung abgefeuert, dann band man zwei Bauern, die mit den Waffen in der Hand gefangen worden waren, an eine Leine zusammen und stieß sie als Wegweiser in die unbekannte Gegend voraus, die Soldaten folgten Schritt vor Schritt mit Laternen und Lichtern. Und welch ein wunderbares Bild that sich da vor ihnen auf! In labyrinthartige Gänge vordringend, fanden sie dieselben förmlich vollgepfropft von Lebensmitteln und Hausrath von der erdenklichsten Mannigfaltigkeit. Vorräthe für Monate lagen hier durcheinander, und Leitern und neue Gänge führten zu immer weiteren Verstecken. Endlich gelangte man durch ein zweites Loch in einen größeren Raum, in welchem die Bewohnerschaft dieser Unterwelt, wohl über hundert Männer, Weiber und Kinder sich zurückgezogen hatten, die nun zitternd und bebend um ihr Leben schrieen und heulten. Das war die Gesellschaft gewesen, deren unheimliche Erscheinung uns droben begegnet war. Die ganze Höhle war leer von ihnen und Niemand zurückgeblieben als ein blinder Greis, dem man in seinem äußersten Winkel seine Ruhe vergönnte.

So fand ich die Höhle, als ich mit einigen Cameraden die Schwierigkeiten des Zuganges endlich überwunden hatte. Mit Windlichtern in der Hand durchmusterten wir nun die seltsame Bescheerung. Der Fels starrte an vielen Stellen hoch empor, vorsichtig mit Gebälke gestützt. Aber am Boden und an den Wänden, welches Durcheinander! Da lagen Massen von Kartoffeln, Gemüse aller Art, Mehlsäcke, Weinfässer, da meldeten Ziegen, Schafe, Kaninchen, Hühner und Enten ihre Anwesenheit, dazwischen Unmassen von Hausgeräthen und was eben der Mensch zu seiner Nothdurft braucht und die Eile der Flucht den Leuten in die Hände fallen ließ. Wie ruhig hätten diese Bauern mit den Ihrigen hier vielleicht den ganzen Krieg überdauern können, wenn sie sich nicht zu hinterlistigen Angriffen auf die „Preußen“ hätten verführen lassen! So ernteten sie den traurigen Lohn des Krieges, die bewaffneten Männer wurden erschossen, die unverdächtigen nebst Weibern und Kindern aber bald wieder freigegeben.

Ich brachte, einige Mehlsäcke als Bett und Decke benutzend, in Gesellschaft mehrerer Württemberger, unserer Jäger und des blinden Greises die Nacht in der Höhle zu und entwarf zum Andenken an sie das Bild derselben. Möge es Ihnen gefallen und dazu beitragen, die Leser der Gartenlaube recht innig das Glück empfinden zu lassen, den zahllosen Schrecknissen dieses Krieges so fern zu sein!


Im Hauptquartier des Prinzen Friedrich Karl.
Von unserem Berichterstatter Georg Horn.
Fünfter Brief. Im Schlosse von Corny.
(Schluß.)

Nachdem auf solche Weise die französischen Kanonen ihren Morgengruß von Metz herübergeschickt haben, greifen unsere Herren nach den Mützen, theils um sich in das Bureau zu begeben, theils um sich auf die vor den Fenstern bereits ungeduldig mit den Hufen scharrenden Pferde zu schwingen. Da öffnet sich abermals die Thür des Saales, ein dickes rothes Gesicht mit einem melirten Knebelbarte erscheint, und diesem vielversprechenden Kopfe, der mit einem Ausruf der Freude begrüßt wird, wälzt sich die entsprechende Figur in der Uniform eines Postschaffners nach. Es ist Wilke. Wer ist Wilke? Ich will lieber sagen, wer er war: Trompeter bei einem Husarenregimente, darum auch das volle Gesicht vom vielen Blasen, nicht etwa vom Trinken, obwohl sein Lieblingsausspruch ist: „Etwas zu trinken muß der Mensch immer haben!“ Aber das ist bei ihm nur Redensart. Wilke ist der nüchternste, zuverlässigste Mensch von der Welt und außerdem Postschaffner in Erfurt, jetzt Armee-Post-, fast hätte ich gesagt Götterbote. Vielen Menschen mag er das auch sein. Unter den Zeitungen, Briefschaften, die er jetzt austheilt, ist manch zierlich gefalteter Brief mit seiner zarter Aufschrift, und mancher derselben wird verstohlen an’s Herz gedrückt, dann aber geht es hinaus auf das schnaubende Roß, um Recognoscirungen zu unternehmen oder Befehle an die einzelnen Armeecorps zu überbringen.

Es ist Vormittag; in dem Schloßhofe kommen nach und nach die Ordonnanzen von den um Metz liegenden Armeecorps angeritten: Dragoner mit schwarzen, weißen oder pfirsichblüthenen Kragen und Aufschlägen; Husaren, blaue, braune, grüne, auch die von den Franzosen so gefürchteten Ulanen mit den flatternden Fähnlein. Die Söhne der weitest aneinanderliegenden Provinzen der preußischen Monarchie treffen auf diesem Hofe zusammen, die verschiedensten Dialekte sind zu hören, und auch ohne die Uniformen könnte man aus den einzelnen Erscheinungen die Nationaleigenthümlichkeiten der einzelnen Provinzen herausfinden, den compacten Märker ganz gut von dem behenden Rheinländer, den bedächtigen Westphalen von dem gewitzten Ostpreußen, den ruhigen Holsteiner von dem lebhaften Sachsen unterscheiden.

Die Stabsordonnanzen haben die schriftlichen Meldungen welche sie zu überbringen haben, aus ihren Taschen genommen und in das Bureau getragen; sie haben etwas Zeit, um sich von dem scharfen Ritte zu verschnaufen und sich etwas zu erzählen. Instinctmäßig werden ihre Geruchsnerven von einem Dufte angeregt, der dort aus den gegenüberliegenden Fenstern kommt – es ist die Küche, und in dem nämlichen Augenblicke, wo sie ihre Aufmerksamkeit diesen Fenstern zuwenden, erscheint in denselben das runde, blühende Gesicht einer Köchin, die in ihrer Geschäftigkeit doch noch Zeit findet, die reitenden Prussiens einer eingehenderen Ocularinspection zu unterwerfen. Beide Theile scheinen nicht unzufrieden mit einander zu sein. Die Köchin hat eine Eigenschaft, die sie mit den Fleischersfrauen theilt, blühenden Teint, hübsche Zähne, und das weiße coquette Mousselinhäubchen verkündet ihre Abkunft als Französin. „Ach, schmeckst du prächtig“ – das heißt jedenfalls der Braten – spricht es aus allen Mienen der Cavallerie; doch auch sie scheint ihrem allgemeinen Preußenhaß ganz wohl specielle Ausnahmen gestatten zu können – sie lacht recht coquett heraus, die schelmische Feindin; aber plötzlich schlägt sie die Augen nieder und ihre Mienen nehmen einen sehr züchtigen, sehr strengen Ausdruck an.

Ein spindeldürrer Mann in schwarzem bis auf die Füße reichenden Talar schlängelt sich über den Hof. Der Rheinländer salutirt vor ihm, die anderen evangelischen preußischen Landeskinder sehen ihm mit etwas befremdeten Blicken nach, besonders als er seinen Weg nach der Küche nimmt. Was hat der geistliche Herr hier zu thun? Jedenfalls nach dem Seelenheil seiner Pfarrkinder zu sehen; der Herr ist Monsieur le Curé, der Geistliche des Dorfes, und die Köchin, die junge wie die alte, welch letztere besser im Dunkeln bleibt, haben nicht etwa erst die Preußen mitgebracht, nein, sie wurden als Inventar des Schlosses von Corny vorgefunden, aber auch von den Preußen gleich in Thätigkeit gesetzt, und nun hält es natürlich der Herr Ortspfarrer für eine heilige Pflicht und Schuldigkeit, jeden Tag nachzusehen, nicht nur nach dem, was Alles auf die Tafel kommt, sondern auch und hauptsächlich darnach, ob die ihm anvertrauten Lämmer seiner Heerde noch nicht protestantisch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 730. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_730.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)