Seite:Die Gartenlaube (1870) 732.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

nur der ungewohnte, feldmäßige Anzug täuschen – sollten wir den Mann nicht schon anderswo ebenfalls an einem bedeutsamen Orte in einem andern Kleide gesehen haben? Bei seinem Anblick kommt mir der Gedanke an Millionen – richtig, auf der Ministerbank im preußischen Abgeordnetenhause, im dunkelblauen Frack mit schwarzem Sammetkragen und goldenen Knöpfen, in der kleinen Wirklichen Geheimrathsuniform – es ist der frühere Finanzminister von Patow. Der Mann hat einen Zug mit Liebesgaben gebracht und dem Prinzen Friedrich Karl seine Aufwartung gemacht. Aus dem Bureau kommt zu gleicher Zeit ein Herr etwa in gleichem Alter mit dem früheren preußischen Finanzminister stehend, aber von sehr hervortretend französischem Ansehen. Beide haben vor Jahren zusammen in Beziehungen gestanden, nicht in persönlichen, wohl aber in öffentlichen, ohne daß sie sich jetzt erkennen. Der französisch Aussehende hat sicherlich sehr oft die Maßregeln des obersten Verwalters der preußischen Finanzen besprochen, und der Minister sich vielleicht manchmal über ihn geärgert; auch die „Independance Belge“ hat nicht immer den richtigen Maßstab für deutsche, specifisch preußische Verhältnisse, und der Mann, der aus dem Bureau gekommen, ist ihr Redacteur. Welche Zwecke er hier verfolgt hat? Ich weiß es nicht. Nach seiner mißvergnügten Miene aber scheint er sie nicht erreicht zu haben …

„Meine Herren, wo komme ich nach dem Bureau des Obercommandos?“

Berliner Laute, draußen vom Hofe her. Die Stimme ist mir bekannt. Ich kenne sie von einer Stätte, die mit dem Kriegsleben in gar keiner Beziehung steht, aus dem Berliner königlichen Schauspielhause, die Stimme eines mitfühlenden Trösters, wenn Einem ein Stück durchfiel, die Stimme aufrichtiger, freudiger Theilnahme, wenn man mit einer Bühnenarbeit Erfolg hatte – die Stimme des Secretärs in der Generalintendantur der königlichen Schauspiele in Berlin, des braven, trefflichen Woytasch. In der That – er ist es. Wie kommt Saul unter die Propheten? Wie kommt die Kunst unter die Kanonen? Antwort: Woytasch ist zum Verwalter des Depots des Centralvereins für freiwillige Krankenpflege ernannt. Er ist mit ungeheuren Vorräthen für Truppen und Spitäler eingerückt, und kommt, sich an betreffender Stelle zu melden.

„Seien Sie sehr willkommen, wenn Sie keine Charpie, keine Schlummerrollen und keine Tractätchen haben, wenn Sie dagegen Arzneien, Instrumente, Lazarethgegenstände, warme Kleider, Decken, wollene Strümpfe, Filzschuhe, Wein, Rum, Zucker, Chocolade, Thee, condensirte Milch, Bremer Zwieback (den vortrefflichsten von allen), wenn Sie Tabak, Cigarren, geistiges und materielles Licht, Stearin und Lecture bringen.“

Woytasch hat in seinem Depot in Novéant Alles, bis auf die schwedischen Schwefelhölzchen. Das Bedürfniß aber ist unerschöpflich, steigert sich mit jedem Tage, den wir weiter in die kalte Jahreszeit kommen. Unsere Truppen leiden keinen Hunger, haben auch sonst keinen Mangel an dem Nothwendigen; dafür sorgt der Staat, und die Intendantur als Verpflegungsbehörde hat Großes geleistet. Was aber bei den in’s Kolossale gehenden Verhältnissen nicht zu vermeiden ist, so sehr und eifrig auch an maßgebender Stelle dagegen angestrebt wird, und was für die Dauer eine Gefahr für die Gesundheit unserer Truppen wird, das ist das täglich wiederkehrende Einerlei der Nahrung. Hier ist die Stelle, wo die Liebesgabenthätigkeit mit dankessicherem Erfolge eingreifen und nachhelfen kann. Möge dieses Wort daheim in Deutschland eine Stätte finden, daß die Liebesquellen nicht versiechen. „Die Franzosen,“ sagte mir neulich in Nancy ein armer, alter Mann aus dem Elsaß, „haben das Herz in der Tasche und die Deutschen haben es auf der Hand.“ –

Dort drüben unter der herrlichen Gruppe alter, hoher Bäume steht eine Gruppe von männlichen Gestalten. Die Herren sind in Uniform, in derjenigen der preußischen Militärärzte. Sie umstehen einen mittelgroßen, schmächtigen Mann, die Züge des Kopfes desselben sind scharf geschnitten, das Gesicht von einem Barte umsäumt, unter der Brille hervor blitzen geistvolle, lebendige Augen, lebhaft, geistesbewegt scheint auch nach den Gesten des Sprechenden, nach der stummen Aufmerksamkeit, welche die Umstehenden ihm widmen, die Rede des körperlich unscheinbaren Mannes zu sein. Und trotzdem könnte man ihn doch nicht übersehen, wenn man ihn auch nie sprechen gehört hätte, wenn man auch nicht wüßte, wer er wäre. Wer von den Männern, die jetzt seiner Rede lauschen, wer von der jüngern, strebsamen medicinischen Welt hätte nicht zu seinen Füßen gesessen? Welcher Berliner kennte ihn nicht aus der Stadtverordnetenversammlung, welcher Preuße nicht aus dem Abgeordnetenhause, welcher Deutsche nicht aus dem Reichstage, den Professor Virchow? Was ihn, den Mann der Wissenschaft, hierher an den Centralpunkt des Kampfes von Metz führt? Zwischen ihm und diesem ist vielleicht keine so große Kluft, wie man meinen möchte. Er dort, wie die Leiter dieses Kampfes hier, sind die Kinder ihrer Zeit. Die modernen Strategen führen den Krieg wie eine Wissenschaft, und Virchow betrachtet die Wissenschaft hinwiederum als einen Kampf. Professor Virchow war übrigens gekommen, um aus den Spitälern um Metz einen Krankenzug nach Berlin zu führen.

So kommen und gehen hier Menschen, so berühren sich hier Dinge und Verhältnisse, so treffen hier die verschiedenartigsten Beziehungen zusammen. Dazwischen kommt wieder eine Patrouille von den Vorposten, die einen französischen Ueberläufer transportirt. Während dieser von dem betreffenden Generalstabsofficier verhört wird, und derselbe, wie Alle, aussagt, daß sie es in der Festung vor Hunger fast nicht mehr aushalten können, wirft die Patrouille einen forschenden bewundernden Blick in den Salon, der das Vorzimmer zu den Gemächern des Oberbefehlshabers bildet. Freilich sieht es da drinnen wohnlicher aus, als in den leeren öden, zerschossenen Räumen des Gehöftes, wo die Vorposten ihre Unterkunft haben, und wo die Patrouillen in Quartier liegen - da drinnen ist an den Wänden geschnitzte Holzarbeit, da sind hohe Spiegel, chinesische Vasen, Krystall-Lustres, in kostbaren Behältern frische Blumen - und doch, das Alles gäbe der Beschauer gerne hin, wenn er nur einmal wieder auf so einem molligen Sopha schlafen könnte, wie da drinnen eines steht in der hübschen Stube. Diese Stube ist freilich auch der Salon der Herrin dieses Schlosses. Es ist lange her, daß der arme Bursche in keinem Bette mehr gelegen hat; jede Nacht fast war seine Lagerstatt unter freiem Himmel im Bivouac, Regen und Sturm sangen ihm oft das Schlummerlied; wenn er ab und zu auf einem Bunde Stroh und in einer Scheune sein Nachtgebet halten konnte, das ward schon als ein hoher Festtag in diesem Feldzuge angesehen. Und nun erst so ein reich gepolstertes Sopha! Aus dem Salon tritt ein stattlicher Officier in Husarenuniform und spricht ihn an, fragt ihn nach seinem Regimente, Bataillon, nach seinem National, d. h. nach Heimath, Wohnort, Eltern. Die Fragen sind kurz, der Ton wohlwollend, der Gefragte trägt auf seiner Brust das eiserne Kreuz.

„Für welchen Tag haben Sie das?“

„Für den 18. August. Oben bei St. Privat haute Seine königliche Hoheit Prinz Friedrich Karl die Franzosen, unten bei Gravelotte General von Steinmetz, und Seine Majestät der König commandirte die Schlacht. Unser Lieutenant war gefallen – ich habe den Zug geführt.“

Der Officier spricht noch einige freundlich anerkennende Worte mit dem Unterofficier und geht dann weiter über den Hof nach dem Parke zu.

„Camerad,“ wendet sich der Angeredete zu der Stabswache, „kann man da nicht wo hineinkieken, damit man doch bei der Gelegenheit Seine königliche Hoheit den Prinzen zu sehen bekommt?

„Der Prinz hat ja eben mit Dir gesprochen.“

„I – wo? Nee! Das wäre er gewesen? Warum hat er Einem denn das nicht gesagt, damit man ihn mit dem nöthigen Respect angesehen hätte? Der Officier sollte unser Feldherr gewesen sein? Nee! Der spricht ja wie jedes andere Menschenkind.“

„Soll er etwa in Shrapnels reden?“ versetzt der Soldat der Stabswache.

„Hurrje! Wenn ich das nach Hause schreibe! Na, Lieseken, jetzt mußt Du mir noch einmal so gut sein, und wenn nun der Alte nicht will, dann will ich ihm den Standpunkt klar machen, was es heißt: Einer vom eisernen Kreuz – von dem soll er sich ein Kreuzdonnerwetter besehen –“

„Unterofficier!“

„Befehlen, Herr Hauptmann?“

„Der Franzose wird nach der Wache am Ende des Dorfes gebracht.“

„Zu Befehl, Herr Hauptmann! Allons – vorwärts, oller Junge, spute Dir – en avant Franzosenkopp.“

So geht die Patrouille wieder ab, und der schwarze, pfiffige

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 732. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_732.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)