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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Ende erreicht. Man nahm von einer weiteren Untersuchung Abstand; der Unglückliche war in aller Stille beerdigt worden, seine Wittwe verließ mit ihrem Kinde die Stadt, wo der Name, den sie trug, hinfort gebrandmarkt war. Das kleine Vermögen, das ihr Mann besessen, und das als Caution für seine Stellung eingetragen war, verfiel natürlich, obgleich es die veruntreuten Summen nur zum kleinsten Theil deckte, und damit hatte dies Drama, für die fürstliche Residenz wenigstens, sein Ende erreicht.




„Ich bitte Dich, Eugen, fasse endlich einmal einen Entschluß in dieser Sache. Du richtest Dich noch zu Grunde mit diesem ewigen Schwanken und Zweifeln!“

Der junge Mann, an den diese Worte gerichtet waren, hob langsam den Kopf empor und sagte in einem Tone unverkennbarer Bitterkeit: „Ich wollte, Du würdest einmal selbst in einen solchen Conflict geworfen, um einzusehen, daß es da keinen gewaltsamen Ausweg giebt!“

„Schwerlich würde ich das. Wo auf der einen Seite meine ganze Zukunft und auf der anderen eine bereits erkaltete Jugendneigung steht, giebt es für mich gar keinen Conflict, sondern eine einfache Nothwendigkeit, der ich folge, um jeden Preis.“

„Auch wenn ein Herz darüber gebrochen werden muß?“

„Mein Gott, nimm doch die Sache nicht so entsetzlich tragisch. Die Opfer unglücklicher Liebe, die am gebrochenen Herzen sterben, mögen in Romanen sehr effectvoll und rührend sein, im wirklichen Leben existire sie nicht, und ein so einfaches Mädchen, wie Deine Braut, wird sich vollends nicht mit diesem romantischen Märtyrerthum abgeben. Dein Verlust wird ihr natürlich Thränen kosten, sie wird ihn aber verschmerzen, und in Jahr und Tag irgend einen ehrsamen Bürger und Rathsherrn von W. heiraten, der besser für sie paßt, und der sie glücklicher macht, als Du es je vermocht hättest.“

„Ich bitte Dich, Hermann, schweig’!“ rief Eugen heftig. „Du kennst Gertrud nicht, und deshalb bist Du von jeher ungerecht gegen sie gewesen.“

„Das mag sein. Ich habe, wie Du weißt, eine entschiedene Antipathie gegen alles Beschränkte, Kleinbürgerliche, und wenn es sich nun vollends in die Laufbahn eines Mannes drängt, um ihn mit Gewalt in die niedere Sphäre herabzuziehen, die seinen Lebenskreis bildet, so wird es mir geradezu verhaßt.“

Eugen hatte keine Erwiderung auf diese mit vollster Schärfe gesprochenen Worte. Er sprang auf, trat an’s Fenster und blickte, die Stirn gegen die Scheiben gedrückt, in den Park hinaus, der in der ganzen thauigen Frische eines Junimorgens vor ihm lag. Die Morgensonne schien warm und hell in den alterthümlichen Pavillon, der mit seinen halbverwischten Wand- und Deckenmalereien, den ehemals vergoldeten, vielgeschnörkelten Möbeln und den verblaßten, großblumigen Damastüberzügen noch dem vergangenen Jahrhundert angehörte; sie beleuchtete auch warm und voll die beiden jungen Männer, die sich augenblicklich allein hier befanden. Der Eine, der jetzt eben am Fenster lehnte, war eine hohe schlanke Gestalt, mit einem Gesicht, das, ohne gerade regelmäßig schön zu sein, doch Jeden beim ersten Anblick fesselte. Es lag ein mächtiger Reiz in diesen Zügen, es lag eine Welt von Schwärmerei und Leidenschaft in diesen dunklen Augen, und die Wolke auf seiner Stirn, der innere Kampf, der sich nur zu deutlich in seinem Antlitz ausprägte, gaben dem schönen, von einer Fülle dunkler Locken umwallten Kopfe nur noch ein tieferes Interesse.

Sein Gefährte besaß wenig oder Nichts von all’ diesen glänzenden Vorzügen. Er war kleiner, aber kräftiger gebaut, mit durchaus unregelmäßigen Zügen, die man geradezu unschön hätte nennen müssen, wäre nicht die hohe, prachtvoll gewölbte Stirn gewesen, die dem ganzen Gesicht einen eigenthümlichen und bedeutenden Charakter lieh. Die scharfen grauen Augen blickten klar und kühl in die Welt, fast zu kühl für einen Vierundzwanzigjährigen, und ihnen entsprach die scharf ausgeprägte Linie um den Mund. Es war ein Zug von Energie und Entschlossenheit, der erst einem späteren Alter anzugehören schien, aber auch ein kalter, bitterer Zug, der dem Antlitz alle Jugendlichkeit raubte und es in manchen Augenblicken fast abstoßend erscheinen ließ. Der junge Mann saß bequem, halb liegend in den Armsessel zurückgelehnt, und sprach sehr ruhig, fast gleichgültig zu seinem erregten Freunde, aber trotz dieser Ruhe und trotz der nachlässigen Haltung, lag in seinem ganzen Wesen eine entschiedene Ueberlegenheit, eine unbewußte Vornehmheit, die Eugen fehlte, der, mit vollendeter Grazie an die Fensterbrüstung gelehnt, und das Auge schwärmerisch zu den Wolken emporgerichtet, allerdings sehr interessant, aber auch ein klein wenig theatralisch aussah.

Es war eine augenblickliche Pause entstanden, Hermann unterbrach sie plötzlich mit der Frage: „Wie stehst Du mit Antonien?“

Ein tiefer Seufzer und eine abwehrende Bewegung waren die einzige Antwort, die er erhielt.

„Du liebst sie doch?“

„Ich bete sie an!“

„Und sie läßt sich diese Anbetung nur zu gern gefallen. Aber, was nun? Glaubst Du, meine stolze Cousine würde es ertragen, ein kleines, unbedeutendes Bürgermädchen zur Nebenbuhlerin zu haben? Nimm Dich in Acht, wenn sie früher oder später die Wahrheit erfährt. Das ist eine Klippe, an der all’ Deine Hoffnungen scheitern können.“

Eugen blickte düster vor sich hin. „Hoffnungen! Darf ich sie denn hegen? Ich bin bürgerlich, ohne Namen, ohne Vermögen - glaubst Du denn wirklich, daß sie im Stande wäre, ihren Rang, ihren Namen mir zu opfern, daß Gräfin Arnau das Weib eines unbekannten Malers werden könnte?“

Ein sarkastisches Lächeln zuckte um Hermann’s Lippen. „Ja, wenn Du das nicht weißt; ich kann Dir freilich keine Gewißheit darüber geben. Aber,“ setzte er spottend hinzu, „mir scheint, Du weißt bereits recht gut, woran Du bist, und wirst kaum in Gefahr kommen, Dir ein Nein zu holen. Doch eben deshalb mußt Du Dich jetzt entscheiden. Was soll geschehen? Was hast Du beschlossen?“

Eugen warf sich mit dem Ausdruck der Verzweiflung wieder in den Sessel. „Martre mich nicht mit Deinen Fragen, Hermann! Du siehst es ja, daß ich rathlos bin! Zeige mir lieber einen Ausweg aus diesem Labyrinth.“

„Der Ausweg liegt klar genug vor Dir! Sei ein Mann und raffe Dich endlich einmal zur Energie empor. Brich rasch und entschieden die Kette, die Dich bisher am Boden gefesselt hielt, Du bist es Dir und Deiner Zukunft, bist es Antonien schuldig, wenn Deine Liebe nicht ferner eine Beleidigung für sie sein soll. Und dann, wenn Du frei bist, begleite mich nach Italien. Die Reise ist dringend nothwendig zur Vollendung Deiner Studien, wenn Deine eigenen Mittel nicht ausreichen, stehen Dir die meinigen zur Verfügung. Entschließe Dich rasch.“

Die entschiedene, fast gebietende Weise seines Freundes, die gar keinen Widerspruch zuzulassen schien, verfehlte ihren Eindruck nicht auf den jungen Maler, er preßte wie im innern Kampfe die Hände zusammen. „Du hast nur zu sehr Recht. Ich weiß es, ich fühle es ja bei jedem Deiner Worte, aber Gertrud! Gertrud! Schilt mich feige, mache mit mir, was Du willst, aber ich ertrage es nicht, sie unglücklich zu wissen, unglücklich durch meine Schuld.“

Mit einer Bewegung der äußersten Ungeduld stieß Hermann seinen Sessel zurück und sprang auf. „Nun, wenn Du es denn durchaus nicht kannst, so werde ich an Deiner Stelle handeln. Ah, dort kommt Antonie eben recht.“

„Was willst Du thun?“ rief Eugen erschreckt.

„Den Knoten zerhauen, an dessen Lösung Du verzweifelst! Guten Morgen, liebe Toni.“

(Fortsetzung folgt.)




Auf dem Observatorium vor Metz.
Von unserem Berichterstatter Georg Horn.

Es ist Nachmittags gegen drei Uhr – ein herrlicher Septembernachmittag. Die Luft ist so klar, rein, der Himmel blau und die Sonne golden und über dem Moselthale liegen der Duft und Glanz und Zauber des Herbstes. Nordöstlich von Corny liegt ein isolirter Bergkegel mit einem alten Wartthurm, dem Ueberbleibsel eines mittelalterlichen Schlosses, vor diesem soll dort oben ein Kloster gestanden haben. Ich will es gern glauben, die Lager ist entzückend, das Land umher reich und fruchtbar und solche Vortheile haben die heiligen Männer immer wahrzunehmen gewußt. Die Bergkuppe heißt Chatel St. Blaise, von unseren Officieren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 744. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_744.jpg&oldid=- (Version vom 4.11.2019)